Am 1.10.2021 gab es in Garbsen nahe bei Hannover einen Polizeieinsatz. Ein so genanntes „SonderSpezialeinsatzkommando“ (SEK) setzte dabei eine Taser-Elektroschock-Pistole ein. Der Mann, der in dem Zuge „überwältigt“ wurde verstarb kurz darauf in ärztlicher Behandlung.
Die Polizei hatte den Einsatz des Tasers der Presse und Öffentlichkeit gegenüber zunächst verschwiegen.
Wir hatten dazu nachrecherchiert und im Oktober 2021 darüber berichtet – auch darüber, dass das Innenministerium Niedersachsens dazu mauerte und viele Fragen zum Vorfall aber auch zum Einsatz von Taserwaffen bei der Polizei insgesamt aus nicht nachvollziehbaren Gründen nicht beantworten wollte.
Nicht alle, aber einige unserer Fragen hat dann freundlicherweise die Landtagsfraktion der Bündnis90/Grünen aufgegriffen uns als Kleine Anfrage in den Landtag eingebracht – die Antworten dazu liegen inzwischen vor.
Und? Was kam gehaltlich dabei heraus?
Knapp zusammengefasst, bewertet und kommentiert:
1. Zum nach einem Tasereinsatz gestorbenen Menschen
2. Zum Einsatz von Tasern bei der niedersächsischen Streifenpolizei
3. Nichts gelernt: Taser als angeblich „nicht letale“ Waffe
4. Taser-Statistiken für Niedersachsen
5. Geheime bundesweite Auswertung polizeilicher Taser-Einsätze
6. Fazit
Im Einzelnen:
Zum nach einem Tasereinsatz gestorbenen Menschen
Zum Einsatz „mit Todesfolge“ will man auch weiterhin nicht viel mitteilen. Man habe den Innenausschuss in Hannover am 19.10.2021 schriftlich darüber unterrichtet. Erst auf weitere Nachfrage stellt sich heraus: Dieser Bericht wurde als „vertraulich“ eingestuft, ist also nicht-öffentlich.
Immerhin soviel: Die Staatsanwaltschaft hat das Ermittlungsverfahren wegen fahrlässiger Tötung „zum Nachteil des Verstorbenen“ (sic!) am 28.1.2022 eingestellt. Der SEK-Beamte habe gerechtfertigterweise in Notwehr gehandelt.
Und: Dem Obduktionsergebnis zufolge habe der Tod des Menschen nichts mit dem Einsatz des Tasers zu tun. Woran der mit Elektroschock außer Gefecht gesetzte Mensch dann gestorben ist, darüber kein einzelnes Wort …
Darüber hinaus ist noch folgendes bemerkenswert: Das „hinzugezogene“ SEK sei eine Polizeieinheit aus Nordrhein-Westfalen gewesen. Aber auch hierzu kein Wort der Erklärung/Erläuterung.
Und dabei stellten sich nun einige Fragen alleine zu dieser Neuigkeit: Warum wurde ein SEK aus NRW angefordert und eingesetzt? Ist das SEK aus NRW bzgl. der Einsatzregeln an die Taser-Vorgaben in Niedersachsen gebunden oder nicht und falls ja, wurden diese eingehalten? Gibt es Unterschiede in Ausbildung und Schulung der SEK und ihrer Taser-Bewaffnung und -Einsätze zwischen Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen?
Die Fragen bleiben unbeantwortet im Raum stehen.
Zum Einsatz von Tasern bei der niedersächsischen Streifenpolizei
Einen solchen fordert die Fraktion der rechten AfD in Niedersachsen lauthals, wird aber der Beantwortung der Kleinen Anfrage zufolge aus gutem Grund abgelehnt (Hervorhebungen hier wie im folgenden durch uns):
„Bei den Kräften des SEK NI dauert die Grundeinweisung zur Erlangung einer ersten Handlungssicherheit zwei Tage. Hierin enthalten ist eine theoretische Einweisung, eine praktisch technische Einweisung für das Gerät und eine Einweisung in situative Anwendungen im Rahmen von unterschiedlichen Szenarien. Zudem nimmt jeder Einsatzbeamte durchschnittlich etwa sieben bis zehn Mal jährlich wiederkehrend an taktischen Fortbildungen, in welchen der Umgang und die Anwendung des DEIG geschult werden, teil. Des Weiteren muss jede Einsatzkraft gemäß Erlassvorgabe jährlich an einer mindestens achtstündigen Einweisung teilnehmen. Darüber hinaus wird bei dem SEK NI das Einsatzmittel DEIG auch in alle allgemeinen Taktiktrainings integriert. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass für das SEK NI ein regelmäßiges, mehrfach jährlich fortgesetztes Training im Umgang mit dem DEIG erforderlich ist, um mit diesem auch in Hochstress-Situationen nachhaltig handlungssicher zu bleiben. (…) Neben der Schusswaffe führen die Einsatzkräfte noch weitere Waffen mit, wie z. B. den Einsatzstock, oder Hilfsmittel der körperlichen Gewalt, wie z. B. das Reizstoffsprühgerät, sowie zusätzliche Führungs- und Einsatzmittel, wie z. B. die Taschenlampe am Ausrüstungsgürtel bzw. an der Außentragehülle. PVB des ESD müssen daher in einer Gefahrensituation diese korrekt einschätzen und das rechtlich zulässige sowie situativ angemessene Einsatzmittel einsetzen. Diese sogenannte Auswahlkoordination erfordert ein intensives Training (…)“
Und deswegen:
„Der Einsatz des DEIG wird auch zukünftig ausschließlich im SEK NI zugelassen.„
Zur Erläuterung: „DEIG“ ist die noch weiter verharmlosende Abkürzung des euphemistisch-bürokratischen Begriffs „Distanzelektroimpulsgerät“ – vulgo: Taser-Elektroschocker.
Und auch das noch: Inwieweit diese pragmatische Ansage Bestand haben wird, wird sich wohl erst nach der im Herbst 2022 anstehenden Landtagswahl in Niedersachsen zeigen.
Nichts gelernt: Taser als angeblich „nicht letale“ Waffe
Traurig und bedrückend: Noch immer versucht das niedersächsische Innenministerium die Unwahrheit fortzuschreiben und weiter zu manifestieren, wonach die Taserwaffe nicht-tödlich sei:
„Das DEIG bietet den Vorteil der nicht letalen Wirkung und einer nahezu ausgeschlossenen Gefährdung des Umfelds bei der Benutzung.“
Das ist schlichtweg falsch. Also: Gelogen.
Taser-Statistiken für Niedersachsen
Seit Juni 2013 wird der Taser in Niedersachsen eingesetzt. Wie erwähnt „nur“ bei den SEK’s der niedersächsischen Polizei.
Seither habe es angeblich keinen Todesfall und auch keine schwerwiegenden Verletzungen im „kausalen Zusammenhang“ mit dem Einsatz von Tasern gegeben – beteuert das Nds. Innenministerium.
Nachfolgend dargestellt die Anzahl von Tasereinsätzen in den Jahren 2013 bis 2021. Es waren insgesamt 64 Einsätze. Ob der Einsatz mit Todesfolge vom Oktober 2021 mitgezählt wurde bleibt dabei unklar – mal spricht man von „Einsätzen von DEIGs in Niedersachsen“, mal von „Einsätzen des DEIG beim SEK Niedersachsen“. Das sind aber Äpfel und Birnen.
Die Anzahl der Einsätze schwankt stark, lässt keine signifikante Tendenz erkennen.
In 2018 gibt es einen für uns nicht erklärbaren deutlichen Anstieg von Taserwaffen-Einsätzen.
Lediglich auffallend ist die besonders häufige Nutzung des Tasers zu Beginn der Tasereinsätze in 2013 und 2014. Man beachte, dass für die 14 Einsätze in 2013 ja nur grob ein halbes Jahr zur Verfügung stand. Man könnte insofern mutmassen, dass die Elektroschocker-Pistole zu Beginn ihrer Einführung überproportional beliebt war und zum Einsatz kam und dann (falls das überhaupt stimmt, aus dann von uns aus nicht nachvollziehbaren Gründen) der Einsatz insgesamt be- bzw. eingeschränkt worden ist. Eine weitere Interpretation verbietet sich mangels Informationen.
Geheime bundesweite Auswertung polizeilicher Taser-Einsätze
In der Beantwortung der Kleinen Anfrage heißt es:
„Dem Polizeitechnischen Institut der Deutschen Hochschule der Polizei wird eine Auswertung der niedersächsischen DEIG-Einsätze, inklusive potenzieller Verletzungen, als Jahresstatistik zugeleitet (…) Seitens der Deutschen Hochschule der Polizei wird eine bundesweite, jährliche Statistik zum Einsatz des DEIG geführt. Diese ist gem. der Verschlusssachenanweisung als geheimhaltungsbedürftig in der Stufe „VS-Nur für den Dienstgebrauch“ eingestuft und kann an dieser Stelle nicht dargelegt werden. Das Ministerium für Inneres und Sport ist natürlich bereit, die Statistik auf Anforderung dem Ausschuss für Inneres und Sport in nicht öffentlicher Sitzung darzustellen“
Tja, da ist sie nun wieder – die übliche Intransparenz polizeilichen Handelns. Und besonders immer dann, wenn es um so brisante Dinge wie den höchst umstrittenen Einsatz von Elektroschockern bei der Polizei geht.
Es ist nicht nachvollziehbar, warum die von Zusammentragung der Taser-Einsatz-Zahlen samt dazugehöriger Randdaten nicht öffentlich gemacht wird. Soweit diese Daten keine Persönlichkeitsrechte Betroffener verletzen gehören sie dem internen Polizeizirkel entrissen und in die allgemeine, öffentliche und von der sog. Zivilgesellschaft getragenen kritischen Diskussion um den Einsatz von Polizei-Tasern eingebracht.
Um die polizeilichen Einsätze von Tasern (egal ob mit oder ohne den darauffolgenden Tod der Opfer von Polizeieinsätzen) wird weiter Geheimiskrämerei betrieben. Und das, obwohl die Nutzung von Elektroschockern höchst heikel ist. Taserwaffen können Menschen umbringen. Sie wirken entwürdigend und können seitens der Polizei in erniedrigender Weise eingesetzt werden.
Selbst unter Betrachtung aller „guten“ Eigenschaften von Tasern gegenüber anderen Waffen oder „Einsatzmitteln“:
Taser gehören nicht in die Hände der Polizei!
[UPDATE 12.4.2022]
Die Abkürzung „SEK“ steht für „Spezialeinsatzkommando“ und nicht für „Sondereinsatzkommando“, wie von uns ursprünglich betitelt. Wir haben den Fehler korrigiert und danken den Hinweisen dazu.