Im Juli letzten Jahres haben wir zu einem Spaziergangs-Ausflug der ansehnlichen Satellitenüberwachungsanlage des BND in Schöningen bei Helmstedt eingeladen. Der Landkreis Helmstedt hatte uns dazu – nach langem Hin und Her und wie gewohnt erst sehr kurz vor dem Ausflug – einige Beschränkungen erteilt. Dagegen sind wir vor Gericht gezogen und haben nun weitestgehend Recht bekommen. Die Versammlungsbehörde muß nun die Kosten des Prozesses bezahlen.
Die Klageschrift haben wir in Eigenregie und ohne rechtsanwaltliche Hilfe erstellt – auch bei der mündlichen Gerichtsverhandlung haben wir uns selber und ohne juristischen Beistand vertreten.
Im Detail:
Der Landkreis Helmstedt hatte sich damals viel Zeit mit der Mitteilung gelassen, welche Beschränkungen er uns auferlegen wollte: 10 Tage vor dem Samstags-Spaziergang zur BND-Abhöranlage nahe der ostniedersächsischen Kleinstadt Schöningen hatten wir ordentlich angekündigt, was wir planten. Die Auflagen des Landkreises erreichten uns per Mail erst am Donnerstag abend per E-Mail, als Brief sogar erst am Samstag nach bereits stattgefundendem Protest. Für uns als Gruppe, die Entscheidungen per offener Mailingliste gemeinsam zu finden versucht viel zu spät, um noch mittels Eilentscheidung gegen die Beschränkungen vorzugehen.
Ein klarer Sieg vor Gericht …
Obwohl lediglich geschätzt fünf Mitmachende angekündigt worden waren (und tatsächlich auch nicht viel mehr teilgenommen haben) meinte der Landkreis uns vorschreiben zu müssen, zwangsweise „Ordner“ einzusetzen. Deren persönliche Daten (Anschrift, Geburtsdatum) sollten wir sogar auf Anforderung an die Polizei weiterreichen.
Dazu meint das Verwaltungsgericht Braunschweig klipp und klar:
„Voraussetzung für eine solche Beschränkung nach § 8 Abs. 1 NVersG ist eine “unmittelbare Gefährdung“. Diese setzt eine konkrete Sachlage voraus, die bei ungehindertem Geschehensablauf mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden an den der Versammlungsfreiheit entgegenstehenden Rechtsgütern führt. Die Gefährdung muss nach dem gewöhnlichen Ablauf der Dinge unmittelbar bevorstehen, der Eintritt der Störung aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte bzw. nachweisbarer Tatsachen mit hoher Wahrscheinlichkeit zu enNarten sein. (…) Eine solche unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit vermag die Kammer für die vom Kläger angezeigte Versammlung nicht erkennen.„
Gleiches gilt für die dem Versammlungsleiter auferlegte Pflicht zur Abhaltung eines „Versammlungsgesetz-Workshops“ vor Beginn der Demo (Wortwahl aus der Klageschrift entnommen): Bevor die Protestierenden anfangen durften zu protestieren, hätte man diese – nach Ansicht der Versammlungsbehörde – umfänglich über das (umstrittene) niedersächsische Versammlungsgesetz aufklären müssen, inklusive aller im Gesetz enthaltenen (und recht umfänglichen) Bußgeld- und Straftatenkataloge.
Auch das – so nun vor Gericht endgültig geklärt – war ein rechtswidrig auferlegter Zwang.
Aufgrund der nun gerichtlich festgestellten „Friedlichkeit“ unseres Protestes wäre sogar der gesamte Auflagenbescheid schon aus formellen Gründen unzulässig. Schade nur, dass wir in unserer Klageschrift darauf nicht abgezielt haben. Das Gericht ließ diesbezüglich keine Klageerweiterung zu.
… aber gleichzeitig …
Ebenfalls nicht (leider!) haben wir die zweifelhafte Praxis der Polizei zum Klagegegenstand erhoben, sich bei dem Versammlungsleiter telefonisch zu melden und die „Begleitung der Demo durch den Staatsschutz“ anzukündigen. Die sich mehr oder weniger geschickt im Hintergrund haltenden „Staatschützer“ (aus unserer Sicht ein ähnlich merkwürdiger wie kritisch zu hinterfragender Begriff wie der des „Verfassungsschutzes“ für die Inlands-Geheimdienste) waren freundlich im Kontakt, was aber nichts daran ändert, dass wir uns für unseren nun wirklich überschaubar großen und völlig harmlosen Spaziergang das gewünscht hätten, was das Brokdorf-Urteil eigentlich festschreibt: die Staatsferne. Angekündigte oder auch unangekündigte Verfolgung von Protestzügen durch den „Staatsschutz“ kann schwer einschüchternd wirken und das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit schwer beschädigen.
Aus rein formaljuristischen Gründen ist zudem unsere Forderung gescheitert, den Landkreis Helmstedt eine Aussage zu entlocken, dass derartige rechtswidrige Demobeschränkungen und vor allem die Verschleppung der Mitteilung von Demobeschränkungen in Zukunft unterbleiben.
Nach Auffassung der vorsitzenden Richterin sei zudem abseits der formellen Fragwürdigkeit unserer Forderung davon auszugehen, dass das nicht noch einmal vorkomme. Außerdem müsse man mildernd berücksichtigen, dass die Versammlungsbehörde des Landkreises Helmstedt nicht geübt sei in der Handhabung von Demonstrationen, weil es dort insgesamt wenig zu demonstrieren gäbe.
Wir finden diese beiden Argumente nicht richtig.
Zum ersten, weil uns die Erfahrung vielfach das Gegenteil beweist: Rechtswidrige Demonstrationsbeschränkungen werden häufig trotz anderslautender Rechtssprechung wiederholend angesetzt – wohl in der Hoffnung (und leider zu oft zurecht), dass die Versammlungsanmelder nicht genügend Zeit, Kraft oder Geld haben, um gerichtlich dagegen vorzugehen. Unbeachtet bleibt auch, dass der dadurch angerichtete Schaden der Nichtwahrnehmung von Versammlungs- und Meinungsfreiheit nicht durch ein nachträglich korrigierendes Urteil wiedergutgemacht werden kann.
Und dass man der Versammlungsbehörde des Landkreises mangels Erfahrung zugute kommen lassen soll, dass rechtswidrige Demobeschneidungen erteilt werden … nun ja, das möchten wir nicht gelten lassen. Erst recht nicht, wenn die gleiche Richterin in einem Zuge die Verschleppung der Erteilung von Demobeschränkungen damit verteidigt, dass sich der Landkreis doch erst ausführlich habe informieren müssen.
Übrigens sprechen die internen Gerichtsakten eine ganz andere Sprache: Der Landkreis hat von Donnerstag bis Montag benötigt, um Erkundigungsanfragen zu stellen, die Rückmeldungen z.B. von der lokalen Polizei noch am gleichen Tag zurück erhalten und dennoch erst die Beschränkungsverfügung am Donnerstag darauf ausgestellt. Das ist die übliche Praxis bei vielen, aus unserer Erfahrung heraus sogar bei allen Versammlungsbehörden: Man kann einen Protest noch so früh ankündigen – der Auflagenbescheid wird stets kurz vor der Demo ausgehändigt. Und damit bleibt bei den meistens im Lebensalltag verwurzelten und dadurch auch behinderten Menschen oft keine Chance mehr, sich rechtzeitig dagegen zur Wehr zu setzen.
Weiterhin vertrat die Richterin auch die Ansicht, dass es in unserem Fall die Aufgabe des Versammlungsanmeldenden gewesen wäre, sich eigeninitiativ bei der Versammlungsbehörde zu erkundigen, ob und wann mit einem Auflagenbescheid zu rechnen sei.
Mit der Übersendung des Auflagenbescheids per unverschlüsselter Mail hatte die Richterin ebenfalls keinerlei datenschutzrechtliche Probleme. (Anmerkung: Die Berliner Versammlungsbehörde sieht das z.B. ganz anders.) Das sei darüber hinaus auch völlig ausreichend (der Bescheid per Post kam erst nach der Demo beim Anmelder an!) und der Demoanmelder sei im Prinzip verpflichtet, regelmäßig sein E-Mail-Postfach auf den Eingang so einer Mail hin zu überprüfen.
Das alles stößt bei uns auf Unverständnis, wir sind der Auffassung, dass einige dieser Ansichten vor höheren Gerichtsinstanzen nicht zu halten sein würden.
Trotzdem: Wir sind vom Verwaltungsgericht Braunschweig und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und allen Richtern und Schöffen fair behandelt worden. Mögen wir inhaltlich auch hier und da auseinanderliegen, wie geschildert, so möchten wir uns für den guten und sachlichen Umgangston bedanken!
… es bleibt ein ungutes Gefühl!
Die eigenen Unkosten für den Prozeß, also unsere viele Zeit, die wir in Klage und Klageverteidigung schriftlich und mündlich vor dem Gericht investiert haben, auch die Fahrtkosten und alle Kleinigkeiten drumherum, die leisten und bezahlen wir aus eigener Tasche.
Die Gerichtsgebühren haben wir vorstrecken müssen und bekommen wir nun teils vom Gericht, teils vom Landkreis Helmstedt entsprechend des vom Gericht verfügten Vergleiches (aber auch erst nach weiterer schriftlicher Beantragung!) zurück erstattet.
Wir freuen uns über den klaren Sieg vor Gericht und auch darüber, dass wir das alles ganz ohne Rechtsbeistand so hinbekommen haben.
Aber kann das alles so richtig sein?
Aus unserem Gefühl heraus handelt es sich bei den Versammlungsgesetzen faktisch mehr um „Versammlungsverhinderungsgesetze“ denn um Gesetze für die Menschen und Bürger, die in diesem Land ihr Grundrecht wahrnehmen und verteidigen wollen.
Die neuen verschiedenen Versammlungsgesetze der Bundesländer zersplittern nicht nur die zuvor bundesweit einheitliche Rechtssprechung, sie sind durchweg auch mehr auf die Bedürfnisse von Polizei und Versammlungsbehörden ausgerichtet denn an der Versammlungsfreiheit.
Die Zukunft wird zeigen, ob es den Menschen hier gelingt, sich den bürokratischen Zwängen bei der Wahrnehmung ihrer Grundrechte zu entwinden – sei es durch geschicktes Nutzen von Regelungslücken oder durch Nicht-Akzeptanz der Gesetzgebung mittels offenen und friedlichen Ungehorsam – oder ob die Demonstrationsfreiheit ähnlich verkümmert bzw. niedergemacht wird, wie das in vielen anderen Ländern Europas derzeit als Entwicklung festzustellen ist.
Der Brokdorf-Beschluß ist und bleibt ein Meilenstein, an dem festzuhalten gilt:
„Das Recht, sich ungehindert und ohne besondere Erlaubnis mit anderen zu versammeln, galt seit jeher als Zeichen der Freiheit, Unabhängigkeit und Mündigkeit des selbstbewußten Bürgers. (…) Das Recht des Bürgers auf Teilhabe an der politischen Willensbildung äußere sich nicht nur in der Stimmabgabe bei Wahlen, sondern auch in der Einflußnahme auf den ständigen Prozeß der politischen Meinungsbildung, die sich in einem demokratischen Staatswesen frei, offen, unreglementiert und grundsätzlich „staatsfrei“ vollziehen müsse (…) [Versammlungen] enthalten ein Stück ursprünglich-ungebändigter unmittelbarer Demokratie, das geeignet ist, den politischen Betrieb vor Erstarrung in geschäftiger Routine zu bewahren.“
Alles Infos zur Klage und zum Prozeß auf unserer Wiki-Seite zur Klage.