Das Verwaltungsgericht prüft: Ist die polizeiliche Videoüberwachung der hannoverschen Weihnachtsmärkte rechtens und verhältnismäßig? [Update: Eilantrag wurde abgelehnt]

Polizeiliche Videoüberwachungskamera an der Schmiedestraße in Hannover zum Weihnachtsmarkt 2022, aus zwei verschiedenen Perspektiven in Totaler und Detail.

Alle Jahre wieder … baut die Polizeidirektion Hannover mobile Videoüberwachungsanlagen in der Innenstadt auf, um für die Zeit der Weihnachtsmärkte ebendiese überwachen zu können. Rein rechtlich ist diese Unternehmung im noch recht neuen (und umstrittenen) Polizeigesetz Niedersachsens (§ 32 (3) Satz 1 Nr. 2 NPOG) als „temporäre Videoüberwachung“ geregelt.

Diese Arbeit macht sich die Polizei Hannover seit rund gut zehn Jahren, zunächst noch ohne jede dazugehörige Öffentlichkeitsarbeit. Die insgesamt recht erfolgreichen Verwaltungsgerichtsklagen gegen die polizeiliche Videoüberwachung in der niedersächsischen Landeshauptstadt haben inzwischen auch dazu geführt, dass die Polizei die weihnachtliche Überwachungsmaßnahme öffentlich macht und (etwas) beschildert.

Wir haben diese Advents-Videoüberwachung punktuell über die Jahre begleitet. In 2017 gab es gar keine Videoüberwachung, in 2019 wurden fünf Kameras aufgestellt in 2020 fielen die Weihnachtsmärkte wegen Corona ganz aus und in 2021 erteilte uns die Polizei auf unsere Presseanfrage erst gar keine Antwort.

Über die „Ausbeute“ der polizeilichen Maßnahmen zum Schutz der Weihnachtsmärkte und ihrer Besucher*innen (Polizeiwache, Polizeistreifen, Videoüberwachung) konnte man in 2019 beispielsweise lesen (Hervorhebungen durch uns):

Der Weihnachtsmarkt in Hannover hat laut Stadt in diesem Jahr 1,85 Millionen Besucher verzeichnet – und die Zahl der Taschendiebstähle und anderen Straftaten fällt im Verhältnis dazu äußerst gering aus. Wie die Polizei am Montag auf HAZ-Anfrage mitteilte, registrierten die Beamten zwischen dem Auftakt des Marktes am 25. November und dem 20. Dezember, also vergangenem Freitag, nach ersten Zählungen nicht einmal 20 Delikte. (…) Neun Taschendiebstähle, acht weitere Straftaten: Laut Behördensprecher André Puiu gab es bis Freitagabend neun Taschendiebstähle, am 11. Dezember wurden zwei mutmaßliche Täter festgenommen. Bei den weiteren Straftaten registrierte die Polizei sogar nur acht Delikte, darunter je zwei Körperverletzungen und Sachbeschädigungen, darüber hinaus wurde etwa Holz an einem Glühweinstand entwendet. Außerdem zeigte laut Puiu ein Betrunkener den Hitlergruß, und in einem Fall hatten Unbekannte versucht, in eine Marktbude einzubrechen.“

Nicht schön, aber auch nicht besonders spektatkulär. Vor allem: Ist bei Betrachtung dieser Fallzahlen die Videoüberwachung notwendig und hilfreich, also verhältnismäßig? Neun Taschendiebstähle bei 1,85 Millionen Besuchern? o_O

In diesem Jahr spendiert die Polizei vier Kameras zu den bereits bestehenden und dauerhaft betriebenen, um die Besucher der Weihnachtsmärkte in der Innenstadt Hannovers ganztägig und -nächtig zu überwachen und die Bilder aufzuzeichnen. Unsere dazugehörige Presseanfrage wurde sogar beantwortet, doch entspann sich daraus ein ca. drei Wochen lang währender Dialog, bis wir endlich die Informationen bekommen hatten, die wir auch angefragt hatten.

Und das Ergebnis des vielen Hin und Her? Wir fassen die Informationen in Stichpunkten zusammen.

Aber vorweg: Unserer Ansicht nach entsprichen die Kameras nicht den rechtlichen Anforderungen des für „temporäre Videoüberwachung“ zuständigen § 32 (3) Satz 1 Nr. 2. In anderen Worten: Die Polizei filmt und zeichnet die Menschen der Weihnachtsmärkte rechtswidrig auf.

Ein Mitglied unserer Redaktion hat am 11.12.2022 Klage vor dem Verwaltungsgericht Hannover gegen die Weihnachtsmarkt-Videoüberwachung eingelegt (Klagetext zum Verfahren 10 A 5210/22), denn das Oberverwaltungsgericht Lüneburg hatte bei einer Behandlung anderer temporärer Videoüberwachung der Polizei Hannover Regeln für die Zulässigkeit solcher Anlagen aufgestellt. Regeln, die unserer Meinung nach nicht eingehalten werden, obwohl sich das Gericht damals an einem von der Polizeidirektion selber entwickelten und vorgeschlagenen Bewertungssystem zur Verhältnismäßigkeit polizeilicher Videoüberwachung orientiert hat. Am 15.12.2022 wurde dann noch ein dazughöriger Eilantrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gestellt (Eilantragtext 10 B 5284/22) Es bleibt abzuwarten, was aus Klage und Eilantrag wird – wir werden hier dazu auf dem Laufenden halten.

Hier nun stichpunktartig die Fakten zur Überwachung:

  • Es geht um vier Stück dreh-, schwenk- und zoombare Überwachungskameras, jeweils auf den Dächern am Rande der Weihnachtsmärkte aufgebaut.
  • Die Kameras sind vom 21.11. bis zum 22.12.2022 in Betrieb und zeichnen in diesem Zeitraum ununterbrochen Bilder auf. Zu den Löschfristen gab es seitens der Polizei unterschiedliche Angaben. Zunächst war auf der Polizei-Internetseite von einer „dauerhaften Aufzeichnung“ die Rede. Auf weitere Nachfrage hin heißt es, die Bilder würden jeweils für maximal fünf bis sieben Tage gespeichert. Zum Schluss hieß es, die Aufzeichnungen würden nach sieben Tage sukzessive gelöscht.
  • Zunächst hieß es, dass die Bilder der Kameras in Echtzeit „überwacht würden, um bei erkannten Konflikten ein schnelleres Einschreiten von Einsatzkräften zu ermöglichen.“ Das nennt sich „Live-Monitoring“. Auf eine Nachfrage von uns dazu hieß es zunächst: „Es findet kein dauerhaftes Monitoring durch die Beamtinnen und Beamten statt. Die Bilder werden anlassbezogen beobachtet.“ Dann übernahm die Haupt-Pressesprecherin das Zepter der Beantwortung unserer Anfragen und teilte inhaltlich anderslautend mit: „Es findet möglichst ein dauerhaftes Live-Monitoring durch die Beamtinnen und Beamten statt.“ Und dann später noch einmal anders: „Die Aufgabe eines „möglichst dauerhaften“ Live-Monitoring wird im Hauptamt wahrgenommen.“ Und dann später sogar noch einmal etwas weiter differenzierend: Nur zu den Öffnungszeiten des Weihnachtsmarktes wird ein sog. Live-Monitoring durch Polizeivollzugsbeamtinnen und -beamten in den Diensträumen des Polizeikommissariates Mitte durchgeführt.
  • Es wurden 18 Hinweisschilder für die temporäre Videoüberwachung aufgestellt. Unserer Ansicht nach ist das nicht ausreichend, zum Teil sind die Schilder auch nicht an der „richtigen“ Stelle plaziert. Die Schilder weisen nicht darauf hin, dass die Bilder aufgezeichnet werden. Und wann mensch die videoüberwachte Zone verlässt wird einem auch nicht mitgeteilt – zurück bleibt also das unterbewusste Gefühl andauernden Überwachtwerdens …
  • Um genau ermitteln können, welche und wie viel Straftaten von einer Überwachungskameras potentiell erfasst werden können müssen Detailkarten erstellt werden, aus denen unter Berücksichtigung baulicher Gegebenheiten (Gebäude, Vegetation) der „Sichtbereich“ der Kamera hervorgeht. Solche Karten hatte die Polizei bei vorhergehenden Gerichtsverfahren stets präsentiert. In diesem Fall – so ergab sich allerdings erst nach vielen vielen Nachfragen – hat sie sich diese Arbeit nicht gemacht. Das ist einer der Hauptkritikpunkte im Zuge der eingereichten Klage.
  • Ebenso kann die Polizei keinerlei räumlich wie zeitlich differenzierte Statistik vorweisen, aus der klar hervorgeht, dass es zu Zeiten der Weihnachtsmärkte im Bereich der Kameras deutlich mehr Straftaten gibt als sonst. Bedrückenderweise wollte uns die Polizei-Pressestelle dazu mit der Anzahl der Taschendiebstähle im gesamten Jahr und dann auch noch für die gesamte Region Hannover (Stadt Hannover plus Umland Hannover) abspeisen und meinte, unserer Nachfrage damit Genüge getan zu haben …
  • Position der vier temporären Polizei-Überwachungskameras zu den hannoverschen Weihnachtsmärkten 2022

    Kaum bis gar keine Öffentlichkeitsarbeit dazu. Immerhin eine eigene Internetseite der Polizei: Diese Seite war innerhalb des Internetauftritts der Polizei Hannover so gut wie unauffindbar. Nach unserer Kritik daran hat die Polizei diesen Mangel inzwischen behoben. Leider fehlt auf der Seite eine Karte mit der Darstellung, wo genau die Kameras befindlich sind. Wir haben dem Mangel mit der Grafik in diesem Beitrag behoben.

Fazit

Die Polizeidirektion wartet mit zum Teil widersprüchlichen und vor allen sehr zögerlichen Antworten zu den genauen Umständen allweihnachtlicher Videoüberwachung auf. Ob die Vorgaben des Polizeigesetzes im Sinne des OVG-Urteils aus 2020 eingehalten werden und darüber hinaus eine Verhältnismäßigkeit der Maßnahme und ausreichende Kennzeichnung gegeben sind, das wird das Verwaltungsgericht Hannover im Laufe der kommenden Woche vorab per Eilverfahren entscheiden.

 

[Update 21.12.2022]

Das Verwaltungsgericht hat den Eilantrag zur Abschaltung der Videoüberwachung abgelehnt (Beschluss 10 B 5284/22). Dem liegen u.a. neue und nicht bekannte bzw. nicht öffentliche Angaben der Polizei zugrunde, die dem Antragsteller bislang nicht zugekommen lassen worden sind.

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