Am 14.12.2020 erklärte die Polizeidirektion Hannover (PDH) mittels Pressemitteilung, dass sie im „Herbst 2020“ mit 34 Bodycams ausgestattet worden sei und diese nunmehr breit einsetzen werde.
Auf eine Presseanfrage unserer Redaktion vom gleichen Tag (14.12.) antwortete die für diese Mitteilung zuständige Pressesprecherin erst mit mehr als zweiwöchiger Verzögerung am 30.12.2020 – und das auch erst, nachdem wir eine Beantwortung unserer Nachfragen angemahnt hatten. Dadurch schuf sich die Polizeidirektion Hannover einen medialen Erst-Interpretations-Freiraum, indem diese Nachricht kritisch nicht hinterfragt und nur einseitig beleuchtend mediale Verbreitung fand – eine leider nicht unübliche Pressestrategie zur Minimierung unliebsamer Berichterstattung.
Somit also mit der entsprechenden zeitlichen Verzögerung ein paar kritische Anmerkungen, die sich u.a. aus der Beantwortung unserer Anfragen ergeben:
- Fragwürdiges Argument: „Anhaltend hohe Anzahl von Gewaltdelikten gegenüber Polizeibeamtinnen und -beamten“
- Unbelegte Wirksameit polizeilicher BodyCams
- Geheimhaltung des Pilotprojekt-Evaluations-Ergebnisses
- SPD-Wortbruch gegenüber der Öffentlichkeit im Zuge der Einführung von Polizei-Bodycams
- Verschweigen des Pre-Recordings
- Intransparenz zu allen Kostenfragen
- Intransparenz Datenschutzfolgeabschätzung
- Ungenügende Aufklärung der von den BodyCam-Aufzeichnungen Betroffenen
- Unklare Hierarchien
- Unklare Kennzeichnung
Im Detail:
Fragwürdiges Argument: „Anhaltend hohe Anzahl von Gewaltdelikten gegenüber Polizeibeamtinnen und -beamten“
Die PDH lieferte uns Zahlen aus der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS), die diese „hohe Anzahl von Gewaltdelikten“ belegen soll. Wir haben diese in nebenstehendes Liniendiagramm übertragen. Zunächst ist wichtig: Die PKS erfasst Falleingangszahlen, nicht jedoch das Ergebnis von Strafverfahren aus diesen Einzelfällen. Damit ist die PKS per se nicht oder nur sehr eingeschränkt argumentativ zulässig.
Weiter: Eine signifikante und über die regionalen Einzelzahlen hinaus einheitliche Entwicklung von Fallzahlen kann nicht festgestellt werden. Eher im Gegenteil, wenn man die mittels umstrittener Gesetzesänderung der Paragraphen 113-115 des StGB im Frühjahr 2017 berücksichtigt. Diese führt nämlich durch die eklatante Ausweitung von Straftatbeständen zwangsläufig zu einer Zunahme von Fallzahlen – müsste es zumindest. Das zeichnet sich aber in den vorliegenden Werten oder nur ansatzweise ab, was möglicherweise eher als Rückgang von Vorfällen von Gewalt an Polizeibeamt*innen zu interpretieren ist.
Und überhaupt muss bei der gesamten Betrachtung dieses Teilkomplexes immer mit angemerkt werden, dass die Strafverfolgung von Gewalt an Polizist*innen ganz anderen, günstigeren (und Nicht-Polizist*innen benachteiligenden!) Bedingungen unterliegt. Ganz anders als bei (dem Gesetz nach rechtswidriger) Polizeigewalt, also strafbare Gewalt von Polizist*innen an Menschen.
Unbelegte Wirksameit polizeilicher BodyCams
Ein sachlicher, wissenschaftlich neutral untermauerter Beleg für die behauptete (nachhaltige) Wirksamkeit von BodyCams beim Einsatz durch die Polizei fehlt nach wie vor. Siehe beispielhaft den frischen Beitrag der CILIP zum Piloteinsatz von Bodycams bei der Polizei Sachsen-Anhalt.
Zu einer umfassenderen Bewertung und Kritik von Polizei-Bodycams und der mangelhaften Verhältnismäßigkeit dieses Mittels siehe bspw. unsere Stellungnahme an den schleswig-holsteinischen und an den niedersächsischen Landtag und die aktive Begleitung der salamitaktik-artigen Einführung der Bodycams in Niedersachsen aus den vergangenen Jahren.
Geheimhaltung des Pilotprojekt-Evaluations-Ergebnisses
Die Pressemitteilung der PDH begründet den landesweiten Einsatz von Bodycams wie folgt:
„Das Pilotprojekt hat gezeigt, dass die Bodycams ein sinnvolles Einsatzmittel zur polizeilichen Gefahrenabwehr darstellen können. Insbesondere im Hinblick auf die Eigensicherung bei Anhalte- und Kontrollsituationen im öffentlichen Raum tragen sie nach den bisherigen Erfahrungen zur Deeskalation bei.“
Doch auf die Frage nach dem Evaluationsbericht beginnt die Polizei Hannover dann zu mauern:
„Nein, [es] ist nicht möglich, [der Presse den Abschlußbericht des Pilotprojekts zukommen zu lassen,] da es sich um eine Verschlusssache handelt.“
Aber warum denn das? Wie sollen die zitierten Behauptungen der Polizei überprüft werden können, wenn man noch nicht mal einen Blick in einen teilgeschwärzten Evaluationsbericht werfen kann?
Übertrieben gesagt: Die Polizei mag behaupten was sie will. Ohne Veröffentlichung des Evaluationsbericht bleibt sie darin unglaubwürdig und die Begründung bleibt substanzlos, die dahinterliegende Strategie der Polizei absurd.
SPD-Wortbruch gegenüber der Öffentlichkeit im Zuge der Einführung von Polizei-Bodycams
Während führende SPD-Innenpolitiker im Zuge von Diskussionen z.B. in 2016 im nds. Innenausschuss noch betonten, dass es in Niedersachsen – anders als in anderen Bundesländern – eine umfassende, zeitlich mit viel Vorlauf ausgestattete und vor allem neutrale Evaluation eines etwaigen Bodycam-Pilotprojektes gebe kam es ganz anders, ja genau andersherum: Die Initiierung des nds. Pilotprojekts kam über Nacht, ohne vorherige Hinzuziehung wissenschaftlichen Beistands und – vermutlich vom SPD-Innenminister Pistorius vorangetrieben – übers Knie gebrochen. Siehe dazu unsere ausführliche Chronologie der Vorgänge bei SPD und im Landtag der Jahre 2016/2017.
Verschweigen des Pre-Recordings
In der Pressemitteilung der PDH heißt es:
„Die Aufzeichnungen müssen offen erfolgen, also für den Betroffenen in der konkreten Einsatzsituation erkennbar sein. (…) Die Bildaufzeichnung erfolgt nicht permanent, sondern nur anlassbezogen bei Auslösen durch den kameraführenden Polizeibeamten oder der -beamtin.“
In der Beantwortung unserer Anfrage lautet es auf unsere konkrete Nachfrage dagegen:
„Ja, diese [Pre-Recording-]Funktion gibt es. Nach dem Aktivieren dieser Funktion wird die Kamera für 30 Sekunden in den Bereitschaftsmodus gesetzt.“
Die Polizei meint also, ein Pre-Recording nicht als „Aufzeichnung“ interpretieren zu müssen. Das sehen nicht nur wir anders. In der Pressemitteilung wird das Pre-Recording zudem explizit verschwiegen. Transparente und ehrliche Kommunikation sieht anders aus.
Ein laufendes Pre-Recording ist – um es mal zugespitzt auszudrücken – ein permanenter Bildaufzeichnungs- und Lauschangriff für sämtliches von der Bodycam erfasste Umfeld des öffentlichen Raums.
Intransparenz zu allen Kostenfragen
Ebenso armverschränkt wie bei der Frage zur (Nicht-)Veröffentlichung des Pilotprojekt-Abschlussberichts verhält sich die Polizei zur Frage nach den Kosten für die Bodycams, deren Anschaffung, Betrieb und die dazugehörige IT-Infrastruktur:
„Inhalte aus Verträgen stellen Geschäftsgeheimnisse dar, über die durch die Polizei aus vertragsrechtlichen Gründen keine Auskünfte erteilt werden.“
Kostenfragen sind stets Teil einer Verhältnismäßigkeitsabwägung. Dass die Polizei auch hierzu keine Öffentlichkeit wünscht und eine fadenscheinige Ausrede zurschaustellt schürt Misstrauen.
Intransparenz Datenschutzfolgeabschätzung
Eine Datenschutzfolgeabschätzung (DSFA) zu den niedersächsischen Polizei-Bodycams gäbe es nicht, so die Polizei Hannover:
„Der Landesbeauftragten für den Datenschutz Niedersachsen (LfD) wurde 2017 eine Vorabkontrolle für das Verfahren „Bodycam“ vorgelegt. (…) Nach Einführung eines anderen Kameratyps ergab eine zusätzliche Durchführung einer Schwellwertanalyse keine Erforderlichkeit zur Erstellung einer Datenschutz-Folgenabschätzung (DSFA). Die o. g. Vorabkontrolle ist damit weiterhin gültig.“
Es wäre interessant einen Vergleich zur Notwendigkeit oder Nicht-Notwendigkeit einer DSFA von Polizei-Bodycams mit anderen Bundesländern zu ziehen …
Die Aushändigung oder Ineinsichtnahme der Vorabkontrolle wird uns dann aber auch wie vieles andere verweigert:
„Es wird um Verständnis gebeten, dass die genannten Dokumente nicht öffentlich sind und damit nicht an Dritte herausgegeben werden dürfen.“
Verständnis könnten wir nur dann dafür entwickeln, wenn die Nicht-Herausgabe inhaltlich nachvollziehbar begründet werden würde. Das leistet die Polizei Hannover jedoch leider nicht.
Ungenügende Aufklärung der von den BodyCam-Aufzeichnungen Betroffenen
Wie ist das eigentlich, wenn mensch (aus welchen Gründen auch immer) von einer Polizei-Bodycam gefilmt worden ist? Welche Rechte auf Einsicht der Aufzeichnungen hat sie/er als Betroffende*r und wie weist die Polizei die Menschen auf ihre Rechte hin? Die Antworten der Polizei auf diese Nachfragen lassen nichts Gutes befürchten:
„Von einer Videoaufzeichnung potentiell betroffene Bürgerinnen und Bürger werden ausdrücklich mündlich darauf hingewiesen, dass die Aufnahme erfolgt. Sie erhalten auf Nachfrage eine Auskunft zur ihrem Recht auf Inaugenscheinnahme der Videoaufnahmen über die Datenschutzbeauftragte der Polizeidirektion Hannover.“
Im Klartext: Die Betroffenen erhalten keinen Hinweis auf ihre Auskunftsrechte, wenn sie nicht explizit danach fragen.
Wer sich nur annähernd eine praxisnahe Situation vorstellen mag erkennt unmittelbar, wie absurd und befremdlich ein solcher Umgang ist. Praktisch dürfte das dazu führen, dass die Betroffenen in aller Regel nie über ihre Rechte aufgeklärt werden.
Auf unsere Frage, welche Teile der Polizist*innen die Aufzeichnungen ansehen, welche andere Teilgruppen diese auch verändern, schneiden, manipulieren oder löschen können antwortet die Polizei im Detail sehr unscharf wie folgt:
„Der datenschutzrechtlich konforme Einsatz von Bodycams in Niedersachsen erfolgt unter anderem auf Grundlage eines abgestuften Rollen- und Berechtigungskonzepts. In diesem Zusammenhang sind in der jeweiligen Dienststelle verschiedene Rollen vorgesehen, bei denen nur ein sehr beschränkter Personenkreis neben einem vollen Lesezugriff über die Möglichkeit verfügt, Aufnahmen auch zu löschen.“
Was heißt das nun konkret?
Nur „ein sehr beschränkter Personenkreis“ kann die Aufzeichnungen bearbeiten und löschen. Doch was heißt das, „sehr beschränkter Kreis“? Und wie groß ist der nächste Kreis derjenigen, die „nur“ „vollen Lesezugriff“ haben?
Ohne eine weitere Konkretisierung ist diese Antwort genau genommen nichts wert.
Zur Kennzeichnung der Bodycams heißt es in der Polizei-Pressemitteilung:
„Die Aufzeichnungen müssen offen erfolgen, also für den Betroffenen in der konkreten Einsatzsituation erkennbar sein. Deshalb tragen die mit einer Bodycam ausgerüsteten Einsatzkräfte ein gut sichtbares Schild mit der Aufschrift „Videoaufzeichnung“ an ihrer Uniform. (…) Vor der Aktivierung der Aufzeichnung ist diese den betroffenen Personen grundsätzlich mündlich anzukündigen. An der oberen Seite der Bodycams zeigt eine rot leuchtende LED an, dass Bild- und Tonaufnahmen aufgezeichnet werden.“
Und in einer Antwort auf unsere Nachfragen zum Pre-Recording:
„Die [Pre-Recording-Funktion] wird durch eine grün leuchtende LED optisch angezeigt. Für eine Aufnahme muss der Kameraträger erneut den Aufnahmeknopf drücken. Die LED wechselt dann ihre Farbe in „rot“.“
Woher sollen unbedarfte Menschen wissen, dass an diesem bestimmten Bodycam-Typ eine grüne LED für Pre-Recording steht und eine rot-leuchtende Lampe Aufzeichnung bedeutet? Ohne eine vorherige mündliche Aufklärung ist das praktische niemandem ersichtlich. Und inwiefern eine in der Hektik der Situation erteilte mündliche Belehrung und Funktionserklärung (falls sie überhaupt in dieser Form erfolgt!) von den Menschen verstanden und alle damit verbundenen Konsequenzen erfasst werden können, das darf mit gutem Gewissen sehr in Zweifel gezogen werden. Da nützt auch der sonst sinnvolle Schriftzug „Videoüberwachung“ nichts, der ja nicht erst angeklettet wird, wenn die Kamera eingeschaltet wird.
Außerdem: Anders als Bodycam-Modelle anderer Polizeien besitzt das in Niedersachsen (aus welchen Gründen?) gewählte Modell „Zepcam T2+“ keinen Bildschirm, auf den die tätige Aufzeichnung gespiegelt wird. Das hätte einen deutlich aufklärerischen Charakte als eine grün-rot-leuchtende LED und ohen einen solchen Bildschirm erscheint die Bodycam dem Nicht-Fachmann eher wie ein Sprechfunkgerät denn wie eine Kamera mit Tonaufzeichnungsfunktion.