In Hannover wurde durch ein Mitglied der freiheitsfoo-Redaktion vor einigen Tagen folgende Situation zufällig beobachtet:
Am Abend des 24.6.2020 wurde in Hannover-Linden ein dunkelhäutiger Mann von fünf Polizeibeamt*innen (drei davon in ziviler Kleidung) festgehalten und kontrolliert. Nach einer Identitätsfeststellung wurde dem Mann ein temporäres Aufenthaltsverbot nach § 17 NPOG erteilt. Begründet wurde diese verbal damit, dass sich der Passant bei einer nur kurze Zeit vorher stattgefundenen Polizeikontrollfahrt angeblich einen vor der Polizei fliehenden Eindruck erweckt haben soll. Der festgehaltene Mann dementierte das und erklärte, dass er soeben erst von der Arbeit käme und auf dem Weg nach Hause sei. Das ließ der wortführende Polizeibeamte in Uniform nicht gelten und behauptete, er habe ihn aber wiedererkannt. Während der Maßnahme wurde der Festgehaltene vom wortführenden Polizeibeamten geduzt, andersherum allerdings nicht.
Zur weitergehenden Erläuterung: Die Polizeimaßnahme fand an einem wenig belebten Ort an einem Fußweg eines Flusses statt, der für den Handel mit als Drogen klassifizierten Stoffen bekannt ist.
Wir haben zu dem Vorgang eine Presseanfrage an die Polizeidirektion Hannover gestellt, die erfreulicherweise umgehend beantwortet wurde.
Im Fokus unserer Nachfragen standen im Wesentlichen zwei Punkte:
1. Warum wurde der Betroffene vom Polizeibeamten geduzt?
2. Wie hätte sich der Betroffene gegen die aus seiner Sicht unzulässige Erteilung eines Aufenthaltsverbots wehren können bzw. warum gab es keine Rechtsbehelfsbelehrung?
Ad 1. antwortet die Polizei u.a.:
Im konkret vorliegenden Beispiel war der Betroffene den eingesetzten Beamten aus vergangenen Verfahren persönlich bekannt und man hat sich während Maßnahmen gegenseitig geduzt, was offensichtlich beiderseits nicht als despektierlich empfunden wurde. Der Betroffene hat gegenüber den eingesetzten Beamten nicht geäußert, dass er sich an deren Umgangston stört.
Ad 2. heißt es dann:
Das Ergreifen eines Rechtsmittels oder Rechtsbehelfs ist nicht von einer Rechtsbehelfsbelehrung abhängig. (…) Ist die Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder unrichtig erteilt, so ist die Einlegung des Rechtsbehelfs hingegen innerhalb eines Jahres zulässig (…). Der Betroffene hätte also ein Jahr Zeit, sich rechtlich beraten zu lassen. Eine Pflicht zur Erteilung einer Rechtsbehelfsbelehrung sieht das Gesetz nur bei schriftlichen Bescheiden vor (§ 37 Abs. 6 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG)).
Unser Fazit zu diesem Vorgang:
Die Antworten der Polizeidirektion Hannover erscheinen uns lebensfremd und bürokratisch abgehoben, ja borniert.
1. Es ist überhaupt nicht „offensichtlich“ gewesen, dass der von der Polizeimaßnahme Betroffene das ungefragte Geduzt-Werden als „nicht despektierlich“ empfunden hat. Wer die Situation erlebt hat oder sich einen Eindruck davon im Geiste machen kann (fünf robust auftretende, bewaffnete Polizist*innen gegenüber einem einzelnen Schwarzen abends an einer von Passanten nur sehr wenig frequentierten Stelle eines Fußwegs an einem Fluß), der erkennt, dass die Vorhaltung, der Betroffene hätte ja „äußern können, dass er sich an diesem Umgangston stört“ völlig abgehoben und realitätsfern ist. Der Betroffene wirkte auf den Zeugen eher eingeschüchtert, was so eine verbale Intervention nahezu verunmöglicht. Und einen nachvollziehbaren Grund dafür, warum ein Polizist ungefragt mit dem Duzen anfängt, gibt es faktisch nicht.
2. Auch die Ausführungen der Polizei dazu, dass der Betroffene ja „ein Jahr Zeit gehabt hätte, sich rechtlich beraten zu lassen“ zeugt von der Eingebildetheit der Behörde. Woher soll der Betroffene, dessen Heimatsprache das Deutsche nicht ist, von den zitierten Rechtsverordnungen denn wissen geschweige denn eine*n Anwalt/Anwältin bezahlen? Vor allem: Und was würde das denn überhaupt nützen, wenn das mit sofortiger Wirkung verhängte Aufenthaltsverbot dann bereits abgelaufen ist?
Den im Raum stehenden mitschwingenden Vorwurf einer – im schlimmsten Fall sogar möglicherweise rassistisch begründeten – Ungleichbehandlung durch die Polizeikräfte begegnet die Polizeidirektion Hannover aus unserer Sicht mit diesen auf tönernen Füßen stehenden und formal wirkenden Antworten nur sehr unbefriedigend.
Eine klare Ansage, dass Polizist*innen ihr Gegenüber nicht einfach duzen dürfen und nicht duzen sollen, vermissen wir sehr. Stattdessen wird die fragwürdige dokumentierte Handlung sogar noch mittels haltloser Behauptungen zu rechtfertigen versucht.
Menschen, denen man ein Aufenthaltsverbot erteilt, gehört dieses schriftlich begründet und bestätigt – und zwar inklusive einer leicht verständlichen Rechtsbehelfsbelehrung. Nur so kann Rechtssicherheit entstehen. Das niedersächsische Polizeigesetz NPOG sieht eine Pflicht zu so einer Verschriftlichung/Dokumentation polizeilichen Handelns nicht vor – ein weiterer Konstruktionsfehler des umstrittenen Gesetzes. Der Polizeidirektion Hannover scheint es nicht am Herzen zu liegen, in eigener Initiative für mehr Transparenz in und Vertrauen zur Arbeit ihrer Beamt*innen zu sorgen.