Terrorangst Weihnachten 2023: „Gefährder“ ohne vorherige Aufklärung etwaiger konkreter Gefahren in den Irak abgeschoben

Alter Posterhinweis. Heute so aktuell wie damals.

Am 3.12. bzw. 4.12.2023 berichteten wir über den Fall eines Irakers, in Sachsen-Anhalt wohnend und in Niedersachsen arbeitend, dem vorgeworfen wurde online seine Bereitschaft zu einem Messerattentat erklärt zu haben.

In unserem Beitrag kritisierten wir dabei insbesondere einige Medienportale, die mit Bezug auf nur Ihnen vorliegenden Informationen über ein Attentat dieses Menschen auf den Weihnachtsmarkt in Hannover spekulierten und diese Spekulation „BILD-like“ als offene Fragen in die Headlines stellten.

Am 15.12.2023 wurde der Iraker dann in den Irak abgeschoben. Rechtsgrundlage hierfür soll die Abschiebeanordnung nach § 58a des Aufenthaltsgesetzes gewesen sein. Wir haben daraufhin eine Presseanfrage an das Niedersächsische Innenministerium gestellt – immerhin hatte die niedersächsische Polizei den Iraker inhaftiert. Dennoch wies das Ministerium in Hannover die Anfrage pauschal zurück und verwies uns stattdessen an drei andere Stellen (Innenministerium Sachsen-Anhalt, LKA Niedersachsen und Generalbundesanwalt). Die schrieben wir dann alle an, richteten aber auch die nur vom Nds. Innenministerium beantwortbaren Fragen nochmals an dieses.

Die Antworten dieser vier Stellen – sofern man sie im Einzelnen als „Antwort“ bezeichnen möchte – hier nun stichpunktartig zusammengefasst:

LKA Niedersachsen:

  • Das LKA kann nicht bestätigen, dass der Iraker ein Attentat auf den Weihnachtsmarkt in Hannover geplant oder erwogen hat.

Innenministerium Sachsen-Anhalt:

  • Der Iraker wurde per Flugzeug abgeschoben.
  • Der Iraker wurde anwaltlich vertreten.
  • Die Abschiebung erfolgte in gemeinsamer Arbeit und Planung der Behörden aus Sachsen-Anhalt und Niedersachsen und zusammen mit dem Generalbundesanwalt, formell zuständig war aber das MI Sachsen-Anhalt.
  • Als Abschiebegrund (bzgl. § 58a AufenthG) wird die „Abwehr einer terroristischen Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland“ genannt. Dafür sei die Abschiebung „geeignet und erforderlich“ gewesen.
  • Zur Frage, ob die Abschiebung die richtige Entscheidung war, wenn man dabei inkauf nimmt, dass weitere Aufklärung durch Befragung des Terrorverdächtigen damit verunmöglicht wird bezieht das MI Sachsen-Anhalt keine Stellung.

Generalbundesanwalt:

  • Der Generalbundesanwalt hat beim Bundesgerichtshof ein Ermittlungsverfahren eingeleitet.
  • „Weitere Auskünfte kann ich Ihnen hierzu nicht erteilen.“

Innenministerium Niedersachsen (auf erneutes Nachfragen hin):

  • Zur Frage, ob die Abschiebung die richtige Entscheidung war, wenn man dabei inkauf nimmt, dass weitere Aufklärung durch Befragung des Terrorverdächtigen damit verunmöglicht wird möchte das MI Niedersachsen auch auf erneutes Nachhaken hin einfach keine Stellung beziehen.
  • Und der Frage, ob die Innenministerin Behrens weiterhin zu ihrer Aussage vom 30.11.2023 stehe, wonach es keine konkreten Anschlagspläne auf irgendeinen Weihnachtsmarkt gegeben habe, dieser Frage weicht das MI Niedersachsen aus bzw. ignoriert diese, indem es mit einem Textbaustein antwortet, der auf diese Frage einfach gar nicht eingeht.

Fazit

Die Behörden mauern weitgehend, was weiterführende Informationen betrifft.

Die angeblichen Pläne oder Überlegungen des Irakers zu einem Messerattentat wurden als „Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland“ interpretiert, womit die Abschiebung nach § 58a AufenthG ermöglicht wurde.

Einen konkreten Anlaß, ein Attentat auf den Weihnachtsmarkt in Hannover gehabt zu haben, scheint es nach Aussagen von Behörden und Innenministerin (nach derzeitigem Stand) anders als von NDR und WDR formuliert nicht gegeben zu haben.

Um diese Diskrepanz zu erklären bieten sich folgende Gedankenspiele an:

a) Die Behörden wissen mehr als sie zugeben. In dem Fall hätte die Innenministerin die Unwahrheit gesagt.

b) WDR und NDR wissen mehr als die Behörden. In dem Fall stellt sich die Frage, warum sie dieses Wissen nicht mit den Behörden geteilt haben.

c) Die Informationen und/oder Behauptungen von WDR und NDR sind falsch. Dann wurde nicht ausreichend sorgfältig recherchiert und geprüft angesichts der mit den Nachrichtenbeiträgen erzeugten Verunsicherung der Öffentlichkeit.

Welche dieser drei Szenarien der Wahrheit am nächsten kommt (oder welche andere Wahrheit es gibt) können wir nicht beurteilen.

Unklar bleibt für uns jedoch nach wie vor, warum der Iraker nicht vor Gericht gestellt und entsprechend verurteilt worden ist und stattdessen die Abschiebung bevorzugt worden ist. Im Interesse einer weiterführenden Aufklärung kann es unseres Ermessens nach jedenfalls nicht richtig sein, den Beschuldigten (und nicht Verurteilten!) weiter befragen und den Sachverhalt möglicherweise besser aufarbeiten zu können. So aber wirkt die Abschiebung wie eine Bestrafung ohne Verurteilung. Und der Befriedigung einer in Teilen durch Populismus aufgeladenen öffentlichen Stimmung und Erwartungshaltung, „harte Kante“ zu zeigen.

Wir werden weiter über den Fall berichten, sofern uns weitere Informationen dazu zukommen.

Was bleibt ist die pauschale unterschwellig bleibende Erhöhung des allgemeinen Gefühls der Terrorgefahr. Einer Terrorgefahr die in abstrakter wie fallbezogener Form so häufig als Begründung für polizeiliche und geheimdienstliches Handeln im Offenen wie im Heimlichen herhalten muss.

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