In Niedersachsen schickt sich die rot-schwarze Landesregierung gerade an, das Niedersächsische Datenschutzgesetz (NDSG) an die Rahmenbedingungen der ab 25.5.2018 gültigen EU-Datenschutzgrundverordnung (EU-DSGVO) in großer Hektik anzupassen (Gesetzentwurf entsprechend LT-DS 18/548). Heute tagte dazu der Innenausschuss des Landtags – wollte sich für das Thema aber nicht mehr als eine Stunde Zeit nehmen.
So trugen denn heute auch nur die Landesdatenschutzbeauftragte und die Vertreter von Städten und Kommunen vor, weitere Stellungnahmen wurden schriftlich eingeholt. Wie in Niedersachsen leider immer noch üblich wird nicht veröffentlicht, wer alles zu einer solchen angefragt wurde und wie deren Meinung zum Gesetzentwurf im Einzelnen denn ist.
In diesem Fall mit einer Ausnahme: Thilo Weichert hat als Teil des „Netzwerk Datenschutzexpertise“ eine Stellungnahme einreichen dürfen und diese öffentlich gemacht. Darin verurteilt er den Gesetzentwurf klar als „europarechts- und verfassungswidrig.“ Wir möchten aus der dazugehörigen Pressemitteilung zitieren:
Besonders dreist ist ein Gesetzesvorschlag der schwarz-roten Koalitionspartner in Niedersachsen, wo versteckt in einem § 57 Abs. 3 die Datenschutzkontrolle „erst nach Abschluss des Strafverfahrens“ zulässig sein soll und selbst für die „Strafvollstreckung“ ausgeschlossen sein soll. Damit nicht genug: In einem § 1 Abs. 2 des Regierungsentwurfs wird die Anwendung des gesamten Gesetzes nicht nur für unabhängige Gerichte, sondern auch für „Behörden der Staatsanwaltschaft“ ausgenommen, soweit sie nicht Verwaltungsaufgaben wahrnehmen. Zudem ermöglicht § 57 Abs. 5 der Datenschutzaufsicht in diesem Bereich nur eine zahnlose Beanstandung, obwohl das Europarecht „wirksame Abhilfebefugnisse“ verlangt.
Diese Regelungen, würden sie Gesetz, hätten zur Folge, dass strafrechtliche Ermittlungen in Niedersachsen vollständig von einer unabhängigen Datenschutzkontrolle ausgenommen würden – nach Ansicht des Netzwerks Datenschutzexpertise ein evidenter Grundrechtsverstoß: In Art. 8 Abs. 3 Europäischer Grundrechte-Charta heißt es zum Datenschutz: „Die Einhaltung dieser Vorschriften wird von einer unabhängigen Stelle überwacht.“ Das Bundesverfassungsgericht hat auf die besondere Wichtigkeit eines „wirksamen aufsichtlichen Kontrollregimes“ insbesondere bei gravierenden und heimlichen hoheitlichen Eingriffen, wie sie bei strafrechtlichen Ermittlungen die Regel sind, hingewiesen (…). Im Gutachten des Netzwerks Datenschutzexpertise werden eine Vielzahl weiterer Defizite des Gesetzentwurfes benannt, u. a. das vollständige Fehlen von Garantien für die Betroffenen bei sensitiven Anwendungen wie Abrufverfahren, gemeinsamer Datenverarbeitung oder automatisierten Entscheidungen, eine unzeitgemäße Forschungsregelung, der Verzicht auf die Festlegung von Prüffristen bei der Datenlöschung oder die weitgehende Zulassung von Einwilligungen im justiziellen Zwangsbereich.
Thilo Weichert vom Netzwerk: „Ist Schwarz-Rot von allen rechtsstaatlichen Geistern verlassen? Seit zwei Jahren weiß das Land, dass das Datenschutzrecht anzupassen ist. Einen Monat vor Toresschluss soll nun ein Gesetz durchgeboxt werden, das nicht nur handwerkliche Mängel aufweist, sondern den Bürgerrechtsschutz aushebelt. Strafrechtliche Ermittlungen dürfen sich nicht im rechtsfreien Raum abspielen. Es ist nun Aufgabe des Parlaments und der demokratischen Öffentlichkeit dafür zu sorgen, dass unsere rechtsstaatlichen Garantien bewahrt werden. Es wäre eine Zumutung gegenüber dem Bundesverfassungsgericht, wenn es hier wieder bemüht werden müsste. Es besteht nur bedingt Zeitdruck. Es ist besser ein Gesetz diskutiert und reflektiert später zu verabschieden, als ein bürgerrechtlich katastrophales Gesetz sofort in Kraft zu setzen.“
Auch die Landesdatenschutzbeauftragte Barbara Thiel (CDU – sic!) hat bereits in einer Veröffentlichung vom 28.3.2018 scharfe Kritik geübt:
Der Gesetzentwurf weise „erhebliche Mängel“ auf, senke das bisherige Dateschutzniveau und setze zudem „die Vorgaben der Datenschutz-Grundverordnung nur unzureichend um.“
In der heutigen Anhörung bewertete sie die vorgesehenen neuen Regelungen zur Zulässigkeit von Videoüberwachung beispielsweise als Grundlage zum Ausbau flächendeckender Videoüberwachung und bezeichnete den dazugehörigen Absatz als „Gummiparagraphen“.
[Zur weiteren Info hier ein NDR-Fernsehbericht zur heutigen Innenausschuss-Sitzung.]