Mindestens einmal jährlich müssen in Deutschland ansässige Aktiengesellschaften (AG) eine Hauptversammlung (HV) abhalten, Vorstand und Aufsichtsrat über ihre Arbeit Rechenschaft ablegen. Auf diesen Versammlungen hat jede*r Aktionär*innen ein gesetzlich verbrieftes Frage- und Auskunftsrecht. Die Nutzung und Belebung dieses Rechts ist oftmals einer der wenigen Wege, um einerseits verbindliche Informationen über das Wesen und die Handlungen einer Aktiengesellschaft zu erhalten und andererseits im persönlichen Gegenüber kritische Fragen und Anmerkungen an die Lenker der Konzerne zu richten. Es ist insofern ein (halb-)öffentliches Tribunal, bei dem sich die Manager zu rechtfertigen haben. Dass sie bei kritischen Fragen nicht selten ausweichend und vernebelnd antworten zu versuchen ist nichts neues. Doch haben die Aktionär*innen dann immerhin das Recht nachzufragen und nachzubohren, sofern sie sich nicht von dem selbstbewussten Auftreten der Gutbezahlten einschüchern lassen.
Doch halt – mit Aufkommen der Corona-Pandemie wurden ebendiese wichtigen Frage- und Auskunftsrechte weitgehend beschnitten, zu Teil ganz aufgehoben. Wir hatten im Januar 2021 über diese unheilvolle Entwicklung berichtet.
Zu Beginn wurde argumentiert, es handele sich um eine nur vorübergehende Einschränkung der Aktionär*innen-Rechte. Nun entpuppt sich das als Lüge, denn nicht nur wurde – heimlich, still und leise und bislang fast ohne jede öffentliche Beachtung – diese Ausnahmeregelung bereits zum zweiten mal verlängert – bis zum 31.8.2022 nämlich. Nein, diese Beschränkungen sollen – so droht das Bundesjustizministerium auf unsere Nachfragen hin – auch nach Corona so oder so ähnlich gesetzlich fortgeschrieben werden. Das klingt in bürokratisch vernebelnder Schriftart so:
„Die Erfahrungen, die in den Jahren 2020 und 2021 durch die Abhaltung entsprechender virtueller Hauptversammlungen gewonnen werden konnten, werden in die weiteren Überlegungen zu einer möglichen gesetzlichen Neuregelung der virtuellen Hauptversammlung einfließen.„
Die erneute Verlängerung der Zulässigkeit „virtueller Hauptversammlungen“ bei gleichzeitiger starker Beschneidung der Rechte von Aktionär*innen wurde – ebenfalls erneut – in einem Gesetzespaket mit ganz anderem Inhalt versteckt:
„Die erneute Verlängerung erfolgte durch Artikel 15 und 16 des Aufbauhilfegesetzes 2021 vom 10. September 2021. Damit können Hauptversammlungen von Aktiengesellschaften noch bis Ende August 2022 als virtuelle Hauptversammlungen abgehalten werden.“
[Wohl eher Abbau statt Aufbau. Aber das nebenbei.]
Und schlimmer noch: Diese mit Corona begründeten Einschränkungen sind ganz unabhängig davon möglich, ob und wie sehr die Pandemie weiter existiert. Also selbst wenn die Corona-Inzidenzen sinken würden und ganz unabhängig von allen anderen Randbedingungen (Masken, 3G, 2G …) – die Konzerne dürfen virtuelle Hauptversammlungen ohne Präsenz von Aktionär*innen durchführen:
„Das Gesetz (…) hat eine eigenständige Außerkrafttretensregelung (31.08.2022), die nicht an die „epidemische Lage von nationaler Tragweite“ anknüpft.“
Ein echter Gesetz-Konstruktions-Fehler, wenn man die Begründung der Corona-Pandemie für die Änderungen ernst nimmt.
Manager*innen, die Kritik und öffentliche Debatten über ihr Tun und Lassen fürchten, freut’s sehr.
Klar ist:
Der Konstruktionsfehler muss behoben werden und Hauptversammlungen müssen künftig wieder in der alten Form und mit allen bisherigen Rechten für die Halter/Besitzer der Aktionspapiere durchgeführt werden können. Das schließt ja nicht aus, dass „hybride Hauptversammlungen“ möglich sind. Also die wahlweise Online- oder Realwelt-Teilnahme an den HVs.
Es ist wichtig, diese Forderung jetzt zu erheben, bevor hinter den verschlossenen Türen der Ampel-Koalitionsverhandlungen mit den entsprechenden konzernfreundlichen Teilnehmern andere Weichen gestellt werden – ganz unabhängig davon, ob diese dann konkret im Koalitionsvertrag benannt werden oder nicht.
Immerhin: Erste Kritik an den virtuellen HV regt sich selbst in konservativen Kreisen.