Aus der Antwort der Bundesregierung zu einer Kleinen Anfrage in Sachen (fast) allgegenwärtiger und ständiger Wohnraumüberwachung durch „Sprachassistenzsysteme“ wie Alexa, Echo etc. (Bundestags-Drucksache 19/11478 vom 10.7.2019, Seite 5):
Frage: Inwieweit ist die Bundesregierung der Ansicht, dass durch Zunahme der Möglichkeiten der Überwachung die Bürgerinnen und Bürger ein „diffus bedrohliches Gefühl des Beobachtetseins“ entwickeln könnten (vgl. BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 2. März 2010 – 1 BvR 256/08 – Rn. 1 – 345)?
Antwort: Die Bundesregierung ist nicht dieser Ansicht.
Um die unerhörte Dreistigkeit dieser „Ansicht“ im Detail vor Augen zu führen sei das Bundesverfassungsgericht aus seinem Urteil zur Vorratsdatenspeicherung vom 2.3.2010 im Absatz 212 zitiert. Dort heißt es auszugsweise:
„(…) Besonderes Gewicht bekommt die Speicherung der Telekommunikationsdaten weiterhin dadurch, dass sie selbst und die vorgesehene Verwendung der gespeicherten Daten von den Betroffenen unmittelbar nicht bemerkt werden, zugleich aber Verbindungen erfassen, die unter Vertraulichkeitserwartungen aufgenommen werden. Hierdurch ist die anlasslose Speicherung von Telekommunikationsverkehrsdaten geeignet, ein diffus bedrohliches Gefühl des Beobachtetseins hervorzurufen, das eine unbefangene Wahrnehmung der Grundrechte in vielen Bereichen beeinträchtigen kann.„
Wer annimmt, dass das Wissen um die Möglichkeit des staatlichen/polizeilichen Abgreifens von gespeicherten Alexa-/Echo-/u.a.-Daten nicht ebenso ein diffuses Gefühl des ständigen Abgehörtwerdens erweckt wie das einer staatlichen Vorratsdatenspeicherung, der versteht den Sachzustand nicht oder will ihn (aus welchen Gründen auch immer) absichtlich – also in vollem Bewusstsein anderer Erkenntnis – ignorieren.
Hintergrund:
Im Vorfeld der letzten Innenministerkonferenz (IMK) im Juni 2019 wurde bekannt, dass die Innenminister des Bundes und der Länder über den Wunsch von Polizeien und Geheimdiensten zum Zugriff auf die Audio-Mitschnitte der „Sprachassistenten“ diskutieren und regeln wollten. Das wurde nach Bekanntwerden dieser Pläne dann öffentlich heftig dementiert.
Nach Abflauen der öffentlichen Erregung und Beendigung der IMK vertrat die Bundesregierung dann in der o.g. Antwort zur Kleinen Anfrage dann der Einfachheit halber die Ansicht, dass gar kein zusätzlicher gesetzlicher Rahmen benötigt wird, um diese Sprachaufzeichnungen durch staatlichen Stellen abgreifen zu können. Im Behördendeutsch lautet das im Original dann so (Seite 2 der BT-DS 19/11478):
„Bei den beschriebenen vernetzten Geräten wie den intelligenten Sprachassistenten (z. B. Alexa) oder auch smarten Haushaltsgeräten handelt es sich nicht um eine Geräteklasse, die von der bisherigen Gesetzgebung nicht umfasst ist. Die in der Kleinen Anfrage bezeichneten Geräte stellen vielmehr lediglich eine Form des informationstechnischen Systems dar, für die zum jetzigen Zeitpunkt kein spezifischer strafprozessualer Regelungsbedarf ersichtlich ist. Da die bestehenden gesetzlichen Regelungen technikneutral und geräteunabhängig formuliert sind, erfassen sie diese Geräteklasse bereits.“
Da machen sich die Innenminister also einen schlanken Schuh und erledigen das rechtliche Problem (aus ihrer Sicht) einfach und schnell …