Zu den heute veröffentlichen Urteilen des BVerfG über die (Un)Rechtmäßigkeit polizeilichen KFZ-Kennzeichen-Scannings: 1. Ein Blick auf wesentliche Aussagen 2. Was bedeutet das für das NPOG?

Ein fest an einer Autobahnbrücke montierter KFZ-Kennzeichen-Scanner in Bayern

Heute hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) die gesetzlichen Grundlagen zur Praktizierung automatisierter KFZ-Kennzeichen-Erfassung und -Identifizierung bzw. deren weitere Datenverarbeitung als in Teilen verfassungswidrig verurteilt bzw. die dazugehörigen Urteile vom 18.12.2018 veröffentlicht. Diese Verfassungswidrigkeit gilt zumindest für die betreffenden Abschnitte der Polizeigesetze in Baden-Württemberg und Hessen sowie in anderer, besonderer Weise für Bayern.

Im Folgenden möchten wir uns wesentlich erscheinende und über das eigentliche Thema hinausgehende Auszüge aus den BVerfG-Urteilen zitieren bzw. pointieren sowie einen Verweis zur aktuellen Debatte um das geplante neue Landespolizeigesetz für Niedersachen („NPOG“) bringen.

1. Wichtige und folgenreiche Aussagen des BVerfG aus den heutigen Urteilen
2. Folgen für die Debatte um das neue Niedersächsische Polizeigesetz

Im Einzelnen:

 

Wichtige und folgenreiche Aussagen des BVerfG aus den heutigen Urteilen

Auszüge aus der BVerfG-Pressemitteilung zum Urteil zum Bayrischen Polizeiaufgabengesetz (Az. 1 BvR 142/15, Beschluss vom 18.12.2018). Die Hervorhebungen sind von uns.

Die Kennzeichenkontrolle greift jeweils durch die Erfassung der Kennzeichen, den Abgleich und die darauffolgende Verwendung der Daten in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung ein. Ein Eingriff liegt auch im Falle eines unechten Treffers und eines Nichttreffers vor. Soweit dem die Entscheidung des Senats vom 11. März 2008 entgegensteht, wird daran nicht festgehalten.

Allerdings fehlt es nach der Rechtsprechung des Senats an einer Eingriffsqualität, sofern Daten ungezielt und allein technikbedingt zunächst miterfasst, aber unmittelbar nach der Erfassung technisch wieder anonym, spurenlos und ohne Erkenntnisinteresse für die Behörden ausgesondert werden. Hieran wird festgehalten. Maßgeblich ist, ob sich bei einer Gesamtbetrachtung mit Blick auf den durch den Überwachungs- und Verwendungszweck bestimmten Zusammenhang das behördliche Interesse an den betroffenen Daten bereits derart verdichtet hat, dass ein Betroffensein in einer einen Grundrechtseingriff auslösenden Qualität zu bejahen ist.

Dies ist bei einer Kennzeichenkontrolle jedoch gegenüber allen erfassten Personen der Fall. Die Einbeziehung der Daten auch von Personen, deren Abgleich letztlich zu Nichttreffern führt, erfolgt nicht ungezielt und allein technikbedingt, sondern ist notwendiger und gewollter Teil der Kontrolle und gibt ihr als Fahndungsmaßnahme erst ihren Sinn. Dem steht nicht entgegen, dass den Betroffenen im Nichttrefferfall weder Unannehmlichkeiten noch Konsequenzen erwachsen. Denn das ändert nichts daran, dass die Betroffenen überprüft werden, ob sie behördlich gesucht werden und ihre ungehinderte Weiterfahrt unter den Vorbehalt gestellt wird, dass Erkenntnisse gegen sie nicht vorliegen. Eine solche Maßnahme ist nicht erst hinsichtlich ihrer Folgen, sondern als solche freiheitsbeeinträchtigend. Zur Freiheitlichkeit des Gemeinwesens gehört es, dass sich die Bürgerinnen und Bürger grundsätzlich fortbewegen können, ohne dabei beliebig staatlich registriert zu werden, hinsichtlich ihrer Rechtschaffenheit Rechenschaft ablegen zu müssen und dem Gefühl eines ständigen Überwachtwerdens ausgesetzt zu sein.

Und weiter in der Urteilsschrift (Quelle: DLF-Beitrag):

Jeder Zeit an jeder Stelle unbemerkt registriert und darauf überprüft werden zu können, ob man auf irgendeiner Fahndungsliste steht oder sonst in einem Datenbestand erfasst ist wäre damit unvereinbar.

Treffend und kompakt in gut drei Minuten zusammengefasst und deswegen hörenswert der Beitrag von Gudula Geuther im DLF von heute über diese Urteile (Text/mp3).

 

Folgen für die Debatte um das neue Niedersächsische Polizeigesetz

In dem jüngst von uns veröffentlichten zweiten Teil der Kommentierung/Neufassung des NPOG-Entwurfs durch den Gesetzgebungs- und Beratungsdienstes des Niedersächsischen Landtags (GBD) heißt es (auf Seite 34 des Dokuments) zur aktuellen Gesetzeslage im Nds. Polizeigesetz über den polizeilichen Einsatz von KFZ-Scannern (Hervorhebungen durch uns):

In dem Gesetzentwurf aus dem Jahr 2016 wurde die von der damaligen Landesregierung beabsichtigte Streichung der Regelung der automatischen Kennzeichenlesesysteme (AKLS) in § 32 Abs. 5 geltender Fassung (g. F.) auch mit verfassungsrechtlichen Bedenken begründet (Drs. 17/6232, S. 49 f.), die auf einem obiter dictum des BVerfG beruhen, das festgestellt hat, dass § 32 Abs. 4 g. F. „gewichtige verfassungsrechtliche Fragen“ aufwirft (BVerfG, Beschl. v. 04.06.2014 – 1 BvR 1443/08 -, juris Rn. 1). Auch der GBD hatte gegenüber § 32 Abs. 5 g. F. verfassungsrechtliche Bedenken geäußert (Vorlage 9 zu Drs. 16/395, S. 4 f.; vgl. dazu auch Wefelmeier, Nds-VBl. 2014, 89, 94 f.). Das MI hat dazu nunmehr erklärt, dass die Regelung beibehalten werden solle, solange es keine abschließende Rechtsprechung des BVerfG dazu gebe.

Auf der Seite 98 des Dokuments bemängelt der GBD zudem, dass die SPD-CDU-Landesregierung verweigert, dass KFZ-Kennzeichen-Scanner-Einsätze der parlamentarischen Kontrolle unterworfen werden sollen (Hervorhebungen durch uns):

Aus Sicht des GBD ist fraglich, warum Maßnahmen nach § 32 Abs. 6 des Entwurfs (AKLS) nicht in die Vorschrift aufgenommen werden, wie in der Anhörung angeregt wurde (Vorlage 21 [LfD], S. 33), weil auch diese Maßnahmen verdeckt durchgeführt werden können (vgl. § 32 Abs. 5 Satz 6 des Entwurfs). Das MI spricht sich dagegen aus, diese Maßnahmen in die Regelung über die parlamentarische Kontrolle aufzunehmen.

Zusammengefasst:

1. Das Nds. Innenministerium (MI) ist nun am Zuge und muss die aktuelle Polizeigesetzgebung zum KFZ-Kennzeichen-Scanning in Niedersachsen mit Blick auf die heute veröffentlichten Urteile aus Karlsruhe auf den Prüfstand stellen.

2. Auch die Unterwerfung des polizeilichen KFZ-Kennzeichen-Scannings der Kontrolle des Landtags gehört neu überdacht und endlich eingeführt.

Eine weitere sture und sachgrundlose Verweigerungshaltung des Nds. Innenministeriums unter dem derzeitigen SPD-Innenminister Pistorius gegenüber der landtagseigenen Juristen-Expertise des GBD ist mit Blick auf die BVerfG-Rechtssprechung nicht weiter hinnehmbar!

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