Offener Brief an Teile des Berliner Senats: Kritik am geplanten Ausbau des „Verfassungsschutzes“ [Update]

Ein offener Brief an die Mitglieder der Fraktionen „Die Linke“ und „Bündnis 90/Die Grünen“ im Ausschuss für Verfassungsschutz des Berliner Abgeordnetenhauses mit einer Kritik an dem geplanten Ausbau des Berliner Geheimdienstes („Verfassungsschutz“).

Lieber Sebastian Schlüsselburg,
lieber Niklas Schrader,
lieber Benedikt Lux,
liebe June Tomiak,

zum Schutze der Bürger- und Freiheitsrechte sprachen sich Ihre Parteien im Land Berlin stets gegen die zunehmende Überwachung der Menschen und für eine Bändigung der Geheimdienste aus. Selbst wenn zu diesem Standpunkt im Rahmen der Koalitionsgespräche mit der SPD Abstriche gemacht werden mussten, so heißt es im Berliner rot-rot-grünen Koalitionsvertrag immerhin auf den Seiten 201f.:

„Die Koalition wird den Verfassungsschutz reformieren und dessen Tätigkeit klar an den Grundrechten und am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ausrichten. Die Aufgaben werden auf den Kernbereich beschränkt. (…) Die Koalition wird Schlussfolgerungen aus dem NSU-Skandal ziehen und die Ergebnisse der Untersuchungsausschüsse im Deutschen Bundestag und einiger Bundesländer berücksichtigen. (…) Personelle und sachliche Ausstattung des Verfassungsschutzes sowie die Anforderungen an die Eignung der Bediensteten werden an die sich verändernde Aufgabenbeschreibung und Aufgabenbegrenzung angepasst. (…) Der Einsatz von V-Leuten des Verfassungsschutzes ist nur in begründeten Ausnahmefällen möglich und bedarf der Zustimmung des zuständigen Staatssekretärs. (…)“

Der Blick auf den Haushaltsentwurf 2020/2021 (dort Kapitel 0520) wirkt auf uns allerdings wie eine Kehrtwende zu diesen Zielen: Etat und Personal des Inlandsgeheimdienstes („Verfassungsschutz“) werden aufgestockt anstelle „beschränkt“. Eine radikale „Beschränkung“ und grundsätzliche Neustrukturierung, wenn nicht gar die gänzliche Auflösung des Berliner Geheimdiestes wäre dagegen das gewesen, was die Aufarbeitung des NSU-Skandals verlangt hätte. Und auch der Etat für die Spitzelarbeit, also für die Entlohnung der euphemistisch als „V-Leute“ bezeichneten Informationszubringer jenseits des Behördenapparats steigt drastisch anstelle deutlich eingeschränkt zu werden, wie im Koalitionsvertrag eigentlich versprochen.

Zur Verdeutlichung ein paar Haushaltszahlen zu diesen Behauptungen:

Personalkosten „Verfassungsschutz Berlin“ (in Mio. Euro): 9,9 (2016), 12,2 (2017), 13,3 (2018), 13,0 (2019), 14,5 (2020-Plan), 15,9 (2021-Plan)

(Grafik hierzu: https://wiki.freiheitsfoo.de/uploads/Main/Personalkosten-Berliner-Geheimdienst-2016-2021.png )

Budget für „Besondere Aufgaben“ (darin Enthalten die Entlohnung für Spitzel alias „V-Leute“, in Tsd. Euro): 609 (2016), 1.000 (2020)

Vor dem Hintergrund der Ergebnisse der NSU-Ausschüsse als auch vor dem Hintergrund der Erkenntnisse zum Mordfall Lübcke ist es einerseits absolut unverantwortlich, das V-Leute-Wesen weiter auszubauen und zu manifestieren. Insbesondere dann, wenn die parlamentarische Kontrolle hierfür weder personell noch konzeptionell in die Lage versetzt wird, tatsächlich alle Aktivitäten des „Verfassungsschutz“ sachgerecht untersuchen zu können.

Mit Blick auf die beschriebene Diskrepanz zwischen Ihrem eigenen Anspruch und sogar zwischen dem verbindlichen Koalitionsvertrag und der mittels Haushaltsplan 2020/2021 angekündigten Abkehr von der Haltung bitten wir Sie herzlich darum, ja – wir fordern Sie dazu auf, den eingeschlagenen fatalen Weg einer weiteren Stärkung des Berliner Geheimdienstes zu überdenken, zu dem bürger- und menschenrechtlichen Konsens zurückzufinden und – gerade in Wahlkampfzeiten – der öffentlichen Wahrnehmung Ihrer Parteien nicht zu schaden und auf eine deutliche Änderung der Haushaltsplanung im Kapitel 0520 hinzuwirken.

Wir freuen uns über jede Antwort und Stellungnahme von Ihnen.

Viele gute Grüße,

xxx
für die Menschen vom freiheitsfoo.

 

Quellen und weitere Informationen:

Frühere Forderungen der linken und grünen Berliner Abgeordneten zur Eindämmung/Abschaffung des Geheimdienstes:

Berliner Koalitionsvereinbarung aus dem Jahr 2016:

Kapitel 0520 im Entwurf zum Haushaltsplan von Berlin 2020/2021:

 

[Update 6.9.2019]

Sehr flott haben uns die Adressierten unseres Offenen Briefes geantwortet. Der brachial zusammengefasste Tenor der Antwort: Es handele sich bislang nur um einen Haushalts-Entwurf aus dem SPD-geführten Verwaltung des Senats und jener werde nun noch verhandelt.

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