Eine neue große polizeiliche Identitätskontrollzone für Hannover und weiter offene Fragen zur „Sicherheitskooperation“ am Hauptbahnhof [Update]

Die derzeit zwei Identitätskontrollzonen Hannovers. Zur Beachtung: Das Recht der Polizei und Verwaltungsbehörden, grundlos Menschen anzuhalten und deren Identität auszuforschen gilt nicht in/auf nicht-öffentlich zugänglichen Gebäuden/Plätzen.

Am Montag, den 24.6.2019 haben wir über eine in Hannover neuartige „Sicherheitskooperation“ verschiedener polizeilicher, kommunaler und privater Stellen berichtet. Und das, obwohl die Antwort der Polizeidirektion Hannover auf unsere Fragen zur Sache auch nach 12 Tagen (und nach mehrfachen Zwischen-Rückmeldungen aus deren Pressestelle) nicht eingetroffen war. Zuletzt wurden wir auf die „Mitte der Woche“ vertröstet, wir wollten das aber nicht mehr abwarten. Grund für die letzte, nochmalige Verschiebung der Antwortserteilung: Ein Anruf des Dezernats 12 bei der Pressestelle.

Später erst wurde uns klar, was ein möglicher Grund dieser Verschleppung von Antworten gewesen sein mag:

Die Polizei Hannover richtete eine neue, weitere Identitätskontrollzone für Hannover ein und gab dieses am Dienstag, den 25.9.2019 öffentlich bekannt.

Bemerkenswert ist daran u.a., dass sie dieses in der am gleichen Tag bei uns eintreffenden Antworten auf unsere Anfrage vom 12.6.2019 mit keinem einzigen Wort erwähnte.

Bemerkenswert ist auch, dass Polizeipräsident Kluwe auf der Pressekonferenz vom 7.6.2019 von uns ausdrücklich dazu befragt worden ist, ob neben der damals für den Hauptbahnhof angekündigten Identitätskontrollzone (Polizei-Neusprech: „Kontrollörtlichkeit nach § 13 NPOG“) weitere solche Kontrollzonen geplant seien … und sich dazu ebenfalls mit keinem einzigen Wort äußerte.

Es ist anzunehmen, dass die Einrichtung einer solchen Kontrollzone nicht innerhalb weniger Tage überlegt, definiert und in der Arbeit der Polizei eingerichtet und praktiziert wird. Insofern kann also von einem absichtlichen Verschweigen dieser Pläne zumindest uns gegenüber gesprochen werden.

Wie auch immer: Wir haben auch zu dieser neuen Zone Fragen gestellt und nachfolgend in summarischer Kürze die uns am wichtigsten erscheinenden Details aus den Antworten der Polizei zur „Sicherheitskooperation bahnhof.sicher“ und zur neuen Identitätskontrollzone:

 

  • Die Polizei erfasst „Vorkommnisse“ am Hauptbahnhof mit einem Formular und trägt diese Informationen zusammen. Zu jeder Meldung soll enthalten sein: „1. Art des Vorfalls, 2. Zeitraum des Vorfalls und 3. Ort des Vorfalls“. Die Polizei meint auf Nachfrage, die Daten enthielten keinerlei personenbezogenen oder personenbeziehbaren Daten, deswegen bedürfe es weder Rechtsgrundlage noch Datenschutzfolgeabschätzung für diese Datensammlung. Wir stellen das zumindest in Frage und haben das Nds. Landesamt für Datenschutz (LfD) um seine Einschätzung hierzu gebeten.
    [Update 11.7.2019: Das LfD teilt uns mit, dass Sie sich Unterlagen von der Polizeidirektion Hannover zum Vorgang hat zukommen lassen und hat demnach keine datenschutzrechtlichen Bedenken. Das LfD will sich in der Sache weiter von der Polizei auf dem laufenden halten lassen.]
  • Merkwürdig erscheint uns, dass auf der Pressekonferenz vom 7.6.2019 (zumindest bei uns) der Eindruck erweckt wurde, als würden personenbezogene Daten von der städtischen Ausländerbehörde abgegriffen und im Zuge der „Kooperation“ verarbeitet. Dann würden sich allerhand datenschutzrechtliche Fragen stellen. Darauf geht die Polizei Hannover aber in ihren Antworten nicht ein und verweist bei der Nachfrage zu dieser „Informationskette“ auf die vorgenannte Datensammlung zu „Vorkommnissen am Hauptbahnhof“.
  • Keine Aussage möchte die Polizei Hannover (als federführende und initiierende Kraft des ganzen Projekts!) zu der Frage machen, wie praktisch und faktisch verhindert werden soll, dass personenbezogene Daten (z.B. auf den Seiten der Polizeikräfte) nicht an die Kooperationspartner von Stadt und Privatunternehmen gelangen. Zur Erinnerung: Eine der gegenüber den Medien besonders betonten Neuerungen des Projekts ist die Einführung gemischter Streifen. Also z.B. eine Streife mit einem Polizisten und einem Arbeitnehmer eines privaten Sicherheitsunternehmens an seiner Seite. Dabei stellen sich unserer Ansicht nach genau die Fragen, die von der Polizei bislang unkommentiert geblieben sind.
  • Straftaten am Hauptbahnhof: Dazu wurden alle Straftaten zusammengezählt die im Hauptbahnhof und in einem größeren Bereich darum herum (Ernst-August-Platz, Raschplatz, Rundestraße, Lister Meile (dort nur der Bereich der Polizeiinspektion Hannover-Mitte) und Fernroder Straße ) begangen worden sind. So kam man für 2017 auf insgesamt 8046 Straftaten, von denen 1527 „Schwarzfahren“ waren. In 2018 waren es insgesamt 7447 Straftaten, davon 1.071 Schwarzfahr-Straftaten. (Anmerkung: Der Rückgang ist vermutlich auf eine neue Kontrolldichten-Politik der städtischen Verkehrsbetriebe zurückzuführen. Soviel zur Sachlichkeit der Aussagekraft von Zahlen polizeilicher Kriminalstatistiken …)
  • Die Polizei Hannover hat keine Ahnung, wie hoch vergleichbare Straftatzahlen in und an Hauptbahnhöfen anderer Städte sind. Das scheint dort (bislang?) niemanden interessiert zu haben. Aber übrigens auch die zum Teil reißerisch agierende Presse der Landeshauptstadt nicht.
  • Der Begriff des Diminutivs „Kontrollörtlichkeit“ anstelle des sachlich korrekteren Begriffs der „Identitätskontrollzone“ ist eine Erfindung der Polizei. Zumindest taucht dieser Begriff nicht im neuen Polizeigesetz NPOG „o.ä.“ auf.
  • Von 2014 bis heute wurden seitens der Polizei insgesamt 320 Aufenthaltsverbote (nach § 17 NPOG) ausgesprochen. Diese können für Zeiträume von 3, 6 oder 9 Monate ausgesprochen werden. Die sachliche Begründung für die Aussprechung eines solchen Verbots kann entweder die Tatsache sein, dass diese Menschen bereits Straftaten im/am Hauptbahnhof begangen haben oder wenn „Sachverhalte [vorliegen], aufgrund derer nach kriminalistischer Erfahrung Straftaten von den betroffenen Personen zu erwarten sind“. Letzteres erscheint uns reichlich schwammig und flexibel“ auslegbar zu sein. Dieser Zusammenhang  erinnert uns weiter an die Diskussion im Zuge des umstrittenen neuen Polizeigesetzes („NPOG“), wonach die Polizei schwerwiegende Eingriffe in die Grundrechte von Menschen vornehmen darf, wenn sie nur annimmt, dass diese eventuell Straftaten begehen könnten oder darüber nachdenken.
  • Die neue Identitätskontrollzone ist räumlich um einiges größer als die am Hauptbahnhof und umfasst eine städtische Fläche von ca. 150.000 m² bzw. 15 ha. Wobei das Recht der Polizei, anlaß- und grundlos die Menschen anzuhalten und zur Klärung ihrer Identität zu überprüfen (und ggf. mit auf die Wache zu nehmen!) selbstverständlich nur den öffentlich begehbaren Raum dieser Fläche betrifft. Also Straßen, Plätze, öffentliche zugängliche Räume etc.).
  • Die Frage, ob noch weitere Identitätskontrollzonen für Hannover folgen könne man „zum jetzigen Zeitpunkt“ nicht beantworten, so die Auskunft der Polizei.
  • Auf die Frage, in welcher Art Dokument, Verordnung oder „Einsatzkonzeption“ (so die Wortwahl der Chefin der Polizeiinspektion Mitte auf der PK am 7.6.2019) die neue Kontrollzone räumlich definiert und die Anweisungen für die Polizei festgehalten worden seien heißt es schmallippig: „Die neue Kontrollörtlichkeit wird in der „Benennung einer Örtlichkeit nach § 13 NPOG“ definiert und beschrieben.“ Wir haben leider keine Ahnung, was das sein soll.
  • Und die Gefahr des „Racial Profiling“ wird real, wenn es auf auf eine andere Frage von uns seitens der Polizei Hannover zur Antwort heißt: „Die Befugnis zur Identitätsfeststellung umfasst grundsätzlich alle Personen, die an dem gefährlichen Ort angetroffen werden. Entsprechend des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes sind jedoch Personen nicht zu kontrollieren, die nach polizeilichen Erkenntnissen nichts mit den den gefährlichen Ort kennzeichnenden Tätigkeiten zu tun haben. Was das „nach polizeilichen Erkenntnissen“ in der Praxis mit sich bringen wird, kann nur geahnt und befürchtet werden …
  • Schließlich noch das: Auf der Pressekonferenz betonte die Polizei ausdrücklich, dass die Zulässigkeit der Polizei zu anlaßlosen Identitätskontrollen (am Hauptbahnhof) entsprechend § 13 NPOG sowieso gegeben sei. Dass man daraus nun eine „Kontrollörtlichkeit“ mache, habe eher formellen Charakter. Die Chefin der für die Kontrollzonen zuständigen Polizeiinspektion Mitte sagte wortwörtlich (im Kontext des Audiomitschnitts ab ca. 1h02m30s):
    „Darf ich das ergänzen, weil ich habe das ja angeordnet. Ich habe das nicht angeordnet und zu einer Kontrollzone gemacht. Das hat mehr deklaratorischen Charakter. Das ist so ein solcher Bereich. Und das habe ich noch einmal klargestellt. Ich kann jetzt nicht sagen, ich ordne hiermit an, dass das eine bestimmte Zone ist. Sondern wir haben bestimmte Kriminalitätsschwerpunkte, da darf man das ohnehin tun. Auch wenn ich das nicht aufgeschrieben hätte, hätte man das vorher schon tun dürfen.
    Die vom Polizeipräsidenten vorgetragene Begründung aus dem § 13 NPOG lautet:
    „Die Verwaltungsbehörden und die Polizei können die Identität einer Person feststellen, wenn sie an einem Ort angetroffen wird, von dem Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass dort Personen Straftaten von erheblicher Bedeutung verabreden, vorbereiten oder verüben.“
    Wenn dieses für Hauptbahnhof und den Bereich Steintor/Marstall/Kreuzkirche (das beschreibt in etwas die neue, zweite Identitätskontrollzone) zutrifft, dann kann man auch davon ausgehen, dass das für den zentralen Kröpckeplatz oder andere Stellen in Hannover zutreffen muss. Oder zum Beispiel auch: Vahrenwalder Platz, Sahlkamp, Mühlenberg etc. Nun teilt die Polizei aber auf Nachfrage hin mit, dass zumindest der Kröpcke die Anforderungen des § 13 (1) Nr. 2 NPOG nicht erfüllt.
    Uns lässt das ratlos zurück: Das Vorgehen der Polizei erscheint uns intransparent und die Auswahl der Kontrollzonenbereiche eher beliebig. Untermauern können wir diese Unterstellung allerdings nicht, da die Polizei Hannover die Veröffentlichung lokal aufgegliederter PKS-Daten ausdrücklich ablehnt.
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