Bild: Screenshot aus einem Videoclip der
Aktionskünstlergruppe „Everything is OK“
Seit mehr als eineinhalb Jahren diskutiert der schleswig-holsteinische Landtag über ein eigenes Versammlungsgesetz.
Ein von der FDP eingebrachter Gesetzentwurf wurde seitens der anderen im Landtag vertretenene Parteien (Bündnis90/Grünen, CDU, Piraten, SPD, SSW) mit eigenen Änderungsvorschlägen bedacht. Nun soll das Gesetzgebungsverfahren zum Ende gebracht werden.
Am kommenden Mittwoch nachmittag findet vor dem Innen- und Rechtsausschuss in Kiel dazu eine mündliche Anhörung statt. Unter vielen anderen wurden auch wir als freiheitsfoo freundlicherweise dazu eingeladen und nehmen die Gelegenheit wahr, um unsere Sicht der Dinge zu erläutern.
Dazu haben wir per gemeinsamer Mailinglisten-Diskussion versucht, einen eigenen Standpunkt zu entwickeln und in Worte zu fassen.
Nachfolgend der Hauptteil unserer Stellungnahme – das komplette Dokument samt Anhänge gibt es auf unserer dazugehörigen Wikiseite zu lesen und als PDF-Datei zum Herunterladen.
Stellungnahme von freiheitsfoo zu den vorgeschlagenen Entwürfen der Fraktionen im Landtag Schleswig-Holstein für ein eigenes Länder-Versammlungsgesetz
Bezug: Umdrucke/Drucksachen des Landtags Schleswig Holstein Nrn. 18/119, 18/1314, 18/1318 und 18/2514
Einige Menschen von freiheitsfoo sind der Meinung, dass kein die Versammlungsfreiheit beschneidendes Gesetz befürwortbar wäre. Andere von uns könnten dagegen ein Versammlungsgesetz akzeptieren, wenn dieses deutlich weniger restriktiv als das bisherige Bundes-Versammlungsgesetz ausfiele und z.B. das Vermummungsverbot abschaffen und die Demonstrationspraxis eindeutig vereinfachen würde.
Das Recht, die eigene Meinung frei zu äußern, steht jedem Mensch zu. Es ist eine unverhandelbare Freiheit des Menschen. Dazu braucht es kein Gesetz. Die Freiheit, sich mit anderen Menschen ohne Anmeldung oder Formalien zu versammeln, ist gleichfalls ein solch undebattierbares Recht.
Mit Versammlungen kann auf gesellschaftliche oder gesellschaftlich-systemische Missstände und Fehlentwicklungen hingewiesen werden. Eine Gesellschaft, die diese grundlegenden Freiheiten und Rechte nicht würdigt und in der diese nicht mit Leben erfüllt werden, ist keine freie Gesellschaft. Das Recht auf Versammlungsfreiheit kann zudem nur zusammen mit anderen Menschen wahrgenommen werden kann. Das macht es besonders wertvoll.
Versammlungsfreiheit braucht keine gesetzliche Legitimierung. Im Gegenteil: Jeder Versuch, die Versammlungsfreiheit in einem Gesetz zu regeln führt unweigerlich zu ihrer Beschränkung – selbst bei noch so gutem Willen. Alleine deswegen lehnen wir ein neues Landesversammlungsgesetz ab.
Doch selbst, wenn man sich darauf einlassen wollte, Versammlungsgesetze zu akzeptieren, sind Landesversammlungsgesetze schlecht. Sie führen zu einer Zersplitterung des Demonstrationsrechts und der Demonstrationspraxis in Deutschland. Niemand, der die Versammlungsfreiheit lebt und Erfahrungen damit gemacht hat, kann diese neue Kleinstaaterei ernsthaft befürworten.
Wir möchten auf den grundlegenden, strukturellen Konflikt aufmerksam machen, der sich mit dem Entwickeln, Formulieren und bei der Umsetzung von Versammlungsgesetzen auftut:
Viele Versammlungen entstehen aus dem Erleben und Erfahren gesellschaftlicher Konflikte und Ungerechtigkeiten. Sie machen auf diese Probleme aufmerksam und kritisieren die dafür politisch Verantwortlichen. Häufig wenden sie sich daher (nicht persönlich, aber repräsentativ) gegen oder an die politisch Machthabenden. Das sind aber häufig dieselben Menschen, die legislativ darüber entscheiden, solche Versammlungen einzuschränken, zu reglementieren und gegebenenfalls zu kriminalisieren. Ein Versammlungsgesetz wird also von denen verfasst, gegen die viele Versammlungen abgehalten werden. Es droht die Gefahr, dass das Versammlungsgesetz somit zum Schutzgesetz wird, zu einem Gesetz zur Erhaltung bestehender Verhältnisse und Machtverteilungen.
Die Ausrichtung der neuen Länderversammlungsgesetze beispielsweise an den Interessen der Polizeibehörden lässt sich am Beispiel Niedersachsen belegen. Eine Versammlung wird mehr und mehr zum bürokratischen Verwaltungsakt und der damit oft verbundenen behördlichen Willkür.
Diese Entwicklungen werden in den vorliegenden Entwürfen und Änderungsvorschlägen für ein schleswig-holsteinisches Versammlungsgesetz fortgeführt: Es geht um eine Aneinanderreihung von Ausnahmen, Einschränkungen und von Reglementierungen. Es geht um die Einrichtung von Kontroll- und Zugriffsmöglichkeiten der Staatsgewalt auf die gesamte oder Teile der Versammlung. Und es geht um die gesetzlich gestützte Identifizierung und Kriminalisierung von VersammlungsteilnehmerInnen und ihrer politischen Einstellung.
Auf den Punkt gebracht: Die Legislative billigt einen Protest nur dann, wenn er so abgehalten wird, wie sie ihn per Versammlungsgesetz genehmigt. Der Exekutive in Form von Versammlungsbehörde und Polizei werden dabei Instrumente in die Hand gegeben, Versammlungen einzuschränken, zu kriminalisieren, aufzulösen und auf Protestierende gewaltvoll zuzugreifen. Manches Aussehen oder Verhalten der Demonstrierenden, das jenseits einer Demonstration völlig legal ist, wird durch das Versammlungsgesetz im Zusammenhang mit einem Protest zur Ordnungswidrigkeit oder Straftat erklärt. Das so genannte Vermummungsverbot ist nur ein Beispiel dafür. Proteste sollen möglichst systemkonform und damit systemstabilisierend sein. Für einen Ausbruch aus Zwang und Konformität bleibt kein Platz. Die Chance und Bedeutung einer Demonstration, sich temporär Raum und Ausdruck für den ungebändigten Ausdruck von Meinung, Sorgen und Ängsten zu verschaffen, ist dahin.
Diese Entwicklungen widersprechen eindeutig den Aussagen des so genannten Brokdorf-Beschlusses des Bundesverfassungsgerichtes.
In dieser Stellungnahme unserer Initiative freiheitsfoo verzichten wir aus diesen grundsätzlichen Überlegungen darauf, auf konkrete Details der Gesetzesvorschläge einzugehen. Wir gehen davon aus, dass sich die Mehrheit des Justiz- und Innenausschusses vielen unserer Ansichten nicht anschließen und unseren Bedenken zum Trotz für die Einsetzung eines eigenen Länder-Versammlungsgesetzes entscheiden wird. In diesem Fall möchten wir Sie auf die detaillierte Einzelkritik der Stellungnahme von Michael Ebeling (Umdruck Nr. 18/1493) verweisen. Herr Ebeling ist Teil der Initiative freiheitsfoo. Seine Stellungnahme entspricht allerdings nicht in allen Dingen unserem Gruppenkonsens. Aus diesen Gründen gibt es diese besondere Stellungnahme der Initiative freiheitsfoo.
Unserer Stellungnahme fügen wir einen Auszug aus einem Redebeitrag des Sozialphilosophen Oskar Negt an (Anhang 1). Der Text stammt aus dem November 1981, hat an Bedeutung und Aktualität aber nur wenig verloren. Vielleicht hilft er beim besseren Verständnis unserer Haltung. Außerdem fügen wir Ihnen noch eine von uns erarbeitete Übertragung von Teilen des Brokdorf-Beschlusses vom 14. Mai 1985 in die so genannte leichte Sprache bei (Anhang 2). Es würde uns freuen, wenn Sie die angehängten Texte kritisch, aber trotzdem mit einem offenen Geist lesen würden, bevor Sie Ihre Entscheidungen treffen.
Wir danken Ihnen für die Aufmerksamkeit und für die Gelegenheit, unsere Sicht der Dinge vorstellen zu dürfen.
Viele gute Grüße von den Menschen von freiheitsfoo!