Wir waren besorgt, wir haben gewarnt, wir haben dagegen schriftlich Einwand erhoben und es hat alles nichts genutzt.
Der Parteipolitiker und derzeitige Bundesjustizminister Marco Buschmann von der „FDP“ hat in 2016 seine Dissertation zum Thema „EuGH und Eigentumsgarantie“ verfasst und war in 2021 gerichtlich erfolgreich gegen den Berliner „Mietendeckel“ unterwegs.
Sein neuestes Erfolgserlebnis: Die dauerhafte Abschaffung der in Deutschland bis zur Corona-Pandemie etablierten „Real-Life“-Hauptversammlungen (HV) von Aktiengesellschaften (AG), bei denen jede*r Aktionär*in – unabhängig von Stand und Anzahl der in Besitz befindlichen Aktien – das Recht hatte, den Vorständen und Aufsichtsräten der Konzerne in die Augen blicken zu können und kritische Fragen (und Nachfragen!) zu stellen.
Das hat er erreicht, indem er im letzten Jahr mittels Änderung des Aktiengesetzes (AktG) dafür sorgte, dass den Aktiengesellschaften das Recht eingeräumt wurde, auch in den Nach-Corona-Zeiten so genannte „virtuelle Hauptversammlungen“ durchzuführen.
Das nutz(t)en die Großunternehmen sogleich weitreichend und haben sich nun in diesem Jahr zudem von ihren (Groß-)Aktionären das pauschale Recht erteilen lassen, den Vorstand allein und eigenmächtig darüber urteilen zu lassen, ob der Weg irgendwann zurück zu Präsenz- oder Hybrid-Versammlungen führten wird oder nicht.
Dass man damit aber nicht rechnen kann, das ist bereits jetzt schon absehbar.
Wir haben 27 AGs mit der Bitte um Stellungnahme zum Thema angeschrieben und die Rückmeldungen der 17 antwortenden Konzerne ausgewertet. Erstaunlicherweise erscheint uns gerade die Antwort des Rüstungskonzerns Rheinmetall mit Abstand am ehrlichsten, wenn dieser uns schreibt:
„Die Rheinmetall AG macht von ihren gesetzlichen Möglichkeiten zur Einberufung einer virtuellen Hauptversammlung Gebrauch. Unter Berücksichtigung der Aktionärs- und Unternehmensinteressen ist es das Anliegen der Unternehmensführung, eine rechtssichere und störungsfreie Veranstaltung zu ermöglichen und dabei etwaige Risiken – insbesondere mit Blick auf die sicherheitspolitischen Zusammenhänge – von vornherein auszuschließen.„
Auf gut deutsch: Man freut sich, mittels virtueller Versammlungen ungeliebter Kritik und unerwünschten Protesten und Demonstrationen entziehen zu können.
Die Konzerne antworteten uns mit großer Mehrheit, dass man sicher oder mit großer Wahrscheinlichkeit auch zukünftig nur rein virtuelle Aktionär*innentreffen durchführen würde. Von einer Offenheit zu hybriden Hauptversammlungen, die die Vorteile virtueller und Präsenzveranstaltungen ideal kombinieren würden ist in den Antworten an uns nichts zu spüren.
Als Gründe für diese Einstellung wurden uns hauptsächlich vorgetragen, dass eine virtuelle HV mehr Aktionär*innen als sonst die Teilnahme ermöglichen würde und auch billiger sei. Ebenso wurde oft argumentiert, dass eine virtuelle Hauptversammlung nachhaltiger sei. Wer einen Blick auf die Liste der Konzerne wirft, die mit diesem Grund eine direkte Konfrontation mit ihren Anteilseignern ablehnen, der mag sich die Augen reiben, wer nun auf einmal die Umwelt als Argumentationskanone für sich entdeckt hat, aber nun gut …
Das Kind scheint in den Brunnen gefallen zu sein. Die Bedeutung echter, in Präsenz ausgeführter Hauptversammlungen und der dadurch gepflegten zivilgesellschaftlichen Konzernkritik hat keine Lobby, weder in der Öffentlichkeit und erst recht nicht bei Herrn Buschmann oder anderen Parteikolleg*innen von der FDP, mag sie sich auch noch so als „Bürgerrechtspartei“ zu verkaufen versuchen.
Abschließend – wenn auch vergebens – hier noch der Ausschnitt aus der am 16.3.2022 an das Bundesjustizministerium gerichteten Eingabe mit Bedenken und Kritik an der nun umgesetzten Gesetzesänderung. Eine Stellungnahme, die übrigens bis dato ohne jegliche Reaktion oder Rückmeldung seitens des Ministeriums geblieben ist.
„Die Kritik in groben Zügen wie folgt:
- Rein „virtuell“ abgehaltene HV können nicht die Praxis, Lebendigkeit und Wirksamkeit echter Begegnungen und persönlichen Anreden phyischer oder hybrider HV ersetzen. Ebendiese Lebendigkeit in Form eines echten Dialogs zwischen Vorstand und Aufsichtsrat einerseits und Aktienhalter*innen andererseits macht den besonderen Wert des deutschen Aktienrechts und der deutschen Aktionärskultur aus, die erst mit Beginn der rein virtuellen HV mit Beginn der Corona-Pandemie ein jähes Ende fand. Es ist ein großer Unterschied, ob sich die Verantwortlichen einer AG Auge in Auge der Kritik von Aktionär*innen stellen müssen oder ob Sie sich diese lediglich auf einem Bildschirm gefallen lassen müssen. Eine zwischenmenschliche Interaktion in Worten, Gesten und mittels Stimmungen ist in letzterem Fall nicht möglich.
- Bei ausschließlich virtuellen HV werden die Menschen ausgeschlossen, die aus technischen Gründen, aus persönlichkeitsrechtlichen Gründen oder aus Gründen der persönlichen Befähigung nicht in der Lage oder nicht willens sind, sich der Online-Beteiligung zu stellen.
- Die in § 130a (4) des Entwurfs der Gesellschaft bzw. dem Versammlungsleiter erteilten Befugnisse, Redezeiten zu beschränken und über die Reihenfolge der Redebeiträge (unabhängig vom chronologischen Eingang der Redebeitraganträge) geben den AG’s einen erheblichen Einfluss, den diese in ihrem Sinne nutzen könnten, um unliebsame Beiträge inhaltlich zu beschneiden oder durch Verschiebung an das Ende der Beiträge in ihrer Beachtung und Wirkung benachteiligen zu können. Etwaige gleichgerichtete Versuche bei nicht-virtuellen HV konnte bislang durch Interventionen von Ationär*innen Einhalt geboten werden. Das wäre bei virtuellen HV dann aus technischen Gründen nicht mehr möglich.
- Der § 130a (6) beinhaltet ein großes Missbrauchspotential, das zum Ausschluss potentiell missliebiger Redebeiträge ausgenutzt werden könnte. Rechtsschutz hiergegen wurde nicht vorgesehen.
- Der § 130a (7) und vor allem der § 131 (1d) beschränken das Nachfragerecht auf Nachfragen zu Antworten selbst gestellter Fragen. Das ist eine massive Einschränkung der Aktionärsrechte, denn sachlich substantielle Nachfragen zu Antworten von Fragen anderer Aktionär*innen werden so pauschal und ohne ersichtlichen Grund unterbunden. Es ist bzw. war gelebte Praxis und Ausdruck einer HV-Debattenkultur, dass man als Aktionär*innen sinnvolle und begründete Nachfragen zu erst während der laufenden HV erhaltenen Informationen/Auskünfte stellen kann/konnte, stammten diese aus Bemerkungen oder Antworten von Vorstand oder Aufsichtsrat.
- Der § 131 (1b) des Entwurfs ist inhaltlich unbestimmt, wenn von einer „angemessenen Beschränkung“ des Umfangs eingereichter Fragen die Rede ist. Auch das birgt ein erhebliches Missbrauchspotential.
- Der § 131 (1d) lässt offen und unbestimmt, in welcher Form Nachfragen gestellt werden können. Als Textnachricht im Online-Portal oder per Videoschalte?
- Grundsätzlich ist die Trennung von Redebeitrag und Fragestellung ein schwerwiegender Eingriff in die Praktizierung einer lebendigen Debatten- und Gesprächskultur. Viele Fragestellungen ergeben nur im Kontext eines zuvor im Redebeitrag erläuterten Kontextes einen Sinn. Die Aufspaltung von Redebeitrag und Fragestellung würde zu einer Entwertung der Aktionärsrechte führen.“
Danke für nichts, Herr Buschmann!