In unserer Kategorie „Zeitzeichen“ rezitieren wir in unregelmäßigen Abständen und in ebenso unregelmäßigem Umfang Nachrichtenschnipsel oder Zitate, die wir als möglicherweise stellvertretende Beispiele für größere Entwicklungen und gesellschaftliche Symptome empfinden: als Zeitzeichen.
Wir behalten uns vor, dieses oder jenes kurz zu kommentieren oder zu bewerten, oder auch nicht. :)
Aus einem Dokument des Niedersächsischen Landtags vom 1.3.2018: „Frage des Abgeordneten: Werden die Arbeitgeber der Betroffenen über entsprechende [Aufenthaltsverbote von Fußballfans] unterrichtet, bzw. erlangen diese durch eine Kontaktaufnahme der Betroffenen am Arbeitsplatz [durch die Polizei] Kenntnis über entsprechende Maßnahmen? Antwort des Nds. Innenministeriums: Nein.“ Soll das ein (schlechter) Witz sein?
Der frische „Heimatminister“ Seehofer startet sein Amt mit einem populistischen Vorstoß „Der Islam gehört nicht zu Deutschland.“ In einer Erläuterung dazu (DLF-Nachricht vom 16.3.2018) wird klar, dass er klar zwischen „denen und uns“ unterscheidet, also Muslime in gewisser Weise nicht als Teil der Bevölkerung anerkennt: „Seehofer kündigte an, erneut Islamkonferenzen einzuberufen. Man müsse sich mit den muslimischen Verbänden an einen Tisch setzen, den Dialog suchen und wo nötig noch ausbauen. Muslime müssten „mit uns leben, nicht neben oder gegen uns“. Um dies zu erreichen, seien gegenseitiges Verständnis und Rücksichtnahme erforderlich.“
Erste Zeichen einer düsteren Zukunft: Ein autonom fahrendes Auto des Uber-Konzerns fährt eine Fußgängerin tot. Wer hat Schuld? Die Fußgängerin: „Inzwischen hat die Polizei allerdings Zweifel an der Schuld des Fahrdienstes geäußert. Nach einer ersten Sichtung von Videoaufnahmen des Unfalls hieß es, die Fußgängerin sei aus dem Schatten heraus auf die Fahrbahn getreten, ein Zusammenstoß kaum zu vermeiden gewesen.“ (Aus den DLF-Kurznachrichten 20.3.2018 8:00 Uhr.)
Der Schriftsteller Martin Mosebach im DLF-Interview am 29.3.2018 mit einer bemerkenswert bis verstörend wirkenden Interpretation des christlich-koptischen Verständnisses eines religiösen Lebens: „Martin Mosebach: Für diese Menschen stellte sich der Tod ihrer nächsten Angehörigen – ihrer Söhne, Väter, Ehemänner – als ein Triumph des Glaubens dar, der diese Menschen zu buchstäblich gekrönten Heiligen verwandelt. Der Blick war ganz ins Jenseits gerichtet. Man stand in diesen Familien, in diesen sehr einfachen und armen Bauernfamilien mit dem Rücken zu den Tätern. Die wurden gar nicht weiter beachtet. Das waren Satansgesandte, wie es sie in der Weltgeschichte immer wieder gibt, und das war auch zeitlich gesehen, kann man sagen, für diese Menschen gar kein Unterschied, ob ihre Angehörigen von den Schergen des Kaisers Diokletian oder vom IS getötet worden sind. Das war eine grundsätzliche, überzeitliche Auseinandersetzung zwischen den Gläubigen und den Ungläubigen. Christiane Florin (DLF-Redakteurin): Aber meinen Sie denn nicht, dass die Menschen gerne ihren Ehemann, Sohn, Bruder wiedergehabt hätten? Ist Trauer ein Zeichen von Schwäche? Mosebach: Was ich meine – darum geht es überhaupt nicht. Mir ging es ausschließlich darum, diese Menschen kennenzulernen, ihre Haltung dazu kennenzulernen. Da war die überwiegende Stimmung – zum Teil sogar wirklich ganz krass – Mütter, die sagten: „Ich habe nicht darum gebetet, dass mein Sohn wiederkommt, sondern ich habe darum gebetet, dass er stark bleibt. Und als er stark geblieben ist und getötet wurde, da war ich dankbar und froh.“ Florin: Aber so bekommen Gewalt und Krieg einen Sinn! Mosebach: Ja, das ist im Christentum so. Florin: Ist das so? Mosebach: Ja, es ist die Religion des Gekreuzigten, nicht? Also, im Mittelpunkt des Christentums steht eine entsetzliche Gewalttat, die dann allerdings überwunden wird. Florin: Eben. Sie wird überwunden! Mosebach: Ja, aber zunächst einmal wird sie ganz und gar durchlitten. Florin: Aber sehen Sie im Christentum die Aufforderung, dass jeder bereit sein soll, sich so zu opfern? Mosebach: Die Kirche hat immer versucht, hier mäßigend zu wirken. Sie hat – zum Beispiel übrigens auch in Ägypten – immer gesagt: „Es ist keine Pflicht, Martyrer zu werden.“ Aber im Zentrum der christlichen Lehre steht die Nachfolge Jesu, das Kreuz auf sich zu nehmen, und dieses ist auch keine Phrase. Also, aus dem Mund Jesu dürfen wir das auch nicht bloß als ein Symbol betrachten.“
Aus der DLF-Presseschau vom 3.4.2018 wird die Magdeburger Zeitung „Volksstimme“ im Zuge der Diskussion um mit Daten von der Deutschen Post unterstützter gezielter Wahlwerbesendungen zitiert. Der Verfasser des Beitrags offenbart eine erschreckende Unkenntnis über die nur scheinbare Freiwilligkeit, an asozialen Netzwerken oder sonstigen Netzangeboten oder Apps teilzunehmen und die Folgen der Mitwirkung zu verstehen geschweige denn zu überblicken: „Die VOLKSSTIMME aus Magdeburg kommentiert die Weitergabe von Daten der Post an CDU und FDP im zurückliegenden Bundestagswahlkampf: ‚Im Internet entscheidet jeder selbst, welche Daten er angibt. Als Nutzer muss man damit rechnen, dass Privates für Werbezwecke abgeschöpft wird. Wer sich Facebook entziehen will, kann das tun. Bei der Post ist das anders: Sie erfasst automatisch Angaben zu Kaufkraft, Alter, Bildung, Wohnsituation oder Familienstruktur. Nur wer schriftlich widerspricht, wird ausgeklammert. Dieser Systemfehler muss behoben werden. Eine Weitergabe privater Daten sollte ohne ausdrückliche Zustimmung stets verboten sein.'“
Die Hamburger Polizei in einem NDR-Beitrag vom 5.4.2018 über sich selbst und ihre angebliche Liebe mit der Demonstrationsfreiheit – realitätsfremder geht’s nicht: „Die Hamburger Polizeiführung hat ihre Haltung zu Demonstrationen während des G20-Gipfels im vergangenen Sommer als kooperativ bezeichnet. ‚Man muss immer versammlungsfreundlich sein‘, sagte Innensenator Andy Grote (SPD) am Donnerstag vor dem Sonderausschuss der Hamburgischen Bürgerschaft.“ Hach!
Extremisten, Dummköpfe und/oder Populisten an den Brüsseler Schalthebeln – der EU-Innenkommissar Avramopoulos am 18.4.2018 zur Begründung, warum seinem Willen zufolge alle in der EU lebenden Menschen zwangsweise Fingerabdrücke abgeben müssen, wenn sie einen Pass beantragen: „Wir müssen die Schrauben anziehen, bis es keinen Raum mehr gibt für Terroristen oder Kriminelle und keine Mittel mehr für sie, Anschläge durchzuführen. Das bedeutet, dass ihnen der Zugang zu Geld, gefälschten Dokumenten, Waffen und explosiven Stoffen versperrt werden muss und sie zugleich daran gehindert werden müssen, unsere Grenzen unentdeckt zu überqueren.“
Der 1939 geborene CSU-Politiker Norbert Geis im DLF-Interview vom 25.4.2018 zur Verordnung des neuen Ministerpräsidenten Bayerns, in allen Landesbehörden zwangsweise ein Kruzifix als Kultussymbol aufzuhängen – als ein Paradebeispiel für den verkrusteten Politikertypus, der die irrsinnige Widersprüchlichkeit zwischen den eigenen Ansprüchen und dem eigenen Wirken nicht mehr begreift: „Die Botschaft [der Verordnung] ist, dass dieser freiheitliche Staat nur existieren kann, wenn seine Voraussetzungen stimmen und das ist die Kultur eines Landes, das, wie sich die Menschen (…) gegenüber der Obrigkeit auch verhalten, das ist die Kultur. (…) Das Kreuz (…) charakterisiert unsere Kultur: Du sollst deinen nächsten lieben wie dich selbst. Das ist die Grundlage unserer Kultur und das will das Kreuz zum Ausdruck bringen.“ Ach, wirklich?
Aus einem Beitrag des Deutschlandfunk vom 10.5.2018 über den Katholikentag, wo sich der für eine öffentliche Diskussion vorgesehene Herr Seehofer verleugnen ließ und stattdessen den vergleichbar populistisch auftretenden neuen Gesundheitsminister Spahn schickte. In dem Wortbeitrag des DLF heißt es: „Herr Spahn war aber völlig weichgespült heute in der Diskussion. Und man musste schon sehr danach suchen, um sozusagen die Anhaltspunkte zu finden, wo er seine konservative Linie durchgesetzt hat. Angesprochen auf die Frage, was für ihn denn eigenglich Heimat bedeutet, da hat Jens Spahn dieses hier gesagt: „Einmal ist für mich erstmal das, wo ich mich nicht erklären muss. Wo ich mich geborgen fühle. Familie gehört dazu. Und niemand macht es sich leicht – den Teil darf man nie vergessen in der Debatte zu Flüchtlingen und zu Migration nicht – ich glaube es macht sich niemand leicht, Heimat aufzugeben und wegzugehen.“ Sagt also Jens Spahn. Und sie haben genau zugehört: Er hat eben auch die Familie genannt, die für ihn zur Heimat dazugehört. Er hat nicht gesagt, dass unter anderem er es war, der monatelang gegen den Nachzug von Familienangehörigen opponiert hat. Wie das zusammenpassen soll, das blieb heute offen.“ Scheinchristliche Verlogenheit.