Über den gefühlten Tiefpunkt gerichtlicher Rechtssprechung in Deutschland, wonach das Oberverwaltungsgericht Lüneburg mit der flächendeckenden Videoüberwachung des öffentlichen Raums prinzipiell keine besonderen Probleme zu erkennen meint und der Verbesserung des subjektiven (!) Sicherheitsempfindens der Überwachten einen Argumentationswert zugemessen hat, darüber haben wir bereits vor einiger Zeit ausführlich berichtet.
Das Gericht hat nun vor kurzem mit einigen Wochen Verspätung die gesamte Urteilsschrift veröffentlicht.
Mit Blick auf den zuletzt genannten Punkt, wonach eine gar nicht vorhandene, aber subjektiv empfundene verbesserte Sicherheitslage laut Gericht als Argument dienen darf, um die Grundrechte aller Menschen, die Busse und Bahnen benutzen, einzuschränken und zu betrüben, möchten wir aus dem Urteil die uns wesentlich erscheinenden Zeilen zu dieser Haltung der Richter aus Lüneburg zitieren und weiter verbreiten.
In den von uns gewählten Urteilsausschnitten wird auch deutlich, wie weit die im letzten Jahr wirksam gewordene, durch die Bundesregierung vollführte Erweiterung des für Videoüberwachung zuständigen Gesetzesparagraphen § 6b BDSG (Bundesdatenschutzgesetz) wirkt. Diese auf den ersten Blick recht harmlos daherkommende Ergänzung wurde durch das Bundesinnenministerium unter Herrn de Maiziere euphemistisch als „Videoüberwachungsverbesserungsgesetz“ bezeichnet. Das Gericht übernimmt diesen Neusprech ohne Zucken.
Hier nun die Ausschnitte aus dem Urteilstext – die Hervorhebungen stammen von uns:
Die Erforderlichkeit im Sinne des § 6 b Abs. 1 Satz 1 BDSG setzt voraus, dass das festgelegte Ziel mit der Überwachung tatsächlich erreicht werden kann und es dafür kein anderes, gleich wirksames, aber mit Blick auf das Grundrecht der informationellen Selbstbestimmung der betroffenen Personen weniger einschneidendes Mittel gibt. Die Erforderlichkeit bestimmt sich nach objektiven Maßstäben. Daran gemessen bestehen hinsichtlich der vorstehend beschriebenen Zwecke keine Zweifel an der Erforderlichkeit der Videoüberwachung. (Absatz 39)
Der von der Klägerin in den Verfahrensbeschreibungen „Video Stadtbahn“ und „Video Bus“ festgelegte Zweck der „Befriedigung des (subjektiven) Sicherheitsbedürfnisses der Kunden (Fahrgäste)“ rechtfertigt ebenfalls die Videoüberwachung in den Bussen und Stadtbahnen der Klägerin. Da das berechtigte Interesse objektiv begründbar sein muss, kann dieser Zweck für sich genommen die Erforderlichkeit der Videoüberwachung nicht begründen. Die Beklagte verweist zu Recht darauf, dass eine Videoüberwachung allein zu dem Zweck der Steigerung des subjektiven Sicherheitsgefühls der Fahrgäste nicht mit § 6 b Abs. 1 Satz 1 BDSG vereinbar wäre. Als weiterer Zweck neben den vorgenannten Zwecken ist er anzuerkennen. Für diese Einschätzung sprechen auch die Erwägungen, die den mit dem Videoüberwachungsverbesserungsgesetz vom 28. April 2017 eingefügten Vorschriften des § 6 b Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 und Abs. 3 Satz 2 BDSG zugrunde liegen. Danach gilt bei der Videoüberwachung und Speicherung des Bildmaterials von Fahrzeugen unter anderem des öffentlichen Schienen- und Busverkehrs der Schutz von Leben, Gesundheit oder Freiheit von dort aufhältigen Personen als ein besonders wichtiges Interesse. Die Bestimmungen sollen einem Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung Rechnung tragen und enthalten damit neben dem Ziel, die Abwägungsentscheidung zugunsten der Zulässigkeit einer Videoüberwachung, die dem Schutz von Leben, Gesundheit oder Freiheit von Personen dient, zu prägen, eine subjektive Komponente. (Absatz 47)
Anhaltspunkte für das Überwiegen schutzwürdiger Interessen der Betroffenen sind nicht gegeben. (Absatz 48)
Es liegt somit ein besonders wichtiges Interesse vor, das die Klägerin als verantwortliche Stelle für die Überwachungsmaßnahmen wahrnehmen darf. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass in der Bevölkerung bei der Benutzung der hier in Rede stehenden Fahrzeuge des öffentlichen Nahverkehrs ein Sicherheitsbedürfnis besteht, dem durch den Einsatz der hier maßgeblichen Sicherheitstechnologie Rechnung getragen werden kann. Daneben kann sich die Klägerin auch darauf berufen, durch die Videoüberwachung ihr Eigentum vor Straftaten schützen und Beweise sichern sowie ein (subjektives) Sicherheitsbedürfnis ihrer Fahrgäste befriedigen zu wollen. (Absatz 50)
Hinter diesen Interessen, die teilweise von besonderem Gewicht sind, müssen die Interessen der Betroffenen zurücktreten. (Absatz 51)