Brandbrief universitärer Extremismusforschung: Polizei Bayern verletzt Forschungsfreiheit eklatant und begräbt die Vertraulichkeit des gesprochenen Wortes

Titelbild des Buches „Der Minister und der Terrorist“ aus dem Jahr 1980

Angesichts der aus unserer Sicht großen Brisanz und Bedeutung des Vorganges rezitieren wir hier einen Brandbrief aus der universitären Forschung an die bayrischen „Sicherheitsbehörden“:

Verteidigt die Forschungsfreiheit – Wir verurteilen die Beschlagnahme von Forschungsdaten!

Am 31. Januar 2020 durchsuchten Beamte des Bayerischen Landeskriminalamtes das Universitätsbüro eines Hochschullehrers, der ein Forschungsprojekt zum Thema „Radikalisierung im Strafvollzug“ durchführt. Dabei beschlagnahmten sie – abgesehen von einer wissenschaftlichen Publikation – die Kopie der Audio-Aufzeichnung eines Interviews mit einem Strafgefangenen sowie eine Liste mit den Namen aller im Zuge des Forschungsprojekts interviewten Gefangenen.

Wir protestieren auf das Schärfste gegen diese Maßnahmen. Sie verletzen die verfassungsrechtlich garantierte Forschungsfreiheit des Hochschullehrers (s. Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG).

Der vom Oberlandesgericht München ausgestellte Durchsuchungsbeschluss lässt nicht erkennen, dass dieses hohe Gut bei der Abwägung der widerstreitenden Interessen überhaupt berücksichtigt wurde. Die Maßnahmen dienten nicht der Verhütung einer bevorstehenden Straftat, sondern wurden mit Ermittlungen gegen den Gefangenen wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung begründet. Ein solches Vorgehen der Sicherheitsbehörden ist aus wissenschaftlicher Sicht inakzeptabel. Die Achtung der Vertraulichkeit des gesprochenen Wortes ist für Forschung von zentraler Bedeutung, wenn es darum geht, Interviews mit Personen zu führen, die mutmaßlich oder erwiesenermaßen Straftaten begangen haben. Das gilt nicht nur für die Radikalisierungsforschung, sondern für jede Form von empirischer Forschung im Bereich der Kriminologie und ihrer Bezugswissenschaften.

Der Schaden, der dadurch angerichtet wird, ist absehbar groß. Ohne wissenschaftliche Forschung wird es keine verlässlichen und belastbaren Erkenntnisse zu den Ursachen strafbarer Verhaltensweisen sowie zu ihrer Prävention und Behandlung geben! Das ist nicht im gesamtgesellschaftlichen Interesse.

Wir fordern die Sicherheitsbehörden dazu auf, die Forschungsfreiheit der Wissenschaft zu achten und alle Eingriffe in dieses Grundrecht zu unterlassen, soweit sie nicht unmittelbar der Abwendung bevorstehender schwerer Straftaten dienen. Soweit das erforderlich sein sollte, rufen wir den Gesetzgeber auf, per Gesetz sicherzustellen, dass die Freiheit der Forschung gewährleistet ist.

Für den vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Forschungsverbund „Radikalisierung im digitalen Zeitalter (RadigZ)“

  • Deutsche Hochschule der Polizei, Fachgebiet Kriminologie und interdisziplinäre Kriminalprävention
  • Friedrich-Schiller-Universität Jena, Institut für Psychologie, Abteilung für Forschungssynthese, Intervention und Evaluation sowie Zentrum für Rechtsextremismusforschung, Demokratiebildung und gesellschaftliche Integration
  • Georg-August-Universität Göttingen, Lehrstuhl für Strafrecht und Kriminologie
  • Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen e. V.
  • Leibniz Universität Hannover, Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht und Kriminologie
  • Universität Greifswald, Lehrstuhl für Gesundheit und Prävention
  • Universität Greifswald, Lehrstuhl für Kriminologie, Strafrecht, Strafprozessrecht und vergleichende Strafrechtswissenschaften
  • Universität zu Köln, Institut für Kriminologie
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