Das Bundesverfassungsgericht hat am vergangenen Dienstag, den 19.5.2020 ein Urteil zur (Un)Rechtmäßigkeit der nach den Snowden-Enthüllungen bekannt gewordenen und zuletzt – nachträglich legitimierend – in das BND-Gesetz eingegossenen Befugnisse des deutschen Auslandsgeheimdienstes („Bundesnachrichtendienst“ – BND) gefällt (BVerfG-Pressemitteilung / Urteil in voller Länge).
Endlich geklärt wurde u.a.: Die Grundrechte, die im Grundgesetz verankert sind, stehen allen Menschen zu. Nicht nur „Deutschen“, nicht nur in Deutschland. Genau das Gegenteil hatten die Geheimdienstler aus Pullach und Berlin immer wieder vehement behauptet und genauso dreist wie absurd vor dem NSA-Untersuchungsausschuss z.B. mittels „Weltraumtheorie“ oder „Funktionsträgertheorie“ postuliert.
Zu Recht freuen sich viele über dieses Urteil und die damit verbundene teilweise Kehrtwende des Gerichts. Doch die Freude verdeckt leider das, was das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil durchgehen ließ. Um den Blick darauf zu lenken möchten wir auszugsweise aus zwei Beiträgen zum Urteil zitieren und zum Lesen empfehlen.
Das freiheitsfoo hatte sich nach der Absegnung des nun als in Teilen verfassungswidrig etikettierten (und damals von CDU/CSU und SPD und anderen Parteien gefeierten) BND-Reform-Gesetzes in 2016 wie folgt positioniert:
Wir sind der Überzeugung, dass das neue BND-Gesetz schlecht für die Zukunft unserer Gesellschaft und schlecht für unser Zusammenleben ist. Mit Blick auf die vergangenen Jahrzehnte mitsamt aller bislang öffentlich gewordenen Fehlentwicklungen und zu verurteilenden Handlungen unkontrollierbarer Geheimdienste in Deutschland und selbst angesichts einiger angeblicher Erfolge der deutschen Spionagebehörden glauben wir, dass Geheimdienste – ganz egal ob man sie nun „Verfassungsschutz“ oder „Nachrichtendienst“ nennt – per se nicht mit einer offenen und freien Gesellschaft zu vereinbaren sind.
Diese Auffassung gilt nach wie vor.
Doch hier die schon angekündigten Leseempfehlungen aus den Beiträgen anderer Menschen und Gruppen:
Das Bundesverfassungsgericht beanstandete heute die konkrete Ausgestaltung von Vorschriften zum verdachtsunabhängigen Abhören und zur Überwachung der Internetkommunikation durch den Bundesnachrichtendienst (BND). Damit gab das Gericht der Verfassungsbeschwerde der Nichtregierungsorganisation „Reporter ohne Grenzen“ und verschiedener ausländischer Journalisten statt, ohne jedoch ein grundsätzliches Zeichen gegen digitale Überwachung zu setzen. Die Beschwerde richtet sich gegen das Ende 2016 reformierte BND-Gesetz, das nun bis spätestens Ende 2021 überarbeitet werden muss.
Der Europaabgeordnete Patrick Breyer (Piratenpartei) warnt vor den Folgen des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zur Massenüberwachung durch den deutschen Auslandsgeheimdienst:
„Solche Urteile schaden unserem Kampf gegen Massenüberwachung durch ausländische Geheimdienste wie die NSA, weil diese mit dem Finger auf uns selbst zurück zeigen. Dass der BND nicht im Inland lauschen soll, schützt uns nicht vor dem Überwachungswahn ausländischer Spionagedienste. Mit dem heutigen Urteil segnet das Bundesverfassungsgericht anlasslose Massenüberwachung und flächendeckende monatelange Vorratsdatenspeicherung ab, die der Europäische Gerichtshof in Luxemburg zuvor für europarechtswidrig erklärt hat – das enttäuscht.
Der BND darf nicht nur Gefahren aufspüren, sondern auch im Auftrag der Bundesregierung aus politischem Interesse Partner, Firmen und Institutionen ausspionieren und sogar als Handlanger ausländischer Dienste tätig werden. Nicht kontrollierbare Versprechen ausländischer Dienste, mit deutschen Daten nicht zu foltern, zu entführen und zu töten, werden unserer Verantwortung nicht gerecht. (…)“
Chaos Computer Club (CCC) am 19.5.2020:
(…) Zwar hat das Gericht durch die Anerkennung der Grundrechte auch für Ausländer einen Pflock für die Menschenrechte eingeschlagen, erlaubt aber eine Weiterführung der bisherigen Massenüberwachung. Verlangt wird jedoch eine stärkere Zielgerichtetheit mit gesetzlicher Neuregelung und einer neuen Kontrollinstanz. (…)
„Leider hat sich das Gericht nicht dazu durchringen können, die globale Überwachungspraxis des BND grundsätzlich zu beenden. Es versucht nur, sie in einen konkreteren rechtlichen Rahmen zu pressen“, fasste Frank Rieger [einer der Sprecher des Chaos Computer Clubs] zusammen. „Dass Grundrechte prinzipiell für alle Menschen weltweit gelten, ist eine wichtige Entscheidung. Leider wird sie im Urteil durch diverse mögliche Gründe für Grundrechtseinschränkungen deutlich relativiert.“ (…)