Niedersächsischer Innenminister bewirbt Vorratsdatenspeicherung mit haltlosen Argumenten … und hintergeht den rot-grünen Koalitionsvertrag

Bild von F.J. Valenta, Bonn, CC-BY-NC-SA

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Der derzeitige niedersächsische Innenminister Boris Pistorius (SPD) folgt seinem Vorgänger Uwe Schünemann (CDU) auf den Fuß, indem er für eine neue Vorratsdatenspeicherung in Deutschland Werbung betreibt.

Die von ihm in einem Zeitungsbericht dabei vorgetragenen Argumente sind billig und substanzlos.

Außerdem verstößt Herr Pistorius gegen die Vereinbarungen mit dem Koalitionspartner Bündnis 90/Die Grünen, wonach sich die rot-grüne Landesregierung in Niedersachsen ausdrücklich gegen Vorratsdatenspeicherungen einsetzen wolle – damals war dort noch von einem „hochproblematischen Eingriff in die Grundrechte“ die Rede.

Schließlich ignoriert Herr Pistorius auch noch das Urteil des Europäischen Gerichtshofs, wonach eine allgemeine und anlaßlose Vorratsdatenspeicherung mit den europäischen Grundrechten nicht zu vereinbaren ist.

In einem offenen Brief an den SPD-Innenminister weisen wir diesen auf das alles hin, wir fragen ihn, ob er denn seinen Vorstoß mit seinem Koalitionspartner abgesprochen hat und versuchen anhand der Beschreibung eines Analogiemodells deutlich zu machen, wie krass eine Vorratsdatenspeicherung denn tatsächlich wäre.

Sehr geehrter Herr Pistorius,

in einem Bericht der „Neuen Osnabrücker Zeitung (NOZ)“ vom 22.3.2015 werben Sie für die Wieder-Einführung einer Vorratsdatenspeicherung, also wie im Kontext der allgemeinen Diskussion verstanden, um eine gesetzliche Vorschrift zur staatlichen Verpflichtung der anlaßlosen Erfassung und zeitlich beschränkten Speicherung sämtlicher Telekommunikations-Verbindungsdaten aller in Deutschland lebenden bzw. miteinander kommunzierenden Menschen.

In dem Beitrag werden Sie in einem Absatz wie folgt zitiert:

„Ohne die Möglichkeiten einer Vorratsdatenspeicherung sind die Ermittlungsbehörden praktisch blind, wenn die Kommunikation der Täter und die Straftatbegehung überwiegend oder ausschließlich über das Netz und mit mobilen Kommunikationsmitteln stattgefunden hat“, sagte Pistorius. Mehrere Mordfälle vergangener Jahre in Deutschland hätten durch Verbindungsdaten überhaupt erst oder wesentlich schneller gelöst werden können. „Es ist absurd, dass wir das nicht können, obwohl die technischen Möglichkeiten gegeben sind.“

Dazu haben wir von der Initiative freiheitsfoo neben zwei Anmerkungen zwei Fragen an Sie und möchten Sie angesichts der aktuellen öffentlichen Diskussion um eine kurzfristige Beantwortung bitten.

Unsere zwei Anmerkungen:

A1.) Zum ersten Satz aus dem NOZ-Artikel:

„Ohne die Möglichkeiten einer Vorratsdatenspeicherung sind die Ermittlungsbehörden praktisch blind, wenn die Kommunikation der Täter und die Straftatbegehung überwiegend oder ausschließlich über das Netz und mit mobilen Kommunikationsmitteln stattgefunden hat.“

Wir sind der Meinung, dass man diese Behauptung auf keinen Fall so stehen lassen kann.

Denn immerhin sind Polizeien keinesfalls „praktisch blind“, wenn sie anhand von z.B. tatsachengestützten Verdächtigungen oder aufgrund konkreter Hinweise Ermittlungen anstellen und in diesem Fall nach derzeitiger Rechtslage durchaus in der Lage sind, durchaus sehr umfangreiche anlass- und einzelfallbezogene TK-Überwachungsmaßnahmen im Vorfeld durchzuführen.

Was Sie sich entsprechend Ihres Zitates wünschen ist nichts anderes als eine anlasslose Überwachung aller Telekommunikationsverbindungen, ausgedehnt auf alle in diesem Land lebenden Menschen!

Übertragen auf das Handeln der Menschen im „wirklichen“ Leben bedeutet Ihre Forderung nichts anderes, als dass vollumfänglich registriert und festgehalten werden solle, wer sich wann mit wem trifft, mit wem ein Gespräch führt oder andersweitig miteinander kommuniziert. Sie verlangen weiterhin, dass notiert werde, wo sich das alles zugetragen hat.

Werden bei der Vorratsdatenspeicherung Internet-Anbieter und soziale Netzwerke dazu verpflichtet, sämtliche Telekommunikations-Verbindungsdaten zu erfassen und zu speichern, so bedeutet das im Analogie-Modell nichts anderes, als würde man allen Cafe-Betreibern, Kaufhaus-Besitzern und eigentlich jedem im öffentlichen Raum sich bewegenden Mit-Bürger vorschreiben wollen, ständig Ausschau zu halten, wann und wo sich Menschen begegnen und um welche Personen es sich dabei handelt und all diese Informationen lückenlos zu notieren.

Dass einem hierbei Erinnerungen an die Stasi oder an andere totalitäre Regimes mit ihren Überwachungsapparaten kommen, darf nicht verwundern.

Herr Pistorius – so eine Vollprotokollierung unseres öffentlichen Handelns würden Sie hoffentlich nicht befürworten wollen! Wo ist denn aber der Unterschied zur Vorratsdatenspeicherung innerhalb dieses Analogie-Modells?

Die Möglichkeit, sich grundsätzlich erst einmal unüberwacht zu begegnen bzw. Gedanken und Meinungen auszutauschen, ohne dabei die Sorge wegen einer staatlich verordneten Registrierung der Begegnung mit anderen Menschen zu haben, ist ein Grundpfeiler freier, demokratischer Gesellschaften.

Mit der Einführung einer Vorratsdatenspeicherung zersetzen Sie dieses Fundament bezüglich aller elektronisch geführter Kommunikation und Begegnungen … und gerade die gewinnt immer mehr an Bedeutung bzw. wird praktisch unausweichlich.

A2.) Dann noch eine Kommentierung des letzten Satzes im von uns zitierten Ausschnitt des NOZ-Berichts:

„Es ist absurd, dass wir das nicht können, obwohl die technischen Möglichkeiten gegeben sind.“

Das ist kein akzeptables Argument für eine sachbezogene öffentliche Debatte, denn Sie erwecken hiermit den Eindruck, dass alles, was an Überwachungs- und Datenerfassungsmaßnahmen „technisch machbar“ sei, auch zu „können“ sein müsse. Ganz außer acht lassen Sie dabei den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

Wir finden es nicht richtig, auf so eine Art öffentlich Stimmung zu machen.

Unsere beiden Fragen:

F1.) In der Koalitionsvereinbarung der derzeitigen rot-grünen niedersächsischen Landesregierung heißt es auf Seite 80:

„Die rot-grüne Koalition wird sich auf Europa- und Bundesebene, im Bundesrat und in der Innenministerkonferenz, gegen die derzeit diskutierten Varianten der Vorratsdatenspeicherung einsetzen. Sie hält dieses Verfahren für einen hochproblematischen Eingriff in die Grundrechte.“

Wie können Sie diese Vereinbarung mit Ihren Verlautbarungen vom 22.3.2015 in Einklang bringen? Ist Ihr Vorstoß innerhalb der rot-grünen Landesregierung Niedersachsens abgesprochen gewesen?

F2.) Im Urteil des Europäischen Gerichtshofes zur Nichtigerklärung der ehemaligen EG-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung heißt es in den Randnummern 51, 58 und 59:

„Zur Erforderlichkeit der durch die Richtlinie 2006/24 vorgeschriebenen Vorratsspeicherung der Daten ist festzustellen, dass zwar die Bekämpfung schwerer Kriminalität, insbesondere der organisierten Kriminalität und des Terrorismus, von größter Bedeutung für die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit ist und dass ihre Wirksamkeit in hohem Maß von der Nutzung moderner Ermittlungstechniken abhängen kann. Eine solche dem Gemeinwohl dienende Zielsetzung kann jedoch, so grundlegend sie auch sein mag, für sich genommen die Erforderlichkeit einer Speicherungsmaßnahme – wie sie die Richtlinie 2006/24 vorsieht – für die Kriminalitätsbekämpfung nicht rechtfertigen.

(…)

Die Richtlinie 2006/24 betrifft nämlich zum einen in umfassender Weise alle Personen, die elektronische Kommunikationsdienste nutzen, ohne dass sich jedoch die Personen, deren Daten auf Vorrat gespeichert werden, auch nur mittelbar in einer Lage befinden, die Anlass zur Strafverfolgung geben könnte. Sie gilt also auch für Personen, bei denen keinerlei Anhaltspunkt dafür besteht, dass ihr Verhalten in einem auch nur mittelbaren oder entfernten Zusammenhang mit schweren Straftaten stehen könnte. Zudem sieht sie keinerlei Ausnahme vor, so dass sie auch für Personen gilt, deren Kommunikationsvorgänge nach den nationalen Rechtsvorschriften dem Berufsgeheimnis unterliegen.

Zum anderen soll die Richtlinie zwar zur Bekämpfung schwerer Kriminalität beitragen, verlangt aber keinen Zusammenhang zwischen den Daten, deren Vorratsspeicherung vorgesehen ist, und einer Bedrohung der öffentlichen Sicherheit; insbesondere beschränkt sie die Vorratsspeicherung weder auf die Daten eines bestimmten Zeitraums und/oder eines bestimmten geografischen Gebiets und/oder eines bestimmten Personenkreises, der in irgendeiner Weise in eine schwere Straftat verwickelt sein könnte, noch auf Personen, deren auf Vorrat gespeicherte Daten aus anderen Gründen zur Verhütung, Feststellung oder Verfolgung schwerer Straftaten beitragen könnten.“

Bitte erläutern Sie uns, wie Sie angesichts dieser Bewertung durch das höchste EU-europäische Gericht an dem Ziel einer erneuten Vorratsdatenspeicherungs-Gesetzgebung festhalten wollen.

Für den Fall, dass Sie nicht von so einer anlasslosen und allgemeinen Vorratsdatenspeicherung von TK-Verbindungsdaten meinen gesprochen zu haben:

Wie genau (wir bitten um diskussionsfähige Details!) meinen Sie eine andere Form von Vorratsdatenspeicherung durchführen zu können?

Vielen Dank und viele gute Grüße von den Menschen von freiheitsfoo.

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