Der Herr Rainer Wendt von der von manchen Menschen als rechtspopulistisch erlebten „Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG)“ hat es mal wieder geschafft: Mit einem am 10.12.2020 angestoßenen Rant werden Polizist*innen nun mitunter als „bessere“ oder „wichtigere“ Menschen behandelt. Oder im Wortsinne aus George Orwells „Animal Farm“:
„ALL ANIMALS ARE EQUAL.
BUT SOME ANIMALS AR MORE EQUAL THAN OTHERS“
Was heißt das?
Die Empfehlung der Ständigen Impfkommission („Stiko“) hatte für die nun bald beginnenden Coronavirus-Impfungen eine Empfehlung zur Reihenfolge der zu bevorzugenden Bevölkerungsgruppen vorgelegt. Darin (siehe Seite 46 des Dokuments) gab es insgesamt sechs Kategorien, die letzte davon umfasste mit ca. 45 Millionen Menschen ohne besondere Priorisierung mehr als die Hälfte der Bevölkerung. Polizisten und Polizistinnen sollten in der Kategorie fünf bevorzugt geimpft werden.
Soweit so gut, doch das war dem Herrn Wendt nicht gut genug.
In einer DPolG-Pressemitteilung vom 10.12.2020 heißt es selbstbewusst [Hervorhebungen durch uns]:
„„Polizistinnen und Polizisten sollten bei den anstehenden Impfungen gegen Corona in der Priorisierung mit als erste berücksichtigt werden.“ Die Reihenfolge des vorgesehenen Impfplans sieht die Polizei erst an vorletzter Stelle vor und damit sollen Polizei-beschäftigte im Prinzip zeitgleich mit allen Bürgerinnen und Bürger geimpft werden. DPolG Bundesvorsitzender Rainer Wendt: „Polizistinnen und Polizisten kommen täglich in ihrem Dienst mit den verschiedensten Menschen in Kontakt in unterschiedlichen, auch gefährlichen Situationen. Abstand zu halten, ist dabei nicht immer möglich, das liegt in der Natur der Sache. Die Polizei hat ihren Auftrag zu erfüllen und das heißt im Zweifel physische Maßnahmen vorzunehmen. Schon jetzt sind zahlreiche Polizistinnen und Polizisten bei der Bundespolizei und den Länderpolizeien mit dem Corona-Virus infiziert. In manchen Dienststellen führt das bereits zu spürbarem Personalmangel. Für Sicherheit und Schutz vor Kriminalität gibt es jedoch keinen Lockdown-Knopf, den man nach Belieben betätigen kann. Die Polizei ist immer im Dienst!“ Die Deutsche Polizeigewerkschaft fordert deshalb, den Impfplan zu überarbeiten und die Polizeibeschäftigten in die erste Stufe der Impfungen aufzunehmen.„
Mann beachte – nebenbei und vorab angemerkt – die sachlich falsche Darstellung, dass die Polizist*innen „im Prinzip zeitgleich mit allen Bürgerinnen und Bürger geimpft werden“ sollen. Diese Aussage erzeugt einen grundlegend falschen Eindruck, wie das maßstabsgerechte Balkendiagramm der Bevölkerungsgrößen der sechs Stiko-Kategorien gut veranschaulicht. Diese Behauptung ist also fahrlässig manipulativ. Ein bekanntes Stilmittel des Herrn Wendt.
Aber zurück zur Sache:
Die 61 Seiten lange und gut begründete Stiko-Impfempfehlung missachtete die Argumente der DPolG gar nicht, sah aber den Schutz von besonders alten und kranken Menschen vorrangig und bewertete das Risiko anderer Berufsgruppen und deren gesellschaftliche Relevanz anders als Herr Wendt. Und das durchaus nachvollziehbar. Wieso sollten bspw. Erzieher*innen, die ganztägig ohne Mund-Nase-Schutz und zurecht und aus guten Gründen ganz ohne die Einhaltung körperlicher Distanz zu den Kindern arbeiten – das sogar mitunter bei offenen Konzepten mit bis zu 100 oder 150 Kindern en bloc – schlechter behandelt werden als Polizist*innen, die eher sporadischen und „nur“ Einzelkontakte zu Anderen haben – wenn überhaupt?
Doch Sachargumente haben Herrn Wendt bislang nur wenig gekümmert und wer nur laut genug schreit, erheischt manch mediale Beachtung. Jedenfalls mündete die DPolG-Offensive in einer medialen Behandlung wie bspw. in der folgenden DLF-Kurznachricht vom 13.12.2020:
„Der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Wendt, fordert eine stärkere Priorisierung von Polizeikräften bei der Corona-Impfung. Wendt sagte der „Rhein-Neckar-Zeitung“, Polizeibeamte seien ständig einem hohen Infektionsrisiko ausgesetzt. Sie könnten niemanden auf zwei Meter Entfernung festnehmen und durchsuchen. Insofern werde die Empfehlung der Impfkommission, die Polizei auf den vorletzten Platz der Prioritäten-Liste für die Impfungen zu setzen, den Realitäten des Polizeialltags nicht gerecht. (…)“
Es ist wohl Unsinn anzunehmen, dass es irgendjemanden gäbe, der behaupten würde, dass Festnahmen und Durchsuchungen auf zwei Meter Entfernung durchführbar wären. Auch dieses also wieder eine verbale Nebelkerze bzw. eine manipulative Formulierung.
Weiteren Support für Herrn Wendt gab es dann Schlag auf Schlag. Erst unterstützte der von Menschenrechtlern nicht minder verrufene Herr Schäuble den Ruf des Herrn Wendt mittels Sonntagszeitungs-Interview, dann wurde – mit der üblichen Verzögerung – ein Beschluss der zeitgleich zur DPolG-Pressemitteilung tagenden Innenministerkonferenz (IMK) bekannt, die der Polizei in Sachen Impf-Reihenfolge ebenfalls eine „besondere Priorisierung“ zuteil werden lassen wollte.
Und das Ergebnis?
Der Bundesgesundheitsminister durfte – „dank“ seiner mittels im März 2020 aufgebohrten Befugnisse via Infektionsschutzgesetz (IfSG) – eigenmächtig eine neue Reihenfolge für die Covid19-Impfungen erstellen und per Verordnung manifestieren. Nun gibt es nur noch insgesamt fünf vier statt sechs Kategorien und in diesem 5er- 4er-Raster sind die Polizist*innen nun – wen wundert’s – von vormals Rang 5 auf Rang 2 bzw. Rang 3 vorgerückt.
Das bedeutet, dass andere zurückstehen müssen und im schlimmsten Fall mit Gesundheit oder Leben bezahlen.
Wir möchten dem noch vier Anmerkungen hinzufügen:
Wieso beantwortet Herr Wendt und die DPolG keine Fragen zur Sache bzw. ist sich selbst für eine Rückmeldung zu fein?
Wir haben der DPolG und Herrn Wendt am 13.12.2020 eine Presseanfrage zukommen lassen: Worin begründet sich die stärkere Bevorzugung von Polizist*innen im Vergleich zu anderen Berufsgruppen, wie hoch ist die Impfbereitschaft unter seinen Kolleg*innen, wie steht Herr Wendt zu einer Impfpflicht, wie viele Polizist*innen sind mit Corona aktuell infiziert (das war eines seiner Argumente) und wie sind die konkreten Zahlen von Personalausfall wegen Covid19-Dienstunfähigkeiten (ein weiteres Argument)?
Darauf erhielten wir trotz Nachhakens bis Redaktionsschluss (23.12.2020) keine Antwort, ja noch nicht einmal irgendeine Rückmeldung.
Wieso kann uns das Bundesgesundheitsministerium (bislang) nicht mitteilen, wie groß die Bevölkerungsgruppen nach neuer Coronavirus-Impfverordnungs-Kategorisierung jeweils sind?
Die Coronavirus-Impfverordnung wurde am 18.12.2020 erlassen und auch erst dann im Laufe dieses Tages veröffentlicht.
Wir haben beim BMG am 19.12.2020 nachgefragt, wie bevölkerungsstark die in der Verordnung definierten Gruppen der Kategorien 1 bis 4 jeweils sind.
Erst am 22.12.2020 erhielten wir (und das auch erst aufgrund Nachhakens von uns) eine „Antwort“, die uns nicht weiter hilft. Denn man verwies uns auf die Stiko-Empfehlung, deren Zahlen aufgrund der veränderten Kategorisierung ja nun aber gerade nicht mehr stimmen!
Warum liegen dem Ministerium keine Berechnungen oder Schätzungen vor oder – wahlweise – warum kann oder will man diese Frage nicht beantworten?
Wieso kann der Bundesgesundheitsminister ohne parlamentarische Beteiligung und ohne Beratung der „Zivilgesellschaft“ über derart wichtige Fragen von Leben und Tod diskussionsbefreit entscheiden?
Es geht bei der Ausgestaltung der Coronavirus-Impfverordnung de facto um Leben und Tod. Die Bevorzugung einer Bevölkerungsgruppe vor einer anderen wird zwangsweise immer irgendjemandem zum Verhängnis werden, auf Kosten von Gesundheit oder gar Leben einzelner Menschen.
Dass derlei Entscheidungen ohne Parlamentsbeteiligung, ohne Gesetzgebung und ohne (ausreichend) öffentliche Diskussion alleine durch den Bundesgesundheitsminister hinter verschlossenen Türen (und, wie hier beschrieben, unter dem Einfluß von mächtigen Lobbygruppen) getroffen werden ist einer freiheitlichen, demokratisch angedachten Gesellschaft eine schallende Ohrfeige.
Menschen von Bevölkerungsgruppen ohne Lobby werden die Leidtragenden sein.
Dass die vom Bundesgesundheitsminister Jens Spahn verantwortete Impfverordnung bis zum letztmöglichen Zeitpunkt unveröffentlicht blieb, sich damit einer öffentlichen Debatte entzog und sogar rückwirkend zum 15.12.2020 gelten soll, das sei nur additiv kritisierend erwähnt.
Noch immer nicht genug! Niedersachsens SPD noch immer unzufrieden mit der Stellung der Polizei im Impfplan.
Doch selbst die die Polizeimenschen stark bevorteilende Impfverordnung geht der SPD in Niedersachsen noch nicht weit genug. In einem am 18.12.2020 von der konservativen „Hannoverschen Allgemeinen Zeitung (HAZ)“ verbreiteten Bericht unter dem Titel „Werden Polizei, Lehrkräfte und Verkäuferinnen zu spät geimpft?“ werden niedersächsische SPD-Politiker wie folgt zitiert.
Niedersachens Ministerpräsident Weil:
Es sei bedauerlich, dass Berufsgruppen, die ebenfalls beruflich oft direkten Kontakt zu anderen Menschen hätten, „noch eine gewisse Zeit lang warten müssen, bis sie geimpft werden können“, sagte Weil. Als Beispiele nannte er Polizisten, Lehrer, und Mitarbeiter im Einzelhandel.
Der niedersächsische Innenminister Pistorius:
Zuvor hatte bereits Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) gefordert, dass Polizeibeamte schneller gegen das Coronavirus geimpft werden als von der Ständigen Impfkommission empfohlen. „Wenn wir jetzt möglicherweise Impfzentren und Transporte schützen, können wir es uns nicht erlauben, dass ein Teil des Polizeipersonals wegen Corona-Infektionen ausfällt“, sagte Pistorius.
Man mag es auch hier als geschickten, rhetorischen bis propagandistischen Schachzug werten, „Polizisten, Lehrer und Mitarbeiter im Einzelhandel“ in einem Atemzuge zu nennen und somit eine falsche Gleichheit vorzugaukeln, die die neue Impfverordnung gar nicht widerspiegelt.