Polizeiliche Videoüberwachung von Weihnachtsmärkten in Hannover in der Kritik: Gerichtsverfahren gegen die Polizei geht in die zweite Instanz

Gegen die polizeiliche Videoüberwachung des Altstadt-Weihnachtsmarktes in Hannover 2022 hat ein Besucher der Märkte vor fast genau einem Jahr Klage eingereicht. Die Videoüberwachung entspreche nicht den gesetzlichen Vorgaben und sei zudem unverhältnismäßig und wirkungsarm, so ungefähr sein Tenor.

Nachdem das Verwaltungsgericht Hannover einen dazugehörigen Eilantrag (Az. 10 B 5428/22) noch im Dezember 2022 verwarf lehnte das Gericht auch das Hauptsache-Verfahren (Az. 10 A 5210/22) nach einer mündlichen Verhandlung im Oktober 2023 die Klage ab bzw. entschied zugunsten der für die Videoüberwachung verantwortlichen Polizeidirektion Hannover.

Gegen dieses Urteil hat der Betroffene nun Berufung vor dem Oberverwaltungsgericht Lüneburg eingelegt.

Schon im Eilverfahren hat das Verwaltungsgericht dem Kläger wichtige Gerichtsunterlagen, die nur in Form einer so genannten „E-Akte“ digital in der Gerichts-EDV vorlagen, nicht zugänglich gemacht bzw. über dessen Existenz nicht informiert.

Und auch im Hauptsache-Verfahren war offenbar schon vor der mündlichen Verhandlung am 10.10.2023 klar, wie diese ausgehen würde, schrieb doch das Verwaltungsgericht vorwegnehmend in einer Pressemitteilung vom 4.10.2023:

„Die Videoüberwachung diente der Verhinderung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten.“

Dabei war die Behandlung der Frage, ob die polizeiliche Überwachung der Weihnachtsmarktbesucher diese verhindern könnten einer der Haupt-Schwerpunkte des Verfahrens. Aber scheinbar keinevoffene Frage mehr für das Gericht.

In der Pressemitteilung zum klageabweisenden Urteil schreibt das Gericht dann am 10.10.2023:

„Die Beklagte [i.e. Polizei Hannover] hat Auswertungen der polizeilichen Kriminalstatistik vorgelegt, aus denen sich eine erhöhte Gefahr für Straftaten und Ordnungswidrigkeiten im Rahmen des innerstädtischen Weihnachtsmarktes ergibt.“

Das ist sachlich falsch, denn genau diesen Beweis konnte die Polizeidirektion nicht vorlegen oder vortragen. Da sich das Verwaltungsgericht für die mündliche Verhandlung einen festen Zeitrahmen von 90 Minuten gesetzt hatte und den größten Teil dieses Zeitrahmens der Behandlung anderer, zweitrangiger Fragen widmete, wurde dieser relevante Punkt nur kurz behandelt.

Es stellt sich zudem die Frage der Verhältnismäßigkeit. So wurde der viereinhalb Wochen lang dauernde Weihnachtsmarkt 2022 von rund 1,85 Millionen Menschen besucht. Bei den drei Weihnachtsmärkten 2017-2019 [in 2020 und 2021 gab es wegen Corona keine Weihnachtsmärkte] lag die Anzahl der in diesem Zeitraum bei diesem Menschenaufkommen erfassten Straftaten bei 18 (2017), 21 (2018) und 16 (2019) – viele davon als geringfügig einzustufende. Für das Jahr 2022 meinte die Polizei bei der mündlichen Verhandlung noch keine Zahlen vorlegen zu können.

Im Nachgang zum Weihnachtsmarkt 2019 schrieb die Hannoversche Allgemeine Zeitung:

„(…) Der Weihnachtsmarkt in Hannover hat laut Stadt in diesem Jahr 1,85 Millionen Besucher verzeichnet – und die Zahl der Taschendiebstähle und anderen Straftaten fällt im Verhältnis dazu äußerst gering aus. Wie die Polizei am Montag auf HAZ-Anfrage mitteilte, registrierten die Beamten zwischen dem Auftakt des Marktes am 25. November und dem 20. Dezember, also vergangenem Freitag, nach ersten Zählungen nicht einmal 20 Delikte. Der Weihnachtsmarkt ist am Sonntag zu Ende gegangen. Vom letzten Wochenende gibt es noch keine Daten. Neun Taschendiebstähle, acht weitere Straftaten: Laut Behördensprecher André Puiu gab es bis Freitagabend neun Taschendiebstähle, am 11. Dezember wurden zwei mutmaßliche Täter festgenommen. Bei den weiteren Straftaten registrierte die Polizei sogar nur acht Delikte, darunter je zwei Körperverletzungen und Sachbeschädigungen, darüber hinaus wurde etwa Holz an einem Glühweinstand entwendet. Außerdem zeigte laut Puiu ein Betrunkener den Hitlergruß, und in einem Fall hatten Unbekannte versucht, in eine Marktbude einzubrechen. (…)“

Bislang hat die Polizei trotz mehrfacher Aufforderung keinen einzigen Vorgang/Fall benennen können, in dem ihre Videoüberwachung präventiv oder wenigstens bei der Strafverfolung hilfreich gewesen ist.

Das Thema ist derzeit auch aktuell wie selten zuvor: So wünscht sich mindestens eine der beiden medienwirksam auftretenden Polizeigewerkschaften beispielsweise die Aufrüstung der weihnachtlichen Videoüberwachung mit automatisierter „intelligenter“ Gesichtserkennung der Marktbesucher.

Nun wird sich also das Oberverwaltungsgericht Lüneburg mit der Materie beschäftigen müssen.

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