Am 27.8.2020 fand in Hannover die alljährliche Hauptversammlung der üstra AG, dem ÖPNV-Dienstleister der niedersächsischen Landeshauptstadt und ihrer Umgebung statt. Diese Hauptversammlung fand aus Corona-Gründen – wie auch alle anderen AG-Hauptversammlungen seit dem März 2020 – „dank“ einer eiligst durchgeführten Gesetzesänderung durch die Bundesregierung als so genannte „virtuelle Hauptversammlung“ statt. Diese Corona-begründete Änderung im Aktionärsgesetz ermöglicht und erlaubt es den AG’s erst- und hoffentlich ein- und letztmalig, die zwingend durchzuführenden Hauptversammlungen ohne persönliche Präsenz der Aktienbesitzer und unter massiver Aussetzung essentieller Aktionärs-Frage- und Rederechte durchzuführen. Doch dazu in einem eigenen späteren Blogbeitrag mehr.
Wie üblich wurden auf der üstra-AG u.a. auch Daten über den Umfang und den Sinn des Einsatzes von Videoüberwachungstechnik im ÖPNV abgefragt. Alle wesentlichen Fragen und die dazu erteilten Antworten haben wir ausführlich dokumentiert.
Hier nur in aller stichpunkthaften Kürze einige uns wichtig erscheinende Details aus dem umfangreichen Frage-Antwort-Katalog:
- Die üstra hat in 2019 600 Straftaten registriert, also im Schnitt ca. 1,6 Straftaten pro Tag. Knapp ein Drittel davon sind „verbale Übergriffe“, weitere 20% sind Vandalismus (durchschnittlich also alle drei Tage ein solcher Vorfall) sowie 9% Graffiti (ein Graffiti pro Woche).
- Neben 231 stationären Kameras betreibt die üstra weitere, mengenmäßig in die Tausende gehende Kameras in ihren Bussen und Bahnen.
- Rein technisch hat die Polizeidirektion Hannover die Möglichkeit, in Echtzeit auf die Bilder jeder der 231 stationären Kameras in Echtzeit zugreifen zu können.
- 2019 wurde 541 mal auf Aufzeichnungen von Überwachungskameras in Bussen und Bahnen zugegriffen, in knapp der Hälfte der Fälle wurden die Daten der Polizei ausgehändigt bzw. von diesen abgerufen/angefordert.
- Allerdings kam es auch 25 mal vor, dass dabei festgestellt worden ist, dass die Kameras defekt waren oder aus anderen Gründen keine verwertbaren Daten liefern konnten. Das sind rund 5%. Anders ausgedrückt: In einem von 21 Fällen war das der Fall. In 2018 war es sogar so, dass in einem von 12 Fällen die Kameraaufzeichnungen aus irgendeinem der genannten Gründe nicht verwertbar oder aufgrund eines Defektes gar nicht vorhanden waren.
- Die üstra bezahlt jährlich 340.000 Euro für den Betrieb und die Instandhaltung der Videoüberwachungsanlagen.
- Gleichwohl kann die üstra nichts darüber aussagen und keine Belege zu der Frage liefern, ob die Videoüberwachung in auch nur einem Fall zur Aufklärung von Straftaten hat helfen können.
- Und auch kann Sie weder auf eigene Evaluationen noch auf Studien oder wissenschaftliche Untersuchungen Dritter verweisen, die belegen könnten, dass die Videoüberwachung eine präventive, also straftatsverhindernde Wirkung aufweist.
- In 2019 hat die üstra-Konzerntochter protec eine neue „Einsatzleitstelle für Sicherheit und Sauberkeit“ am Hauptbahnhof eröffnet. Heikel dabei: Die protec-Mitarbeiter*innen haben von dort aus nicht nur Zugriff auf die Bilder sämtlicher stationärer üstra-Überwachungskameras, sie können diese auch hinsichtlich der Ausrichtung und des Zooms fernsteuern. Die üstra meint das mittels eines „Dienstleistungsvertrags in Sachen Auftragsdatenverarbeitung“ rechtlich absichern zu können.
- Als Bonmot zum Schluß ein Zitat aus dem üstra-Jahresabschluss-2019 (Seite 20):
„Die Risiken im Risikofeld Informationstechnik werden als gering bewertet.“
Auch auf Nachfrage hin wollte sich der Vorstand der üstra AG dazu nicht etwas vorsichtiger oder selbstkritischer geben und beharrte auf diese selbstbewusste, um nicht zu sagen, selbstherrliche Beurteilung …