Bereits vor sechseinhalb Jahren, als sich „Deutschland“ um die Austragung der Fußball-Europameisterschaft 2024 bewarb ploppte das Thema in einigen Medien und auch hier im Blog auf:
Alle sich für die Austragung der Spiele bewerbenden Großstädte Deutschlands mussten einen umfangreichen Forderungs- und Anforderungskatalog der UEFA unterzeichnen, der u.a. eine demonstrationsbefreite Zone im Umkreis von 500 m rund um die Fußballstadien beinhaltete. Dieser mit dem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit unvereinbare Anspruch wurde von allen Bewerberstädten geschluckt – mit Ausnahme der Stadt Bremen, die sich dagegen wehrte … und auch keinen Zuschlag auf ihre Bewerbung erhielt.
Folgende Städte sind nach der nunmehr erfolgreichen Bewerbung und in Kürze bevorstehenden Fußball-Europameisterschaft zum Zuge gekommen und müssen die von DFB und UEFA gestellten Forderungskatalog erfüllen:
Berlin, Dortmund, Düsseldorf, Frankfurt, Gelsenkirchen, Hamburg, Köln, Leipzig, München und Stuttgart.
Konkret verlangen die Profi-Fußball-Verbände folgendes (Auszug aus den „Tournament Requirements“):
„The relevant Authorities in the Host Country and in the Host Cities (including, city Authorities, police, legal prosecutors or courts, customs and the IP and trade mark office) must be enabled and empowered to protect UEFA’s intellectual property rights, (…) In particular, the relevant Authorities in the Host Country and in the Host Cities must take all necessary actions (whether before, during or after UEFA EURO 2024) to prevent Ambush Marketing and Counterfeit activities including by preventing (…) political and/or religious demonstrations; (…)“
Eine deutsche Übersetzung dazu liege nicht vor und wäre auch unnötig, so der DFB auf Anfrage zu uns. Die folgende Übersetzung des wesentlichen Inhalts ist daher von uns und insofern ohne Gewähr auf Korrektheit:
„Die zuständigen Behörden im Gastgeberland und in den Austragungsstädten (inkl. städtischer Behörden, Polizei, Staatsanwaltschaften, Gerichte) müssen in die Lage versetzt und ermächtigt werden, die geistigen Eigentumsrechte der UEFA zu schützen, (…) Insbesondere müssen diese zuständigen Behörden vor, während oder nach der Fußball-EM alle erforderlichen Maßnahmen ergreifen, um Ambush-Marketing, einschließlich der Verhinderung von (…) politischen und/oder religiösen Demonstrationen; (…)“
Wir haben die Innenministerien aller zu den Austragungsstädten zugehörigen Bundesländer mit der Bitte um Stellungnahme angeschrieben und – soweit man uns überhaupt Antwort erteilt hat oder erteilen wollte – nahezu unisono mitgeteilt bekommen, dass das Versammlungsrecht Deutschlands grundsätzlich Vorrang vor den Vereinbarungen mit DFB/UEFA erhalten werde. Allerdings behalten sich einige der Ministerien auch vor, eben auf Grundlage der Versammlungsrechtspraxis und mit Blick auf die „aktuelle Sicherheitslage“ Versammlungsbeschränkungen zu verfügen.
Ob das als Hintertür für die zuwider den Lippenbekenntnissen dennoch erfolgende Umsetzung der umstrittenen Fußballkonzern-Vorgaben fungieren wird bleibt abzuwarten.
So oder so sieht die Stellungnahme des DFB allerdings etwas differenzierter aus:
„Die Requirements geben im Bewerbungsverfahren den grundsätzlichen Rahmen einer Bewerbung vor. Die operative Ausgestaltung erfolgt in Absprache mit den Städten und jeweiligen Behörden auf der Basis des geltenden Rechts.“
Und auf weitere Nachfrage heißt es dann:
„Wie von Ihnen bereits zitiert, ist eine Einschränkung von politischen und/oder religiösen Demonstrationen stets im Kontext der Verhinderung von Ambush Marketing und Fälschungen zu betrachten und nicht davon gelöst. Von einer Ungültigkeit oder Nichtigkeit der Regelung kann daher nicht die Rede sein. (…) Beachten Sie bitte zuden, dass größere Demonstrationen im Stadionumfeld auch vor dem Hintergrund sicherheitstechnischer Erwägungen betrachtet und von den Sicherheitsbehörden entsprechend behandelt werden, ohne etwaige Vorgaben zum Rechteschutz in Betracht zu ziehen.“
Inwiefern „politische und religiöse Demonstrationen“ einen Kontext mit „Ambush Marketing“ besitzen können, dass bleibt allein der offensichtlich unbegrenzten Fantasie der Sportindustriefunktionäre vorenthalten.
Die Verhinderung politischer und religiöser Demonstrationen durch Polizei, Behörden und Gerichten sei jedenfalls „der grundsätzliche Rahmen“ und keinesfalls „ungültig oder nichtig“, so teilt der DFB beharrlich mit. Und auch hier wird der Joker der „sicherheitstechnischen Erwägungen“ gezogen, mittels dessen laut Fußballverband durchaus Demonstrationen beschränkt oder gar verboten werden könnten.
Sich dazu zu äußern steht dem DFB nicht zu, geht es darin doch um Abwägungen, die die jeweils zuständige Versammlungsbehörde (und nicht die „Sicherheitsbehörden“!) zu treffen haben. Aber der Verweis darauf lässt befürchten, dass nicht auszuschließen ist, dass die Behörden ganz im Sinne des DFB und der UEFA rund um die Stadien in welchem Umfang auch immer in die Versammlungsfreiheit eingreifen werden.