Neue EU-Richtlinie „Europäische Ermittlungsanordnung“ – Was ist das?

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Das EU-Parlament hat am 27. Februar 2014 so gut wie unbeachtet von den Medien eine neue Richtlinie verabschiedet, die jetzt „nur“ noch vom EU-Ministerrat verabschiedet werden muss, um wirksam zu werden.

Die Gesetzgebung wird als „Richtlinie über die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen“ bezeichnet und klingt damit eher langweilig oder zumindest unspektakulär nüchtern. Dabei stecken in dieser Richtlinie grundlegende Änderungen für die Strafverfolgung in der EU.

Wir möchten kurz erläutern, worum es geht und warum diese Richtlinie bisherige binationale Rechtsordnung auflöst und damit Rechtswillkür fördert.

Mit dieser Richtlinie wird es jedem EU-Mitgliedsstaat gestattet, strafverfolgende und ermittelnde Maßnahmen in jedem anderen EU-Mitgliedsland einzufordern, auch wenn es gar kein Gesetz zu der Strafsache im zur Strafverfolgung beauftragten Staat gibt.

Zu diesen Maßnahmen können gehören:

  • Hausdurchsuchung
  • Beschattung
  • Videoüberwachung
  • Bespitzelung
  • Brechen des Bankgeheimnisses (Einblick in Finanzen, Überweisungen, Geldabhebungen an Automaten)
  • Telefon- und Handyüberwachung
  • Internetüberwachung bis hin zum Staatstrojaner bzw. einer Behördenwanze in privaten Computern
  • Abgriff von Telekommunikationsdaten oder Zugriff auf TK-Vorratsdaten
  • usw.

 

An zwei fiktiven Beispielen erläutert:

Beispiel 1: Ermittlungsmaßnahmen von Behörden anderer EU-Staaten in Deutschland

Die ungarischen Behörden meinen, gegen mich ermitteln zu können. Mit dem Verweis auf dieses Verfahren können sie von den deutschen Polizeien und Staatsanwaltschaften verlangen, hier in Deutschland eine oder mehrere der eben genannten Maßnahmen auf mich anzuwenden, mich also hier in Deutschland lebend zu durchleuchten oder zu überwachen. Dies gilt sogar dann, wenn das der mir vorgeworfenen Strafsache zugrunde liegende Gesetz nur in Ungarn besteht und meine kriminalisierte Handlung in Deutschland gar keine Straftat ist.

Beispiel 2: Ermittlungsmaßnahmen von deutschen Behörden im EU-Ausland

Deutsche Behörden meinen, gegen mich ein Verfahren einzuleiten bzw. anzustrengen. Damit könnten Sie z.B. in Polen anfragen, um dort über mich gespeicherte TK-Vorratsdaten abzufragen (und polnische Behörden „lieben“ Vorratsdatenspeicherung!), wenn ich mich z.B. in Polen ab und zu aufhalte oder mit Menschen in Polen in Kontakt stehe. Oder falls ich einen Telefon- oder Internetanbieter nutze, der in Polen (oder einem anderen EU-Land) seinen Sitz hat.

 

fnf12-02Es wirkt beunruhigend, wenn man die denkbaren Möglichkeiten und persönlichen Konsequenzen ausmalt, die aus dieser Richtlinie erwachsen können!

Dem wird entgegengehalten, dass man in den Erwägungsgründen Nrn. 10 bis 12 der Richtlinie doch festgehalten habe, dass der Aufforderung, beispielsweise eine Hausdurchsuchung meiner Wohnung durchzuführen, stets die Prüfung der Verhältnismäßigkeit vorweg gehen müsse und selbst dann nur erlaubt sei, wenn so etwas auch nach deutschem Recht ginge.

Allerdings stimmt das nicht ganz:

Schaut man genauer in die Richtlinie, so ist beispielsweise in Artikel 11 nur von einer „Kann“-Bestimmung die Rede. Genauer: Eine Behörde „kann“ die Durchführung der angeforderten Ermittlungs- und Überwachungsmaßnahmen verweigern, wenn Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, andere Menschenrechte oder das Rechtsprinzip der Nicht-Doppelbestrafung („ne bis in idem“) dadurch unverhältnismäßig beschnitten oder verletzt werden würden. Die Behörde „muss“ aber nicht!

Wir lehnen diese Regelungen ab, die zu nichts anderem als Willkür und Rechtsunsicherheit führen.

Doch die Richtlinie enthält weitere Fallgruben. An dieser Stelle nur noch eine weitere erwähnt, wir zitieren den Erwägungsgrund Nr. 27:

„Eine EEA kann erlassen werden, um Beweismittel über Konten gleich welcher Art zu erhalten, welche eine Person, gegen die ein Strafverfahren geführt wird, bei einer Bank oder einem Finanzinstitut außerhalb des Bankensektors hält. Diese Möglichkeit ist weit auszulegen, das heißt sie gilt nicht nur für verdächtige oder beschuldigte Personen, sondern auch für alle anderen Personen, in Bezug auf die die zuständigen Behörden solche Informationen im Zuge von Strafverfahren für notwendig erachten.“

Das ist nichts anderes als die EU-europäische Manifestierung des unheilvollen Kontaktschuld-Prinzips. In diesem Fall wird das Bankgeheimnis und damit ein Teil der menschlichen Privatsphäre „nicht nur für verdächtige oder beschuldigte“ Menschen gebrochen bzw. aufgehoben, auch der Bekanntenkreis dieser Leute können in einer willkürlich erscheinenden Art und Weise davon betroffen sein.

Und nochmals zur Verdeutlichung:

Bei alledem geht es nicht um Überwachung, Durchleuchtung und Repression (eine Hausdurchsuchung wirkt nicht anders als repressiv!) von Straftätern. Es geht um lediglich Verdächtige. Ungerechterweise verdächtigt zu werden (egal ob in Deutschland, Spanien, Italien oder Serbien) – das kann mitunter sehr schnell geschehen.

Diese EU-Richtlinie droht die staatliche Souveränität und das Rechtsvertrauen der Menschen in Europa zu zersetzen und sollte deswegen nicht umgesetzt werden.

In einer Stellungnahme der Bürgerrechtsorganisation Statewatch (wenn auch aus dem November 2010) analysiert Steve Peers, Rechtsprofessor der Universität von Essex, denn auch (unsere Übersetzung des vorletzten Absatzes auf Seite 8):

„Es bleibt dabei, dass wenigstens in einigen Fällen die Kombination aus Abschaffung von Doppelbestrafung und Territorialitätsprinzip eine erhebliche Bedrohung der Rechtsstaatlichkeit in Sachen Strafrecht darstellt. Artikel 7 der europäischen Menschenrechtskonvention (Rechtsstaatlichkeit bei Strafverfahren) und Artikel 8, wonach Beschneidungen der Privatsphäre gesetzlich festgelegt und beschrieben sein müssen, drohen gebrochen zu werden. Die nationale Souveränität der EU-Mitgliedsstaaten wird ausgehöhlt – sie verlieren die Definitionshoheit darüber, welche Handlungen auf ihrem Gebiet als Straftaten zu behandeln und zu verfolgen sind, und welche nicht.“

Das fürchten wir auch!

 

Wir empfehlen allen die Lektüre des überschaubar langen Beitrags von Matthias Monroy auf telepolis und – bei weiteren Interesse daran, was jede*n von uns in Zukunft betreffen könnte – den Blick in den jetzigen Stand der Verordnung, auch wenn die aus Brüssel stammenden Texte wie gewohnt mindestens auf den ersten Blick für die Menschen, auf die sie angewendet werden, nicht oder nur schwer zu verstehen sind.

 

Ein letztes Wort noch zum Abstimmungsverhalten im EU-Parlament:

467 EU-Parlamentarier, darunter alle Parteimitglieder von CDU, CSU, SPD, FDP und Bündnis90/Grüne haben für diese Regelungen gestimmt. Lediglich 22 Mitglieder des EU-Parlaments (6 Rechtspopulisten, 3 Linke, 13 Fraktionslose) haben sich dagegen ausgesprochen. Das Abstimmungsverhalten kann hier nachgesehen werden (dazu oben den Reiter „Votes“ anklicken).

Die Verabschiedung erfolgte bereits in erster Lesung (in der Systematik der EU-Bürokratie eher ungewöhnlich) und ohne weiterführende, kontroverse Debatte.

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