Am 8.2.2019 demonstrierten rund 100 Menschen vor der hannoverschen Redaktion der „BILD“ gegen deren populistische Verwurstung im Zuge der Flüchtlings- und Abschiebedebatte.
Die Versammlungsbehörde Hannover beaufschlagte den angemeldeten Protest mit einer Reihe von Auflagen. Unter anderem verbot die in Hannover als Teil der Polizei verortete Versammlungsbehörde unter bestimmten Bedingungen, die Straße für die Demo benutzen zu dürfen.
Das ist aus unserer Sicht sachlich und rechtlich nicht haltbar. Im Detail:
Hintergrund
Aus dem Aufruf zur Demo:
„Am 04. Januar 2019 ist unser Freund Abdoulaye Kone aus Hannover in die Elfenbeinküste abgeschoben worden. Zuvor hatte er monatelang gegen seine Abschiebung gekämpft – drei Mal konnte er seine Abschiebung verhindern. Für ihn war dieser Kampf existenziell – seine Flucht durch die Wüste und über das Meer, sein Leben in Hannover, seine Sicherheit – all das wurde ihm mit der Abschiebung genommen.
Um Abdoulayes Leben zu zerstören und ihn abzuschieben, waren sich die deutschen Behörden für nichts zu schade: Abdoulaye wurde nicht nur unschuldig im Abschiebeknast eingesperrt, sondern auch von Abschiebebeamt*innen bedroht und geschlagen. Weil die Piloten in Linienflügen keine Folter an Bord duldeten, wurde ein Flug für über 165.000 Euro gechartert.
Der Bild Hannover war dies ein willkommener Anlass, mal wieder gegen Schutzsuchende zu hetzen. In einem Artikel vom 16.01.2019 schreibt die Bild von „Luxus-Abschiebung per Privatjet“. Hier tritt ungeschminkt eine menschenverachtende Haltung zutage, die das existenzielle Leid Schutzsuchender für politische Brandstiftung missbraucht. Das Ganze, um den geifernden rassistischen Mob zu bedienen. Der Bild-Artikel wurde umgehend von extrem rechten Medien wie Junge Freiheit und PI-News sowie von der AfD für die Verbreitung ihrer rassistischen Ressentiments aufgegriffen.
Diese Schäbigkeit der Bild sehen wir gleichzeitig als Ausdruck und Mit-Ursache des gegenwärtigen Rechtsrucks.
Wir fordern keine kostengünstigeren Abschiebungen, wir fordern ein Bleiberecht für alle! Unseren Protest gegen den rechten Diskurs und das Abschiebungsregime tragen wir deshalb zur Bild-Redaktion:
8. Februar 2019, 16 Uhr
Volgersweg 2-3/Ecke HinüberstraßeArbeitskreis Kritische Soziale Arbeit Hannover“
Freie Wahl des Demonstrationsortes als Ausdruck der Versammlungsfreiheit
Aus dem Brokdorf-Beschluß vom 14. Mai 1985:
„Indem der Demonstrant seine Meinung in physischer Präsenz, in voller Öffentlichkeit und ohne Zwischenschaltung von Medien kundgibt, entfaltet auch er seine Persönlichkeit in unmittelbarer Weise. In ihrer idealtypischen Ausformung sind Demonstrationen die gemeinsame körperliche Sichtbarmachung von Überzeugungen, wobei die Teilnehmer einerseits in der Gemeinschaft mit anderen eine Vergewisserung dieser Überzeugungen erfahren und andererseits nach außen – schon durch die bloße Anwesenheit, die Art. des Auftretens und des Umganges miteinander oder die Wahl des Ortes – im eigentlichen Sinne des Wortes Stellung nehmen und ihren Standpunkt bezeugen. Die Gefahr, daß solche Meinungskundgaben demagogisch mißbraucht und in fragwürdiger Weise emotionalisiert werden können, kann im Bereich der Versammlungsfreiheit ebensowenig maßgebend für die grundsätzliche Einschätzung sein wie auf dem Gebiet der Meinungsfreiheit und Pressefreiheit.“ (Randnummer 64)
Die zunächst erst einmal grundsätzlich freie Wahl des Versammlungsortes ist ein essentieller Bestandteil der Versammlungsfreiheit und kann Teil des besonderen Ausdrucks von Protest sein.
Abwägung von Interessen
Die Polizei/Versammlungsbehörde hatte den Demonstrierenden als Ort der Versammlung den Bürgersteig gegenüber der „BILD-Redaktion“ vorgeschrieben und eine Demo auf der Straße oder direkt am Gebäude der „BILD“ verboten.
Grundsätzlich erst mal zurecht weist die Versammlungsbehörde auf unsere Nachfrage darauf hin, dass verschiedene Interessen abzuwägen seien:
„Zu den Schutzgütern der öffentlichen Sicherheit im Sinne von § 8 NVersG gehört auch die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs. Zwar sind zwangsläufig sich aus einer versammlungsrechtlichen Aktion ergebende Verkehrsbeeinträchtigungen grundsätzlich hinzunehmen . Die Versammlungsbehörde hat aber für einen möglichst schonenden Ausgleich der widerstreitenden Interessen zu sorgen. Insofern sind auch die Interessen der betroffenen Verkehrsteilnehmer zu berücksichtigen.“
Zur Frage, wie man denn auf die Zahl „60“ gekommen sei schreibt die Versammlungsbehörde/Polizei:
„Nach Rücksprache mit der örtlich zuständigen und einsatzführenden Polizeidienststelle wurde die dort zur Verfügung stehende Fläche des Gehweges für eine stationäre Kundgebung über drei Stunden für eine Teilnehmerzahl von bis zu 60 Personen im Rahmen des Amtsermittlungsgrundsatzes als ausreichend betrachtet.“
Inwiefern dieser Einschätzung Willkür vorgeworfen werden kann lässt sich nicht sagen, weil die Polizei nicht verrät, wie diese Zahl konkret zustande gekommen ist.
Aber davon unabhängig:
Die Demonstration fand an einem Freitag nachmittag statt. Die Gegend der Demonstration wird im wesentlichen durch zahlreiche Gerichte der Stadt dominiert. Alle diese Gerichte hatten zum Zeitpunkt des Protests längst geschlossen. Praktisch fuhr so gut wie gar kein Fahrzeug an diesem Nachmittag vor dem Redaktionsgebäude vorbei. Die vorgebrachte Sorge um die „Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs“ erscheint also ein wenig an den Haaren herbei gezogen bzw. unverhältnismäßig. Auch auf nochmaliges Nachfragen von uns wollte die Polizei/Versammlungsbehörde nicht von ihrem Standpunkt abrücken.
Auch die Begründung der Polizei, dass sich doch eine Bar/Kneipe in „direkter Nachbarschaft“ zum Redaktionsgebäude befände und ein „ungehindertes Betreten von Gästen und Mitarbeitern“ ansonsten nicht hätte gewährleistet werden können wenn man die Demo auf diesem Bürgersteig hätte stattfinden lassen, scheint zumindest fragwürdig zu sein: Während der Versammlung haben wir dort keinen oder so gut wir gar keinen Besucherverkehr feststellen können.
Fazit
Es mag sich bei dem allen nur um eine scheinbar nebensächliche Streitfrage zu handeln. Und doch halten wir diese für relevant, weil gleichartige Begründungsmuster auch in anderen Fällen zur Beschränkung der Demonstrationsfreiheit herangezogen werden, sind sie erst einmal z.B. mittels dieses Beispiels seitens der Polizei=Versammlungsbehörde etabliert worden.
Aus unserer Sicht ist die in diesem Beitrag behandelte polizeiliche Demobeschränkung versammlungsrechtlich nicht haltbar. Dem tut keinen Abbruch, dass die Polizei vor Ort aufgrund einer Teilnehmerzahl von deutlich mehr als 60 Personen die Straße zum Protestieren schließlich freigab und sich die eigentliche Streitfrage praktisch gar nicht mehr stellte. Eine einschüchternde und beschränkende Wirkung vermag der Auflagenbescheid dennoch zu entfalten.