Leak zum polizeilichen Abruf personenbezogener Daten von den Gesundheitsämtern Niedersachsens: Neuer Rechtfertigungsentwurf beruft sich nun auf „Notstands“-Paragraphen

In den letzten Tagen wurde Stück für Stück bekannt, dass die Landespolizeien einiger Bundesländer sich das Recht ausnehmen, besonders geschützte, unter das Arztgeheimnis fallende personenbezogene Gesundheitsdaten von den Gesundheitsämtern der Städte und Kommunen abzufragen und in Polizeidatenbanken einzupflegen.

Auch in Niedersachsen war (oder ist!) dieses der Fall. Nachdem die Landesdatenschutzbeauftragte Niedersachsens von der Sache erfuhr (und ihr fälschlicherweise seitens des nds. Innenministeriums zugeschrieben worden war, in den Vorgang involviert gewesen zu sein!) untersagte Sie am letzten Freitag, den 3.4.2020 den Gesundheitsämtern des Bundeslandes, weitere personenbezogene Daten an die Polizei zu übermitteln. Dieses sei „unverhältnismäßig und verstoße gegen den Datenschutz“.

Uns wurde nun ein Textausschnitt aus einem Dokument vorgelegt, das unseren Informationen zufolge zur parlamentarischen Rechtfertigung der Wiederaufnahme (oder dem Weiterbetrieb) dieser Datentransfers dienen soll.

In dem Dokument wird erneut – wie bereits bekannt – der § 41 NPOG des niedersächsischen Landespolizeigesetzes (Datenübertragung zum Zwecke der Gefahrenabwehr) zur Rechtfertigung bemüht und nun aber ergänzend – und das ist neu – mit dem Verweis auf § 34 StGB argumentiert. Beim §34 StGB handelt es sich um die Definition des „Rechtfertigenden Notstands“.

Es ist aus unserer Sicht mehr als fraglich, ob die Benennung eines solchen Rechtfertigungsgrundes bei nüchterner Betrachtung zulässig sein kann. Genau genommen erlaubt sich die Polizei damit die Begehung einer Straftat (der Abgriff von im Zuge der Verschwiegenheitspflicht fallenden Gesundheitsdaten), „um die Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden“. Klingt zwar nicht unplausibel, ist seitens des Gesetzgebers allerdings nicht für Fälle wie diese hier gedacht, in denen die Datenübertragungen alles andere als im Zuge eines akuten „Notstands“ sondern vielmehr kalkuliert und vorhersehbar geplant vonstatten gehen.

Es scheint, als nutze die Polizei diesen Notstandsparagraphen, um sich selber einen Freibrief zur Begehung von Straftaten auszustellen.

Der Wortlaut des uns vorliegenden Textausschnittes im Gesamten:

„(…) ist insoweit in Ihrer Funktion als Gefahrenabwehrbehörde betroffen mit der Zwecksetzung, die Ausbreitung des Corona-Virus zu bekämpfen.

Die Übermittlung der Quarantänestatusdaten von den unteren Gesundheitsbehorden an die Polizei erfolgt auf der Grundlage des § 41 Satz 1 NPOG in Verbindung mit § 30 Abs. 3 Satz 4 Infektionsschutzgesetz (IfSG). Erst durch die Übermittlung der Daten an die ortsansässige Polizeibehörde wird diese in die Lage versetzt, sich vor einer Infizierung im Dienst zu schützen. Darüber hinaus wird der Polizei die Möglichkeit gegeben, die Regelungen des IfSG anzuwenden, indem sie prüfen kann, ob das Kontaktverbot einer in Quarantäne befindlichen Person auch eingehalten wird.

Schließlich kommt als Rechtfertigungsgrund für die Behörde, die die Quarantäne anordnet und den Quarantänestatus an die Polizei meldet, der rechtfertigende Notstand gern. § 34 StGB in Betracht, und zwar deshalb, weil das Offenbaren des Geheimnisses einziges Mittel zum Schutz erheblich höherwertiger Interessen ist. Die Zwecksetzung der Meldung liegt in der Bekämpfung der Ausbreitung des Corona-Virus. Dies betrifft auch den Zweck des Eigenschutzes der Polizeibediensteten, um die weitere Ausbreitung des Corona-Virus auf die Polizeibediensteten zu verhindern. Diese Interessen sind damit eindeutig höher zu bewerten als das Privatgeheimnis des Patienten.

Im Übrigen werden die Daten, wenn die Quarantänezeit abgelaufen ist, bei der Polizei (…)“

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