Das neue „Musterpolizeigesetz“ für ganz Deutschland – Risiken und Stand der Dinge

Am Ende der letzten Innenministerkonferenz (IMK) vom 12. bis 14. Juni in Dresden teilten die Innenminister (Parteizugehörigkeit allesamt CDU, CSU oder SPD) mit, dass man sich „auf einen Musterentwurf für ein einheitliches Polizeigesetz geeinigt“ habe (Zitat aus der Pressemitteilung des für diese IMK zuständigen sächsischen Innenministeriums). Der „Bayernkurier“ behauptete unsinnigerweise sogar, dass der Bundestag ein „Musterpolizeigesetzentwurf innerhalb der nächsten beiden Woche im Bundestag beraten“ werde.

Erst bei etwas genauerem Hinsehen und auf Nachfrage von uns entpupp(t)en sich diese Darstellungen als falsch.

Was ist also der Stand der Dinge (1.), worum geht es (2.) und wo liegen die Gefahren dieser „Harmonisierung“ (3.), vor der sogar ein konservatives Magazin wie die „Wirtschaftswoche“ mit deutlichen Worten warnt?

Das soll im folgenden etwas beleuchtet werden:

Das neue deutsche Musterpolizeigesetz – Stand der Dinge

Das wichtigste vorweg: Es gibt noch keinen Gesetzentwurf für ein einheitliches Polizeigesetz!

Die IMK hat sich lediglich darauf geeinigt, eine Arbeitsgruppe (AG) zur Beratung und Erstellung eines solchen Musterpolizeigesetzentwurfs (MPG) einzurichten.

Diese Arbeitsgruppe hat sich bis heute (Stand: 30.6.2017) noch nicht konstituiert, wie uns das sächsiche Innenministerium mitgeteilt hat.

Es gibt (angeblich) noch nicht einmal einen Termin zum Arbeitsstart der MPG-AG, geschweige denn einen Zeitplan für dessen Arbeit.

Sicher ist nur: Es gibt bis heute seitens der Innenminister eine nur sehr magere Informierung der Öffentlichkeit über das Vorhaben, alle Polizeien Deutschlands (des Bundes und der Länder) bezüglich ihrer Befugnisse zu vereinheitlichen.

Sicherlich unterstellend, aber mit Blick auf die bisherige Kommunikationspraxis der IMK zur Sache vielleicht nicht ungerechtfertigt könnte man zu dem Schluß kommen, dass eine breite Öffentlichkeit, die die Entstehung des neuen Polizeigesetz-Standards kritisch begleiten würde, nicht wirklich erwünscht ist!

Mögliche Inhalte eines neuen deutschen Musterpolizeigesetzes

Konkret wurden im Zusammenhang mit der IMK-Berichterstattung (und den auf unsere Nachfragen hin veröffentlichten Beschlüssen) folgende Punkte genannt, die in das Mustergesetz einfließen sollen:

  • Gemeinsame Standards bei der Terrorbekämpfung.
  • Einheitliche Bewertung von „Gefährdersachverhalten“ und „Gefährdern“.
  • Einheitlicheres und verbindlicheres Vorgehen im Umgang mit „Gefährdern“.
  • Einheitliches Vorgehen gegen so genannte „Reichsbürger“.
  • Erweiterte Befugnisse zur Schleierfahndung.

Weitere Punkte lassen sich erahnen/befürchten (eine nicht abschließende Auflistung!):

  • Landespolizei-Computerwanzen („Landes- und Staatstrojaner“) bzw. „Quellen-TKÜ“.
  • Online-Durchsuchung.
  • Predictive Policing.
  • Ausbau der polizeilichen Videoüberwachungspraxis.
  • Grundlagen für die polizeiliche Erfassung, Speicherung und Verarbeitung personenbezogener Daten, auch von nur Verdächtigen oder Kontaktpersonen, oder von Organisatoren und Teilnehmern friedlicher oder strafverfahrensfreien Demonstrationen.
  • Ausweitung anlaßloser polizeilicher Identitätskontrollen und Durchsuchungen von Personen im öffentlichen Raum.
  • Ausweitung der Befugnisse zur DNA-Analyse.
  • Befugnisse der Polizeien zur Abfischung von Daten aus „Sozialen Netzwerken“.
  • etc.

Warum so kritisch gegenüber dem Vorhaben zu einem deutschen Musterpolizeigesetz?

Ganz allgemein darf man zunächst emotionslos behaupten, dass jede Änderung der Polizeigesetze auf Bund- und Länderebene ausnahmslos zu einer (im Gesamten) deutlichen Erweiterung der Rechte und Befugnisse der Polizeien geführt hat. Eine solche Entwicklung, die stets mit der ausgeweiteten Einschränkung von Grundrechten (wenn auch manchmal nur in besonderen Einzelfällen) einhergeht, kann für eine als demokratisch und freiheitlich gedachte (und öffentlich als solche stilisierte) Gesellschaft nicht gut oder richtig sein.

Weiterhin ist zu erwarten (und das mag politischer Kalkül sein oder nicht), dass ein Musterpolizeigesetz, das in der „geschützten“ (intransparenten) Nicht-Öffentlichkeit der IMK-Arbeitsgruppe erarbeitet wird, sich einer öffentlichen Debatte und Kritik gänzlich entzieht und die damit mittelbar bewirkte massive Befugniserweiterungen alle Polizeien Deutschlands auf einem Schlag für konservative und obrigkeitsstaatlich orientierte Politiker als attraktiver Weg zur Erreichung ihrer Ziele angesehen wird.

Die Entstehung des Musterpolizeigesetzes wird ohne parlamentarische Begleitung, also ohne öffentliche Sitzungen von Ausschüssen der von den Bürgern gewählten Parteipolitiker-Parlamente vor sich gehen.

Ebenso unklar wird vermutlich bleiben, welche Lobbygruppen (aus Politik, Polizeibehörden oder sonstigen an der Sache interessierten Gruppen aus Gesellschaft oder Wirtschaft) in welchem Umfang Einfluß nehmen (können) an dem, was später als Standard für Bundes- und Länderpolizeirechte als Standard verfestigt werden soll.

Das gesamte Verfahren unter Umgehung der ansonsten dafür eigentlich zuständigen Parlamentsbetriebe strotzt also nur so vor Intransparenz und Nicht-Öffentlichkeit!

Schließlich möchten wir der Einfachheit halber noch aus der Kritik des sicherlich nicht als links einzuordnenden „Wirtschaftswoche“-Magazins zitieren, die noch eine ganz andere Dimension beschreibt:

„Hier kommt nun das Musterpolizeigesetz ins Spiel. Weil der Bund in diesem Bereich zur Gesetzgebung nicht zuständig ist, will de Maizière ein Musterpolizeigesetz. Künftig benötige ein Bundesland dann schon gute Gründe, wenn es von den gemeinsamen Regelungen abweichen wolle. Von diesem Muster soll nämlich eine Sogwirkung auf die Polizeigesetze der Bundesländer ausgehen, die Online-Durchsuchung und Quellen-Telekommunikationsüberwachung bisher nur in ganz wenigen Fällen kennen. Rechtsgrundlagen für die Online-Durchsuchung finden sich beispielsweise nur in den Polizeigesetzen von Bayern und Rheinland-Pfalz. Das soll sich nach dem Willen des Bundesinnenministers durch das Musterpolizeigesetz ändern.

Es bedarf nicht viel Phantasie, woran sich dieses Muster orientieren wird: Am BKA-Gesetz. Das darf nicht passieren!

Unter Führung des Bundesinnenministeriums wurde es gerade noch einmal novelliert und verschärft. Es enthält die ganze Palette an Überwachungsmöglichkeiten, von optischer und akustischer Wohnraumüberwachung, über Online-Durchsuchung und Telekommunikationsüberwachung bis hin zur elektronischen Fußfessel und einer zentralen Bevorratung von Daten, die trotz aller berechtigter Zweifel vielleicht für die Terrorismusbekämpfung tauglich sein mögen, nicht aber für die allgemeine Gefahrenabwehr.

Hierin liegt die Krux dieser Idee des Musterpolizeigesetzes: Das für den Spezialbereich der Terrorismusbekämpfung geschaffene Recht im BKA-Gesetz soll auf das herkömmliche Polizeirecht übertragen werden. In Bayern zeichnet sich dieser Weg bereits ab. Unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist die CSU gerade dabei, im bayerischen Polizeigesetz die Voraussetzungen dafür zu schaffen, potentiell gefährlich Menschen präventiv und auf Dauer wegzusperren. Zutreffend titelte eine große Tageszeitung von der Einführung des „Guantanamo-Prinzips“.

Wer sich eine Vorstellung vom weiteren Inhalt eines solchen Musterpolizeigesetzes machen will, schaue nur auf die anderen Themen der Innenministerkonferenz, beispielsweise zur Schleierfahndung oder der „intelligenten“ Videoüberwachung, vor der selbst die Gewerkschaft der Polizei zurückschreckt. Der Einsatz automatischer Gesichtserkennung sei ein unausgereiftes Konzept.

Sollten de Maizieres Pläne Realität werden, könnten die eingriffsintensivsten Befugnisse bald zum Alltagswerkzeug der Polizei gehören. Der Alltag eines Beamten bei der Landespolizei, er ist jedoch nicht von Terrorismusbekämpfung geprägt. Und wenn das einmal doch der Fall sein sollte, kann er das BKA jederzeit um Amtshilfe ersuchen.

Richtig gemacht wäre ein Musterpolizeigesetz hingegen nur dann, wenn es als Mustergrundrechtsgesetz und nicht als Musterüberwachungsgesetz daherkommt. Ein Gesetz, das einheitliche Standards nicht für die Einschränkung von Grundrechten schafft sondern für ihre Geltung schafft, indem es die Kontrolle staatlichen Handelns durch unabhängige Stellen vereinheitlicht. In seinem Urteil zum Bundeskriminalamtsgesetz hat das Bundesverfassungsgericht genau das angemahnt: Die vorherige Anordnung von intensiven Eingriffen in die Freiheit der Bürger durch unabhängige Stellen wie durch Richter, Protokoll- und Transparenzpflichten für die Sicherheitsbehörden im Anschluss an solche Eingriffe, eine regelmäßige Kontrolle durch die Datenschutzbeauftragten und Berichtspflichten gegenüber den Parlamenten.“

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