Zeitzeichen, 16

victor-klemperer-cc-by-sa-bundesarchiv_bild_183-s90733-mod-freiheitsfooIn unserer Kategorie „Zeitzeichen“ rezitieren wir in unregelmäßigen Abständen und in ebenso unregelmäßigem Umfang Nachrichtenschnipsel oder Zitate, die wir als möglicherweise stellvertretende Beispiele für größere Entwicklungen und gesellschaftliche Symptome empfinden: als Zeitzeichen.

Wir behalten uns vor, dieses oder jenes kurz zu kommentieren oder zu bewerten, oder auch nicht. :)

 

Tag des offenen Niedersächsischen Landtags, Hannover, 24.8.2019 – Auf der Suche nach dem Stand der CDU-Landtagsfraktion wird beauskunftet: „Ganz einfach: An der AfD vorbei und dann rechts abbiegen.“

Auch schön – aus einer DLF-Kurznachricht vom 30.8.2019: „Das Bundeskriminalamt will Statistiken zur Kriminalität von Zuwanderern präzisieren. Der Hintergrund: Im BKA-Lagebild waren bislang neben den sieben deutschen Todesopfern des Anschlags auf dem Berliner Breitscheidplatz auch 75 deutsche Verletzte zu den „vollendeten Tötungsdelikten“ gezählt worden – de facto also 75 Tote, die es eigentlich gar nicht gibt. (…) Mit diesen irreführenden Zahlen wird im Netz und in den sozialen Medien argumentiert. Das BKA erklärte auf Anfrage des ARD-Faktenfinder, aufgrund der Erfassungsmodalitäten der Polizeilichen Kriminalstatistik würden Opfer unabhängig vom Verletzungsgrad als Opfer eines vollendeten Tötungsdelikts erfasst. Diese – Zitat – „Interpretationsproblematik“ wolle man ab dem kommenden Jahr beheben.“

AfD-Sprecher Jörg Meuthen am Tag nach den Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg (am 2.9.2019) über den AfD-Poltiker Kalbitz und Rechtsextreme in seiner Partei im Allgemeinen: „Ich kann Ihnen aber sagen, ich kenne Andreas Kalbitz seit Jahren und er macht in der AfD eine exzellente Politik. Er ist ein sehr, sehr strukturierter Kopf. Er ist ein glänzender Organisator. Er ist ein sehr fleißiger Mensch und ich arbeite mit ihm gut zusammen. Und ich habe von Andreas Kalbitz noch nie etwas Extremes oder ansatzweise Extremistisches gehört. Ich beurteile den Andreas Kalbitz, den ich kenne, und von dem kann ich gesichert sagen, dieser Mann ist nicht rechtsextrem. (…) und ich beschäftige mich mit der Gegenwart und der Gestaltung der Zukunft und kann das [die Vergangenheit von Herrn Kalbitz, Anm. der Red.] ruhen lassen, weil ich Andreas Kalbitz, so wie ich ihn kenne, definitiv nicht als in irgendeiner Form extrem einstufe.“ Und auf die folgende Nachfrage des DLF-Interviewenden: „Okay! Nichts desto trotz: Andreas Kalbitz ist ein Repräsentant, ein hoher Repräsentant des Flügels. Auch Jörg Urban, der Spitzenkandidat in Sachsen, gilt als Flügelsympathisant. Ist der Flügel endgültig das neue Kraftzentrum der Partei?“ antwortet Herr Meuthen: „Nein. Der Flügel ist eine starke Minderheit in der Partei. Es ist ein informelles Bündnis zunächst einmal. Es ist eine Gruppierung der dezidiert Nationalkonservativen. Wir haben einen Anteil des Flügels – lassen Sie mich schätzen – von vielleicht 25, 30 Prozent, nicht höher. 25 bis 30 % sind eine „starke Minderheit“? o_O

Der Union-Fraktionsvorsitzende Ralph Brinkhaus am 3.9.2019 darüber, dass er es immer noch für legitim hält, Flugtickets für 15 Euro zu verkaufen: „Es ist ja nicht nur eine Frage, dass wir jetzt irgendwo Ticket-Preise erhöhen, sondern es ist natürlich auch eine Frage der Eigenverantwortung. Darauf möchte ich auch mal hinweisen. Es ist ja niemand gezwungen, für 15 Euro nach Mallorca zu fliegen, wenn er ein entsprechendes Ticket hat, sondern es gilt auch das Prinzip Eigenverantwortung. Mit dieser Denke darf man Herrn Brinkhaus getrost als Klimapolitik-Dinosaurier bezeichnen.

Wie die „Gewerkschaft der Polizei (GdP)“ eines ihrer „Fachbücher“ zur Ausbildung der Polizei gestaltet – aus einem Bericht des „Stern“ vom 4.9.2019: „Polizeianwärter für den gehobenen Dienst werden an Fachhochschulen mit einem Lehrbuch ausgebildet, das NS-Vokabular enthält. (…) In einem fiktivem Beispiel über den Fall jugendlicher Intensivtäter verwenden Clages und Zeitner [die Autoren des Lehrbuchs] den Begriff „Sippenforschung“, der untrennbar mit der mörderischen Rassenpolitik der Nazis verbunden ist, als wäre dies heute noch eine Methode, um Kriminalität zu erklären. Dort heißt es: „Einerseits kann aus den Ergebnissen der Sippenforschung auf genetisch bedingte Defekte geschlossen werden.“ Die Autoren setzen den Begriff „Sippenforschung“ nicht einmal in Anführungszeichen. In einem Kapitel über die „historische Betrachtung“ von „Tätertypologien“ taucht der österreichische Kriminologe Ernst Seelig auf. Er schrieb unter anderem über „arbeitsscheue Berufsverbrecher“ und „Verbrecher aus Mangel an Gemeinschaftsdisziplin“. Die Autoren präsentieren auch diese Begriffe, ohne sie weiter einzuordnen. Dass Seelig ab 1939 „Mischlingsuntersuchungen“ durchführte, ist ihnen keine Zeile wert.“

Zensursula in einer DLF-Kurznachricht vom 16.9.2019: „EU-Kommission: Von der Leyen verteidigt Begriff „europäische Lebensweise“. (…) Kritik hervorgerufen hatte der Titel „Schützen, was Europa ausmacht“ für den Fachbereich, der unter anderem für Migration zuständig ist. In der französischen und englischen Fassung heißt es „Schutz der europäischen Lebensweise“. In einem Gastbeitrag für mehrere europäische Zeitungen schreibt von der Leyen, der Ausdruck scheine für manche politisch aufgeladen zu sein. Sie sei aber überzeugt, dass man sich solche Begriffe nicht nehmen lassen dürfe. Die europäische Lebensweise werde heute durch „Widersacher Europas“ bedroht, auch durch nationalistische Populisten, erklärte die CDU-Politikerin.“ Hm, ist der ungarische Herr Orban mit seiner Partei nicht sogar in der gleichen EU-Parteiengruppe die die CDU/CSU, also der „Heimat“partei von Frau von der Leyen? Und vielleicht darf man auch noch die Frage stellen, durch welchen historischen Kontext diese „Aufladung“ wohl begründet ist … Geschichtsunterricht, Röslein?

FFF-Diskreditierung, Teil 1 – Die Zeitungen des Madsack Konzerns warnen am Tag vor den FFF-Demonstrationen 20.9.2019 im Aufmacher auf der Titelseite mit großen Lettern: Wirbel um Klimademos: Extremisten mit dabei – Verfassungsschutz warnt vor „Interventionistischer Linke“ als Veranstalter – Warum treten Linksradikale als Mitveranstalter auf? (…) Der niedersächsische Verfassungsschutz warnt vor der Gruppierung „Interventionistische Linke“, die etwa als Mitveranstalter auftritt. (…)“

FFF-Diskreditierung, Teil 2 – Die Zeitschrift „Die Welt“ am Vortag der FFF-Demonstrationen 20.9.2019: In Deutschland wird die Klimakrise zum Neuroseninkubator. Wie viele Demonstranten mit ihrem SUV zur Demo rollen, wie viele davon zwei Wochen später in die Sonne fliegen, wie viele von ihnen jeden Tag so glatt das Gegenteil dessen leben, was sie anderen künftig vorschreiben wollen – das wird nie geklärt. Sicher ist nur: Diese Art von Doppelmoral ist ein bourgeoiser Klassiker. Die Bürgerlichen haben dem Zeitgeist wenig entgegenzusetzen. Von Vernunft ist im Augenblick wenig bis nichts zu spüren.

In einer DLF-Kurznachricht vom 26.9.2019 schaffen sich gleich drei der großen Politparteien mittels unvernünftiger und unverantwortlicher Aussagen selber ab: „Die CSU ist nach Angaben von Generalsekretär Blume nicht bereit, das Klimapaket der großen Koalition noch einmal aufzuschnüren, um es durch den Bundesrat zu bringen. (…) Dreyer [SPD] sagte dem „Tagesspiegel“, die Sozialdemokraten hätten im Koalitionsausschuss darauf gedrungen, den CO2-Preis zu Beginn auf mindestens 20 Euro pro Tonne festzulegen. (…) Im Bundestag verteidigte Umweltministerin Schulze das Regierungsprogramm. Sie sprach von einem Neuanfang. Der Unionsfraktionsvorsitzende Brinkhaus appellierte an die Kritiker, nicht nur die reine Lehre zu vertreten. Es gehe darum, einen breiten Konsens aufzustellen. (…) Der FDP-Fraktionsvorsitzende Linder erklärte, man dürfe nicht in den „Panikmodus“ der Klimaaktivistin Greta Thunberg geraten. „Panikmodus“ … alles klar, wir haben verstanden, dass sie nichts verstanden haben, Herr Lindner.

Ach, hübsch. Der äußerst gerne plakativ politisierende CDU-Frontmensch Niedersachsens, Herr Althusmann, in einem Interview mit dem DLF vom 30.9.2019: „Die Automobilindustrie ist die Grundlage des Wohlstandes in Deutschland.“ Von welcher Sorte Wohlstand spricht der Herr denn da?

Bayerns CSU-Innenminister Joachim Herrmann definiert den Begriff der „normalen Bevölkerung“ in einem Interview, in dem es um die zuvor vom CSU-Bundesinnenminister Seehofer angekündigte Beibehaltung von Grenzkontrollen und die Ausweitung der umstrittenen Schleierfahndung geht. Aus dem DLF-Interview vom 1.10.2019: „Aber alle, denke ich, die allermeisten Länder haben inzwischen erkannt, dass wir mit Schleierfahndung (auch etwas, was wir in Bayern vor über 20 Jahren als erstes Land entwickelt haben) sehr erfolgreich sind und damit in der Tat vor allen Dingen viele Straftäter aufgreifen können, und das dient damit der Sicherheit der Menschen in unserem Land. Deshalb kenne ich in der normalen Bevölkerung nahezu niemand, der da etwas dagegen hätte. Alle mit einer anderen Meinung hält Herr Herrmann also für deviant.

Aus einer DLF-Kurznachricht vom 3.10.2019, dem sog. „Tag der deutschen Einheit“: „Bundesinnenminister Seehofer geht davon aus, dass in Deutschland binnen zehn Jahren gleichwertige Lebensverhältnisse herrschen. Dies gelte nicht nur für die ostdeutschen Bundesländer, sondern auch für strukturschwache Regionen in anderen Teilen Deutschlands, sagte Seehofer der „Bild am Sonntag“. Dazu müsse vor allem die Infrastruktur verbessert werden, damit jeder dort leben könne, wo er möchte. Schulen, Krankenhäuser und Arbeitsplätze müssten in erreichbarer Entfernung liegen. Seehofer verwies darauf, dass der Bund viele Behörden und Institutionen in die neuen Bundesländer ansiedele, so etwa eine Polizeischule im sächsischen Görlitz. Har, har, har … eine neue Polizeischule, und die ausgerechnet in Sachsen … dann weiß man ja immerhin schon mal, wo man nicht gerne leben möchte.

Reaktion des FDP-Frontmanns Christian Lindner am 4.10.2019 auf die neue Verordnung Chinas für ein Vermummungsverbot bei Demonstrationen in Hongkong: Das Tragen von Atemschutzmasken durch ein Vermummungsverbot zu verbieten, ist ein weiteres Beispiel der Repression in #Hongkong – wir stehen an der Seite derer, die friedlich für ihre Freiheit auf die Straße gehen. CL“ Na so ein Verbot haben die meisten der deutschen Polizeiländergesetze längst drin und führen die Nichtbeachtung als Straftatbestand. Wer ist denn jetzt verkommener bzw. repressiver, Herr Lindner: China oder Deutschland?

Lesen und – mit Blick auf Herrn Snowden – nicht vergessen … aus einer DLF-Kurznachricht vom 9.10.2019: „Das Weiße Haus verweigert bei den Ermittlungen gegen Präsident Trump in der Ukraine-Affäre jede Kooperation mit dem Repräsentantenhaus. (…) Zuvor hatte Trumps Anwalt einen achtseitigen Brief im Repräsentantenhaus eingereicht. Darin beschreibt das Weiße Haus, warum es das Vorgehen der Demokraten für völlig illegitim hält. Die Impeachment-Untersuchungen seien verfassungsrechtlich ungültig, das Repräsentantenhaus habe nicht vorab über die Einleitung solcher Vorermittlungen abgestimmt. Trump würden in dem Verfahren außerdem fundamentale Rechte verweigert: etwa das Recht, Belege einzusehen, selbst Beweise vorzulegen oder Zeugen zu benennen. Unter diesen Umständen könne der Präsident seiner Regierung nicht erlauben, sich an der Untersuchung zu beteiligen.

Rückgratloser Apple-Konzern und die erneute Klarstellung der Notwendigkeit freier und unzensierter Software und Betriebssysteme – aus einer DLF-Kurznachricht vom 10.10.2019: „Nach Kritik aus China hat Apple nach eigenen Angaben eine App aus seinem Angebot entfernt. Diese hatte den Demonstranten in Hongkong bei ihren Protesten die Standorte der Polizeieinheiten angezeigt. Peking hatte dem amerikanischen Konzern vorgeworfen, die Aktivisten in der Sonderverwaltungszone zu unterstützen.“

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