Polizei am Ende ihrer Kräfte!?

sackgasse-polizeiDie Polizei in Niedersachsen ist angesichts der Einsatzlagen am bevorstehenden Wochenende mal wieder am Ende (siehe u.a. Titel und Berichterstattung der hannoverschen „Neuen Presse“ vom heutigen Tage).

Da es nach den wiederholten Verlautbarungen der Medien bekanntlich von Einsatz zu Einsatz immer schlimmer wird, und die Polizei schon bei den Einsatzlagen davor und denen davor am Ende ihrer Kräfte war, stellt sich die Frage, ob sich „am Ende zu sein“ tatsächlich immer weiter steigern lässt und ob wir für diese dauernde Steigerung des Zustands „am Ende zu sein“ nicht endlich einen neuen superlativen Begriff prägen müssen. Vielleicht gleich: „Polizei“! Da ist die fortgesetzte Steigerung von „am Ende zu sein“ dann einfach immanent.

Im aktuellen Fall ist zudem mal wieder auch noch Wochenende und dann auch noch schönes Wetter, bei dem die PolizistInnen mit ihren schweren Anzügen zuhauf in ihren dicken Stiefeln stecken, wie die Neue Presse im zugehörigen Kommentar bedauert. Am Ende zu sein ist also offenbar auch qualitativ immer wieder steigerungsfähig.

Eigentlich unnötig zu erwähnen, dass sich die im Beitrag der Neuen Presse zitierten Vertreter der konkurrierenden Polizeigewerkschaften einmal mehr in ihrer Bewertung überbieten, wie untragbar die Situation für die Menschen im Polizeiberuf mittlerweile ist, um daran sogleich neue Forderungen nach mehr vom Selben zu knüpfen.

Es ist ganz offensichtlich: Das Volk ist unserer Polizei einfach nicht mehr zuzumuten. Die Polizei ist einfach: „Polizei“ – also irgendwo an einem Punkt weit über ein „am Ende sein“ hinaus.

Dass die Polizei sich mit ihrem Alarmismus aber vor allem selbst die Lagen konstruiert, die sie dann mit immer größeren Kräfteansätzen zu bewältigen sucht, bleibt als Thema in den Medien angesichts der herrschenden Sicherheitshysterie weitestgehend ausgeblendet.

Genauso wie der Umstand, dass eine immer intensiver agierende Polizei, die immer weiter bereits im Vorfeld möglicher Störungen interveniert und dabei immer unverhältnismäßiger in Bürgerrechte eingreift, für die Feindbilder in den von ihr zum besonders intensiven Polizieren auserkorenen Gruppen (vor allem Fußballfans, Linke, Migranten, Muslime) am Ende höchstselbst sorgt. Wohin das führen kann, zeigt der Rassismus in den Reihen der Polizeien in den Vereinigten Staaten von Amerika in geradezu erschreckender Weise.

Ein konstruktives Fehlermanagement, das sich etwa auch mit der Rolle und Funktion der Polizei vor dem Hintergrund einer grundlegend veränderten Medienlandschaft auseinandersetzt, gibt es nicht. Es ist aber für die Polizei offensichtlich notwendig, sich mit den gravierend veränderten Detektionsmechanismen von Störungen und Gewalt im Diskurs um die Innere Sicherheit kritisch auseinander zu setzen, will sie nicht Gefahr laufen, sich mit ihren vorsorglich alarmistischen Einschätzungen zum möglichen Verlauf von Ereignissen immer mehr zu verzetteln.

Vor dem Hintergrund eines ausufernden Gewaltbegriffs in den Reihen der Polizei (belegt durch wissenschaftliche Studien und im Gegensatz zur tatsächlichen Entwicklung) und der daraus folgenden (vor allem auch mentalen) Aufrüstung der Polizei gegen BürgerInnen, besteht der dringende Bedarf für ein konstruktives Fehlermanagement in deren Reihen. Der Wunsch in der Polizei nach Autoritätserhalt in Form von jederzeit zur Folgsamkeit bereiten BürgerInnen treibt mittlerweile geradezu groteske Blüten. Eine selbstkritische Auseinandersetzung mit dem Aufgabenverständnis und den gewählten Kräfteansätzen ist in der Polizei unbedingt notwendig. Immer mehr vom Selben zu fordern hat bislang keine Lösungen geliefert und wird sie auch in Zukunft nicht liefern.

Einmal mehr zeigt hingegen die alarmistische Einsatzvorbereitung zum Fußballspiel der 2. Bundesliga Hannover 96 gegen Dynamo Dresden, dass die Polizei aus sich heraus zu einer kritischen Bestandsaufnahme nicht in der Lage ist. Ohne eine mutige Verpflichtung aus einer politisch kritischen Öffentlichkeit zur Kurskorrektur wird sie, nebst der zugehörigen Berufsvertretungen, weiter in die von ihr selbst ausgeschilderte Sackgasse steuern. Dass hier auch die Innenressorts gefordert sind, zeigt nicht zuletzt die mit großem personellen und finanziellen Aufwand betriebene Entwicklung der so genannten „Strategie 2020“ in der niedersächsischen Polizei, die eine notwendige kritische Bestandsaufnahme einmal mehr ausblendet.

Und was ein viel zitiertes „Recht auf Sicherheit“ im Aufgabenverständnis der Polizei und in den an Sie gerichteten Anforderungen anbelangt, ist festzustellen, dass „Sicherheit als Grundrecht“ die Idee des Rechtsstaats pervertiert. Der Rechtsstaat hat nicht die primäre Aufgabe, immer weitreichender Treue gegenüber seinen ausufernden Regeln zu verlangen, sondern zuallererst die BürgerInnen wirksam vor der Willkür seiner Institutionen zu schützen!

(Bei diesem Beitrag handelt es sich um einen Gastbeitrag, verfasst von einem in der Polizei tätigen Menschen.)

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