Kommunikationskonzern Ströer verweigert Kommunikation, und doch kommt raus: Unlimitierte Aufrüstung für Hannover mit Riesen-Digital-Screens vereinbart, 50 Bauanträge liegen schon vor

Seit Dezember 2021 bitten wir den Medienkonzern Ströer um die Beantwortung einer Presseanfrage. Es geht darin – wie schon berichtet – um Fragen zur Ausweitung der Werbemaßnahmen im öffentlichen Raum der niedersächsischen Landeshauptstadt Hannover (LHH).

Die sonst professionell agierende Medien-AG (und zugleich schattenhaft agierender Influencerkonzern) will uns dazu nicht antworten und reagiert ungewöhnlich dumb:

Wir werden zunächst vertröstet, dann von Hannover an die rheinländische „zentrale Unternehmenskommunikation“ verwiesen und dort wird uns nach zwei Telefonaten mit der geduldigen und höflichen Bitte um Beantwortung unserer Anfrage bei weiteren Anrufen nun nur noch eine Handy-Mobilbox zugeschaltet. Gefühlt wurde unsere Redaktion auf eine schwarze Ströer-Liste unerwünschter Anrufer eingetragen. Unsere auf dem Anrufbeantworter des Kommunikationsprofis aufgesprochenen Bitten um Rückmeldung verhallen dementsprechend unbeantwortet. Noch nicht einmal zu einer Absage zur Bitte um Antworten kann sich der Konzern durchringen.

Was trotz alledem seitens der Pressestelle der Stadt Hannover und anderer, hier im Detail nicht weiter benennbarer Quellen rauskam:

Die Stadt Hannover hat dem Ströer-Konzern bezüglich der Ausweitung der Werbeanlagen durch Umbau von festen oder rollierenden Plakatschildern auf digitale Leinwände einen Freifahrtschein erteilt:

„Vertraglich ist keine Gesamtanzahl an Anlagen festgelegt.“

Mit anderen Worten: Ströer kann so viele der massighaft vorhandenen Groß-Werbeanlagen in Digital-Screens umbauen, wie es will. Und derzeit liegen bereits rund 50 Bauanträge dazu vor, wie uns zugetragen wurde. Auch ohne die uns gegenüber verweigerte Auskunft von Stadt und Konzern haben wir bereits knapp 20 neue oder im Bau befindliche Anlagen registriert (Liste).

Dass derlei vertraglich ungehemmte Ausweitung der Verseuchung öffentlichen Stadt-Lebensraums mit unausweichbarer Dauer-Werbe-Beflimmerung möglichst gar nicht erst öffentlich diskutiert werden soll ist nachvollziehbares Interesse der Ströer-Drahtzieher. Dass man sich dabei aber über das Recht und die Bedürfnisse der Bewohner dieser Stadt auf Erholung einfach hinwegsetzt, das ist die andere Seite der Medaille.

Bei der Forderung zu „Hannover werbefrei“ geht es um das Recht, im öffentlichen Raum unbelästigt zu bleiben und in Ruhe gelassen zu werden – es geht um ein Ende des Verkaufs von erzwungener Aufmerksamkeit von Menschen. Es geht aber weiter auch um Klimaschutz, denn jedes einzelne der neuen Riesendisplays soll angeblich so viel elektrische Energie verschwenden, wie 15 2-Personen-Haushalte. Wenn Ströer & Co. dann argumentieren, dass man doch nur regenerativ erzeugte elektrische Energie verbrauche, so versucht man damit nur abzulenken oder hat nicht verstanden, dass die Devise der Zukunft das Einsparen von Energie lauten wird. Die von den grellen Anzeigen ausgehende massive Lichtverschmutzung ist dann nur noch ein weiteres, bislang totgeschwiegenes Problem der Werbeaufrüstung.

Während das Thema in der Landeshauptstadt derzeit noch kaum Gemüter bewegt, hat sich (nach „Berlin werbefrei“) in Hamburg das Bündnis „Hamburg werbefrei“ etabliert und startklar gemacht, um mittels Gesetzentwurf und Volksinitiative eine werbeärmere und dafür lebenswertere Hansestadt zu erzielen.

Die Haltung hannoverscher Lokalpolitiker wird dem gegenüber durch folgende Ausschnitte aus einem Zeitungsbeitrag aus 2019 deutlich und soll hier weitgehend unkommentiert – weil selbstbelichtend – bleiben:

Werbung gehört seit Generationen zum Stadtbild der Landeshauptstadt Hannover und sollte daher in einem vernünftigen Maß betrieben und fortgeführt werden“, sagt Stadtsprecher Dennis Dix. Die Werbung im öffentlichen Raum leiste einen „erheblichen Beitrag“ zur Finanzierung der weitgehend kostenlosen öffentlichen Toiletten. (…) Hannovers Marketing- und Tourismuschef Hans Nolte sieht in Werbung „einen Beleg für die Kaufkraft und die Lebendigkeit einer Stadt“. Sie dürfe Menschen „nicht an jeder Ecke belästigen“. In Hannover habe man aber einen guten Kompromiss gefunden. Das sieht auch SPD-Mann Lars Kelich so. „Es gehört zum städtischen Leben dazu. Es muss ja nicht aussehen wie in Las Vegas“, sagt er. Auch aus Sicht von FDP-Fraktionschef Wilfried Engelke „wird eine Stadt belebt von Werbung.“

Nur soviel dazu:

Wer Hannover kennt, gerät beileibe nicht ins Schwärmen über genügend allgemein zugängliche Toiletten. Und tatsächlich belästigt die Ströer-Werbung die Hannoveraner eben doch so gut wie „an jeder Ecke“. Wer das nicht glaubt, soll kommen und sich umsehen. Und das ist alles andere als „ein Beleg für die Lebendigkeit einer Stadt“. Wir fragen uns, wie weltentrückt ein Mensch muss, um so eine Interpretation erfinden zu können geschweige denn diese öffentlich zu äußern und zu vertreten zu wagen …

Redaktionelle Anmerkung zum Schluss:

Die von Ströer selbst bereitgestellte, beeindruckende Kartenübersicht über die Positionen aller Werbeanlagen in Hannover ist nach der Verlinkung in einem Beitrag von uns vom Januar 2021 leider offline geschaltet worden … damals waren es rund 4.600 Ströer-Werbeanlagen alleine in der Stadt Hannover (ohne die Region!), die dort aufgeführt waren.

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