In unserer Kategorie „Zeitzeichen“ rezitieren wir in unregelmäßigen Abständen und in ebenso unregelmäßigem Umfang Nachrichtenschnipsel oder Zitate, die wir als möglicherweise stellvertretende Beispiele für größere Entwicklungen und gesellschaftliche Symptome empfinden: als Zeitzeichen. Dies ist der zweite Beitrag dazu.
Wir behalten uns vor, dieses oder jenes kurz zu kommentieren oder zu bewerten, oder auch nicht. :)
Human Rights Watch: Türkische Soldaten schießen angeblich auf Flüchtlingskinder.
Der derzeitige Bundesinnenminister über Grundrechte und den Abgang der Unschuldsvermutung: „In Europa ist viel geschehen, bessere Überprüfung der Menschen, die zu uns kommen, die Richtlinie über Fluggast-Datenaustausch. All das dient der Sicherheit und schränkt die Grundrechte nicht ein. (…) [Bei dem Terrorpaket] geht es darum, dass wir verdächtige, nicht unschuldige Bürger, verdächtige Menschen, die in Gefahr stehen, terroristische Anschläge zu begehen, dass wir deren Daten gemeinsam mit anderen austauschen. (…) Wir haben es zu tun mit einer international vernetzten terroristischen Gruppierung und deswegen müssen wir wissen, wo Verdächtige, nicht unschuldige Bürger, sind, wie sie Kontakt miteinander haben, wie sie telefonieren, welche Netzwerke sie haben. Darum geht es. Das ist ein Sicherheitsgewinn ohne einen Freiheitsverlust der Bürgerinnen und Bürger.“
Deutsche Rüstungsindustrie weltweit drittgrößter Waffen- und Überwachungsexporteur: „Wie der Branchendienst Jane’s in seinem jährlichen Bericht schreibt, verkauften deutsche Unternehmen 2015 Rüstungsgüter im Wert von rund 4,2 Milliarden Euro ins Ausland. Nur die USA und Russland exportierten Waffen in noch größerem Umfang. Etwas weniger als ein Drittel der deutschen Ausfuhren gingen dem Bericht zufolge in den Nahen Osten und nach Nordafrika, vor allem nach Saudi-Arabien, Algerien, Ägypten und Katar.“
Dem deutschen EU-Kommissar Oettinger fällt – als es nach dem Brexit-Referendum in der öffentlichen Diskussion um die Frage einer Reform der EU geht – als erstes mehr Militär zur gewaltsamen Abschottung Europas gegen Flüchtlinge ein. Auszug aus einem Interview mit dem Deutschlandfunk (DLF) vom 27.6.2016: „DLF: Wir haben eine Diskussion in Deutschland und in Europa. Die SPD zum Beispiel möchte jetzt eine Neuordnung der EU, oder möchte wenigstens, dass darüber nachgedacht wird. (…) Oettinger: Deswegen müssen wir aus dem Vertrag mehr machen. Ich sage ein Beispiel: Es wäre den Mitgliedsstaaten möglich, uns morgen 5.000 Stellen zu bewilligen für eine wirksame Schutzmaßnahme der Außengrenzen. Frontex könnte mit 5.000 Leuten die Grenzen schützen. Da bräuchten wir Geld oder Abordnung von Mitarbeitern. Das wäre den Mitgliedsstaaten möglich.“
- „Bundespräsident Gauck hat sich dagegen ausgesprochen, auf Bundesebene den Bürgern politische Fragen zur Abstimmung in Referenden vorzulegen. Gauck sagte der „Bild“-Zeitung, er sei früher ein Anhänger von Volksentscheiden gewesen. Inzwischen habe er einige Erfahrungen damit gesammelt und sehe es differenzierter. Es gebe eine ganze Reihe von Themen wie etwa Sicherheit, Steuern und Währungspolitik, bei denen einfache Antworten wie Ja oder Nein nicht ausreichten. Oft müssten schwierige Kompromisse gefunden werden, die mit Volksentscheiden nicht möglich seien, meinte Gauck. Die repräsentative Demokratie sei auf komplizierte Probleme die beste Antwort.“
- „In der noch jungen Bundesrepublik Deutschland setzte sich der Philosoph Karl Jaspers angesichts der Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus für eine konsequente „Abkehr vom obrigkeitsstaatlichen Denken“ ein. Nach ihm drohe der Demokratie stets die Gefahr, dass sie sich über den autoritären Staat hin zu einer Diktatur entwickeln könne. Unter anderem unter dem Eindruck der Spiegel-Affäre, der Großen Koalition und der Diskussion um die Notstandsgesetze diagnostizierte er 1966 in seinem Buch „Wohin treibt die Bundesrepublik?“: „Aus dem Jahrhunderte währenden Obrigkeitsstaat sind, ohne helles Bewußtsein, Gesinnungen geblieben, die heute noch mächtig sind.“ Als Beispiele führte er neben anderen beobachteten Merkmalen das „Bedürfnis nach Verehrung des Staates in Gestalt repräsentativer Politiker als Ersatz für Kaiser und König“ sowie „das Vertrauen, die Regierung werde es schon recht machen“, an.(…) Und er ergänzte: „Ein Volk wird reif zur Demokratie, indem es selber politisch aktiv ist. Daher ist Voraussetzung einer Demokratie, daß dem Volk ein Maximum von Mitwirkung zur Aufgabe wird oder daß es sich diese nimmt, und das Vertrauen zum Volk, nicht zu dem, was es ist, sondern zu dem, was es werden kann.““
Ein Psychologe, der in einem Interview mit dem DLF den Attentäter der Axtangriffe in einem Regionalzug in Bayern als „Ungeheuer“ bezeichnet und damit von eigentlichen Fragen ablenkt: „Wir müssen in der Lage sein, nicht nur nach jedem Anschlag mit der Antwort zu kommen, das hat mit dem Islam nichts zu tun, sondern wir müssen uns mutig und ehrlich die Frage stellen, wie konnte so ein Ungeheuer unter uns entstehen.“ Und eine Deutschlandfunk-Redaktion, die das Wort „Ungeheuer“ gegen „Monster“ austauscht und dieses dann in die Überschrift packt. Zur Erinnerung und im Vergleich dazu Hannah Arendt: „Arendt bezeichnet Eichmann als normalen Menschen. Abgesehen davon, dass er eine Karriere im SS-Apparat machen wollte, hatte er kein Motiv, vor allem war er nicht übermäßig antisemitisch. Er war psychisch normal, kein Dämon oder Ungeheuer. (…) Eichmanns Unfähigkeit, selbst zu denken, zeigte sich vor allem an der Verwendung klischeehafter Phrasen, einem Verstecken hinter der Amtssprache.“
Die Politologin Ulrike Guérot: Die Brüsseler Trilogie aus Rat, Kommission und Parlament löst nicht die Probleme, die Nationalstaaten pervertieren die europäische Idee und überhaupt ist Europa kaputt: „Wir haben heute noch ein europäisches Parlament, das eigentlich kein Initiativrecht macht, die Gesetzgebungsakte werden von der Europäischen Kommission vorgeschlagen. Das ist intuitiv nicht das, was wir unter Demokratie verstehen, weil intuitiv ist ja der Gesetzgeber, also das Parlament, da, ein Gesetz zu machen. Das verweist wieder auf das, was ich versucht habe zu beschreiben, nämlich dieses eklatante demokratische Defizit in den Strukturen der Europäischen Union, die den meisten Bürgern – und hier muss man fast sagen – zu Recht nicht klar sind, weil sie einfach intuitiv so weit entfernt sind von dem, was man klassischerweise als Demokratie versteht. Selbst wenn die Leute – und sie haben ein gutes Recht dazu – nicht viel Ahnung haben, dann sollten sie doch ein gewisses Grundvertrauen haben, und das Grundvertrauen ist, das Parlament macht die Gesetze, und wenn es mir nicht passt, kann ich wen abwählen. Genau diese zwei Sachen funktionieren in der EU nicht. (…) Bei Jean Bodin lesen Sie, Souveränität ist ein individuelles Konzept, das heißt, der Bürger ist souverän, und nicht ein Volk, und schon gar nicht ein Staat. Das heißt, im Grunde ist mein Buch ja das Angebot, das erst mal zu verstehen und zu sagen, wenn wir Bürger souverän sind, dann können wir auch die politische Einheit schaffen, die wir schaffen wollen und von der wir meinen, dass wir sie schaffen sollten, denn wir wollen ja eine europäische Demokratie, damit der Euro eingebettet ist in ein demokratisches Europa. (…) Die Forderung heute müsste lauten: Politische bürgerliche Gleichheit jenseits von Nationen.“
Inlandsgeheimdienst-Chef Maaßen und Innenminister De Maiziere verklittern die Geschichte und bezeichnen den Whistleblower Edward Snowden als „einen Idealist auf Reisen, der gerne in Russland lebt.“ Hans-Georg Maaßen: „Ich habe an einer anderen Stelle im Zusammenhang einer Befragung habe ich gesagt, dass es durchaus plausibel ist, dass er [Herr Snowden] nach seiner Reise nach Moskau als – ich sagte in diesem Zusammenhang – nützlicher Idealist von einem russischen Geheimdienst geführt wird.“ Thomas de Maiziere: „Ich kann es nicht beurteilen und will das auch nicht bewerten, was Herr Maaßen da gesagt hat. Es ist nur auffällig, dass Herr Snowden solange gerne und ungestört und mit all seinen Aktivitäten in Russland lebt. Das ist schon etwas, was ich bemerkenswert finde.“