Auch eine Form der Stimmungsmache: CDU Niedersachsen lädt Rainer Wendt und massenweise Vertreter der Polizeiinteressen zu den Anhörungen zum neuen Polizeigesetz Niedersachsens ein [UPDATE]

Anhörung des Innenausschusses zum NPOG-E am 9.8.2018. Bildquelle: NDR-Fernsehbericht dazu (Screenshot)

Letzte und diese Woche fanden/finden die mündlichen Anhörungen vor dem Innenausschuss des Niedersächsischen Landtags zum sehr umstrittenen neuen Landespolizeigesetz (NPOG) statt. Doch wer darf dort eigentlich alles vortragen bzw. wer entscheidet das? Das sind die Landtagsfraktionen bzw. die von ihnen in den Ausschuss entsendeten Mitglieder – diese dürfen die zur Abgabe einer Stellungnahme Eingeladenen vorschlagen bzw. bestimmen.

Unter der langen Liste der Eingeladenen finden sich ein paar bemerkenswerte Personen bzw. Gruppen.

Drei Beispiele:

1.) Rainer Wendt: Bezeichnet Menschen, die vor Gericht ihre Grundrechte einklagen als „Karlsruhe-Touristen“. Sitzt einer Polizeiinteressengemeinschaft vor, deren Mitglieder es sich z.T. nicht vorstellen können, dass es „racial profiling“ in der Polizei gibt. Findet Bodycams, Taserwaffen und Pfefferspray toll. Verunglimpft gerne Andersdenkende und erhielt Lohn als Hauptkommissar, ohne dafür überhaupt zu arbeiten.

2.) Brain Plug GmbH & Co. KG (ehemals „CroudWatch“): Ein Unternehmen aus Braunschweig, das sich auf Videoüberwachung von Fußballfans in Stadien und der automatisierten Auswertung der Überwachungsbilder spezialisiert hat. Was hat ein dermaßen einseitig ausgerichtetes und auf die Maximierung von Gewinn zielendes Unternehmen in einer politischen und juristischen Debatte um das NPOG zu suchen? Das erinnert fatal an die Einladung des Taser-Konzerns zur mündlichen und schriftlichen (geheimen!) Stellungnahme zum vorherigen rot-grünen Polizeigesetzentwurf, der nie Gesetzeskraft erlangt hat. Ein politischer Skandal!

3.) Mattias Fischer: Manch einer wunderte sich in der Anhörung vom vergangenen Donnerstag über die Rolle dieses Herrn Fischer als Professor der Hessischen Hochschule für Polizei und Verwaltung, war er zuletzt doch, wie uns das Landesdatenschutzamt Niedersachsens auf Nachfrage hin bestätigte, doch Pressesprecher der Niedersächsischen Landesdatenschutzbeauftragten gewesen. Was für ein Karrieresprung und Rollenwechsel!

Aber: Wer genau hat die eigentlich alle eingeladen?

Die Landtagsverwaltung gab sich auf eine frühere Frage, welche der Eingeladenen durch welche Landtagsfraktion zur Anhörung vorgeschlagen worden sind noch relativ zugeknöpft bzw. ausweichend, auch das Innenministerium konnte diese Frage nicht beantworten. So haben wir alle Fraktionen angeschrieben und nachgefragt, wer durch sie jeweils eingeladen worden ist.

Freundlicherweise hat uns die FDP die vollständige Liste der Eingeladenen samt Zuordnung der einladenden Fraktion zukommen lassen, die wir hiermit in aufgeschlüsselter Form öffentlich machen. (Die anderen Fraktionen haben auf unsere Anfrage bis dato inhaltlich noch gar nicht geantwortet!)

Vorab als Spoiler: Alle drei vorgenannten Personen und Gruppen wurden durch die CDU eingeladen.

Aber nun die Auflistung im Detail und in Gänze:

SPD:

  1. Kommunale Spitzenverbände
  2. Gewerkschaft der Polizei (GdP) Niedersachsen
  3. Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) Niedersachsen
  4. Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) Niedersachsen
  5. Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN)
  6. Polizeipräsident der Polizeidirektion Göttingen
  7. DGB Bezirk Niedersachsen – Bremen – Sachsen-Anhalt (UPDATE 17.8.2018)

CDU:

  1. Kommunale Spitzenverbände
  2. Gewerkschaft der Polizei (GdP) Niedersachsen
  3. Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) Niedersachsen
  4. Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) – Bundesvorsitzender Rainer Wendt
  5. Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN)
  6. Landesbeauftragte für den Datenschutz (LfD)
  7. Niedersächsischer Richterbund
  8. Herr Ipsen, Universität Osnabrück
  9. Mattias Fischer, HfPV Wiesbaden, Sitz Kassel
  10. Rainer Bruckert, Landesvorsitzender Weißer Ring Hannover eV
  11. Klaus Gärditz, Uni Bonn
  12. Kyrill-Alexander Schwarz, Uni Würzburg
  13. Josef Franz Lindner, Uni Augsburg
  14. Markus Möstl, Uni Bayreuth
  15. Cornelius Held, Nürnberg
  16. Stefan Schindler Uni Kassel
  17. Monika Desoi, Uni Kassel
  18. Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat, Projektleitung Sicherheitsbahnhof Berlin Südkreuz
  19. CroudWatch zu intelligenter Videoüberwachung
  20. Polizeipräsident des Landeskriminalamtes Niedersachsen
  21. Direktor der Polizeiakademie Niedersachsen
  22. Polizeipräsidentin der Zentrale Polizeidirektion Niedersachsen
  23. Polizeipräsident der Polizeidirektion Braunschweig
  24. Polizeipräsident der Polizeidirektion Göttingen
  25. Polizeipräsident der Polizeidirektion Hannover
  26. Polizeipräsident der Polizeidirektion Lüneburg
  27. Polizeipräsident der Polizeidirektion Oldenburg
  28. Polizeipräsident der Polizeidirektion Osnabrück
  29. Michael Schmidt, Leiter Konzernsicherheit VW Wolfsburg (UPDATE 17.8.2018)
  30. Markus Thiel, Deutsche Hochschule der Polizei (DHPol) Münster (UPDATE 17.8.2018)

Bündnis 90/Grünen:

  1. Rolf Gössner
  2. Rafael Behr, Akademie der Polizei Hamburg
  3. Hartmut Aden, Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin
  4. Dörthe M. Katschinski, Direktorin des Instituts für Herz- und Kreislaufphysiologie, Universitätsmedizin Göttingen
  5. Amnesty International, Themenkoordinationsgruppe Polizei und Menschenrechte
  6. Netzwerk Datenschutzexpertise, Thilo Weichert
  7. Humanistische Union
  8. Bündnis #noNPOG
  9. Sven Adam (UPDATE 17.8.2018)

FDP:

  1. Kommunale Spitzenverbände
  2. Gewerkschaft der Polizei (GdP) Niedersachsen
  3. Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) Niedersachsen
  4. BDZ Deutsche Zoll- und Finanzgewerkschaft
  5. Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN)
  6. Anwalt- und Notarverband Niedersachsen
  7. Vereinigung Niedersächsischer und Bremer Strafverteidiger
  8. Landesbeauftragte für den Datenschutz (LfD)
  9. Niedersächsischer Richterbund
  10. freiheitsfoo
  11. Chaos Computer Club (CCC)
  12. Matthias Bäcker, Johannes Gutenberg-Universität Mainz
  13. Digitalcourage
  14. netzpolitik.org

AfD:

[Die AfD hat niemanden vorgeschlagen/eingeladen!]

Kurz und subjektiv zusammengefasst:

Offenbar gibt es keine formelle Begrenzung der Anzahl Eingeladener je Fraktion – das beweist die äußerst umfangreiche und herausragend lange Einladungsliste der CDU, hauptsächlich bestehend aus Vertretern der Polizei sowie (u.a.) polizeiarbeit-unkritischen Personen und Gruppierungen. Selbstverständlich ist es ein Leichtes, die Debatte und den Eindruck zum Streitpunkt NPOG auf diese Weise zu beeinflussen und in die Richtung zu verschieben, die der CDU lieb ist, indem man massenweise Befürworter des Polizeigesetzentwurfs einlädt und zu Wort kommen lässt.

Auch dass die SPD als größte Fraktion den (von der AfD abgesehen) die kleinste Zahl der Eingeladenen aufweist, ja noch nicht einmal die Landesdatenschutzbeauftragte zur Anhörung einladen möchte beweist, dass es in der SPD nur wenig Willen zu einer ausgeprägten und kritischen Diskussion des Gesetzentwurfs gibt.

Schließlich noch die AfD, die niemanden eingeladen hat. Möglicherweise gelingt es der AfD nicht, parlamentarische Arbeit zu leisten. Zumindest zeigt die AfD mit der leeren Vorschlagsliste, dass sie kein Interesse an einer breiten Beleutung des NPOG im Innenausschuss hat.

Disclaimer: Wir als freiheitsfoo sind seitens der FDP zur Teilnahme an den Anhörungen vorgeschlagen worden. Dafür danken wir. Zugleich wissen wir, dass sich die FDP als Teil der rot-gelben Landesregierung Niedersachsens von 2008 bis 2013 in bürgerrechtlicher Hinsicht ebenfalls nicht gegen die SPD durchsetzen konnte oder wollte. Beispielhaft sei die mit großer Euphorie von der FDP mitgetragene Einführung des bis dahin inexistenten Niedersächsischen Versammlungsgesetzes (NVersG) genannt, das zu einer nachhaltige Beschneidung der praktischen Demonstrationsfreiheit in Niedersachsen geführt hat.

 

[UPDATE 17.8.2018]

Die von uns am 15.8.2018 veröffentlichte Auflistung basiert auf einem Dokument mit Stand vom 30.5.2018. Nach diesem Datum sind weitere einzelne Gruppen und Personen nachträglich zur Abgabe einer Stellungnahme eingeladen worden. Wir haben in der obigen Liste diejenigen hinzugefügt, die wir dank einer flotten und unbürokratischen Information seitens der FDP einer einladenden Fraktion zuordnen konnten. Im niedersächsisch-parlamentarischen Dickicht der Öffentlichkeit und den Bürgern verborgen bleibt leider, welche Fraktion sich jeweils für die Anhörung folgender Gruppen ausgesprochen hat – das bleibt sogar den Parlamentariern des Landtags und ihren Mitarbeitern ein Geheimnis … :

  • Vereinigung Niedersächsischer und Bremer Strafverteidigerinnen und Strafverteidiger
  • DITIB
  • SCHURA
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