„Das 9-Euro-Ticket war einfach: Zum Fahrkartenautomaten der Stadtbahn um die Ecke, neun Euro einwerfen, Namen auf das Papierticket schreiben, losfahren. Das Deutschlandticket ist aber das genaue Gegenteil davon: Es ist nicht nur 5,5 mal so teuer. Ich kriege es auch nicht mehr am Automaten und erst recht nicht gegen Bargeld. Ich muss mich online auf einem Portal registrieren und dort einer monatlichen Abbuchung unter Angaben meines Bankkontos sowie anderen Geschäftsbedingungen zustimmen. Und weil ich nur ein entgoogeltes Smartphone nutze und ein Smartphone-Ticket nur mit der zwangsweisen Installation einer Fremdsoftware nutzen kann, von der ich nicht weiss, was sie auf meinem Gerät macht, muss ich die Chipkarten-Variante nutzen. Die muss ich bei meinem Verkehrsverbund rechtzeitig 20 Tage vor Monatsbeginn bestellt haben, also einfach besorgen und losfahren geht gar nicht mehr. Doch selbst die Vorbestellung funktioniert nicht, weil mein Verkehrsverbund gerade gehackt worden ist. Schließlich hat mir die DB-Auskunft nun auch noch mitgeteilt, dass es davon unabhängig hier gar keine Chipkarten-Variante geben soll und dass sich auch mein Kind ein eigenes Smartphone anschaffen müsse, wenn es ein Deutschlandticket erhalten solle. Was soll der ganze Unsinn?“ (Ein ÖPNV-Nutzer aus Hannover)
Der als „Deutschlandticket“ (auch: „D-Ticket“) bezeichnete, für 49 Euro pro Monat verfügbare Nachfolger des 3 Monate lang dauernden Versuchs günstiger ÖPNV-Benutzung „9-Euro-Ticket“ ist nun seit einigen Tagen für ab Mai 2023 beginnend vorbestellbar.
Um die Ausgestaltung dieses Tickets gab es von Anfang an Diskussionen. FDP-Bundesverkehrsminister Wissing hat gleich zu Beginn und unabrückbar die Betonung auf ein ausschließlich rein „digitales“ Ticket gelegt (FDP-Neusprech: „Digital first – Bedenken second“).
Das vormalige 9-Euro-Ticket war ein Monatsticket und war für die drei Monate Juni bis August 2022 verfügbar. Anstelle das 9-Euro-Ticket einfach zu verlängern benötigte die Parteipolitik acht Monate, um ein neues Modell als Nachfolger an den Start zu bringen. Davon abgesehen entzündet sich nun Kritik in mehrfacher Hinsicht:
1. Die Preisgestaltung
2. Die viele Menschen ausschließende Ausführung als „digitales Ticket im Abo“
3. Die Gefahr neuer, bislang wenig diskutierter Profilbildung
4. Unklare Rahmenbedingungen und Preise
5. Kinder ohne eigenes Smartphone erhalten kein „Deutschlandticket“
Vor allem der dritte Punkt, die Gefahr für die informationelle Selbstbestimmung der „Deutschlandticket“-Nutzer scheint uns derzeit öffentlich noch völlig unterbelichtet zu sein, weil Details dazu erst jetzt und auch nur in Ansätzen bekannt geworden sind, und dieser Komplex wirft einige unbeantwortete Fragen auf.
Und zur Ausgrenzung von Kindern ohne Smartphone war uns bis zu dieser Recherche auch noch nichts bekannt.
Aber eins nach dem anderen und abschließend noch ein Fazit:
1. Die Preisgestaltung
Parteivertreter in Bundes- und Landtagen und Kommunen waren nicht bereit, das Angebot für einen Preis von 9 Euro fortzuführen. Zwischendurch waren in den Parteien neue monatliche Preise von 29 Euro (Grüne) bis 70 Euro (SPD) in der Diskussion. Zudem behält sich der FDP-Bundesminister ausdrücklich vor, den Preis sogar bald noch weiter zu erhöhen. Deswegen dürfte das Ticket im offiziellen Sprachgebrauch auch „Deutschlandticket“ und nicht „49-Euro-Ticket“ heißen, um diese Preissteigerungen ohne größere formelle, sachliche und sich am Namen reibende Akzeptanz-Probleme durchsetzen zu können.
Klar ist, dass der Sprung von 9 auf 49 Euro (+444%) eine stark abschreckende Wirkung auf viele potentielle Nutzer*innen haben wird. Es verliert dadurch an Attraktivität für all die, die nicht schon jetzt den ÖPNV nutzen und entsprechende Monats- oder Jahrestickets gebucht haben, die sich durch das „Deutschlandticket“ nun deutlich verbilligen. Die „ZEIT“ sprach denn auch von „einem Geschenk für die Mittelschicht“ [1].
Den Pendler*innen und allen anderen schon jetzt regelmäßig den ÖPNV Nutzenden wird ein günstigerer Monatspreis dank des „Deutschlandtickets“ zurecht zuteil. Doch der Effekt, dass auch andere Menschen nun vermehrt den ÖPNV nutzen und somit den Individualverkehr vermindern und somit zum Schutz von Klima und Erde beitragen, dieser Effekt wird sich mit der neuen Preisgestaltung nur reduziert einstellen.
Die Idee eines fahrscheinlosen und umlagefinanzierten ÖPNV für alle, wie schon vor Jahren von der „Piratenpartei“ gefordert und zumindest noch in 2020 auch von Fridays-for-Future propagiert [2], diese Idee fand im öffentlichen, medialen Diskurs so gut wie gar kein Gehör und Resonanz. Aus der Sicht des nachhaltigen Lebens auf diesem Planeten eine sehr schlechte Entwicklung.
2. Die viele Menschen ausschließende Ausführung als „digitales Ticket im Abo
Anders als beim 9-Euro-Ticket kann das „Deutschlandticket“ nicht mehr an Fahrkartenautomaten erworben werden. Es muss ein Abonnenment samt automatisierten monatlichen Geldeinzug von einem Bankkonto eingerichtet werden. Das Abonnement kann monatlich gekündigt werden, dazu wird als spätester Kündigungszeitpunkt der 10. Tag des Vormonats genannt.
Üblicherweise soll das Deutschlandticket mittels Smartphone oder Tablet nutzbar sein, einige Verkehrsverbünde bieten auch eine Chipkarte an. Ebenfalls soll befristet bis Jahresende (!) bei den Verkehrsverbünden, die technisch eine digitale Lösung noch nicht einrichten können, eine Karte in Papierform möglich sein (Beispiele: Greiz, Hildesheim, Braunschweig).
Die Variante Chipkarte ist erst eine Reaktion des Bundesverkehrsministers Wissing auf die Kritik, die nach Ankündigung des Tickets als „papierlos“ auf ihn einging. Er ließ im Oktober 2022 verlautbaren:
„Es könnte außer einer digitalen Variante aber zum Beispiel auch eine Plastikkarte geben, erläuterte eine Ministeriumssprecherin am Freitag dem WDR. Auf jeden Fall solle das Angebot barrierefrei sein. Details würden noch geklärt.“ [3]
Rund 3,4 Millionen Menschen in Deutschland haben (mit Stand 2022) noch nie (!) das Internet benutzt [4]. Ebenfalls ca. 500.000 Menschen leben in Deutschland, ohne über den Zugang zu einem Girokonto zu verfügen [5]. Diesen Menschen wird der Zugang zum „Deutschlandticket“ fast oder ganz verunmöglicht.
Auch gibt es eine Vielzahl von Menschen, die kein Smartphone benutzen möchten oder können. Sei es aus Datenschutz-Gründen, sei es aufgrund persönlicher Handicaps. Für erstere gibt es keine Lösung, ihnen wird die Teilhabe am „Deutschlandticket“ verweigert. Letztere werden auf die Alternative der Chipkarte verwiesen.
Doch die Chipkarte ist nicht immer eine echte Alternative. Die Chipkarte soll von den regionalen Verkehrsverbünden auf freiwilliger Basis bereitgestellt werden. In Hannover geht das nur, wenn man die Deutschlandkarte bis zum 10. des Vormonats rechtzeitig (und ausschließlich online und unter Anlegung eines Kundenkontos) bestellt hat. Spontankäufe der Deutschlandkarte als Chipkarte sind hier also ausgeschlossen. Beziehungsweise in Hannover kann man derzeit gar keine Chipkarte vorbestellen, weil der hannoversche Verkehrsverbund Opfer einer erfolgreichen Phishing-Attacke geworden ist und deswegen erst mal gar keine Deutschlandtickets mehr verkaufen kann [6] … Soviel zum Thema Resilienz einer auf IT-Strukturen gründenden Gesellschaft. In Hannover ist das Papierticket übrigens auch grundsätzlich gar nicht verfügbar – und wäre auch gar nicht bargeldgebunden am Automaten zu erwerben, nachdem der hannoversche Verkehrsverbund nach einigen Fahrkartenautomatensprengunggen die Bargeldzahlung an [Korrektur: allen oberirdischen] Automaten kurzerhand vollkommen ausgesetzt hat [7]. (Aber dieses andere Kapitel wollen wir noch in einem weiteren Blogbeitrag genauer beleuchten.)
Der Zwang zur Online-Zahlung, der mittelbar aufgebaute Druck, ein „Deutschlandticket“ ohne besonders viel Umstände und zusätzlichem Aufwand nur mittels Smartphone oder Tablet erwerben zu können und dann auch nur mit verbindlichem Abonnement, das alles wirkt auf Nicht-Smartphone-Nutzer*innen, auf Bargeldzahlungs-Befürworter und auf Menschen mit Beeinträchtigungen diskriminierend. Auch einigen älteren Menschen mit wenig Hang zum „Digitalen“ dürfte das alles zunächst unüberschaubar vorkommen und Ängste und Sorgen bereiten oder das Gefühl des Ausgeschlossenseins verstärken.
Das Recht auf gesellschaftliche Teilhabe und das Recht auf (nicht nur informationelle!) Selbstbestimmung haben ein bedingtes „Recht auf Analog“ zur Folge. Der Bundesverkehrsminister von der ach so „Digital First“-verliebten FDP missachtet das völlig.
3. Die Gefahr neuer, bislang wenig diskutierter Profilbildung
Das 9-Euro-Ticket konnte an jedem im öffentlichen Raum stehenden Fahrkartenautomaten gegen Bargeld erworben werden. Dass dessen Nachfolge nun digital wird liegt neben den Ambitionen von Minister und Ministerpartei sicher auch daran, dass es zwischen den Verkehrsdienstleistern Streitigkeiten um die Verteilung der vorhandenen Geldströme gibt.
Für eine Abrechnungsgrundlage soll nachvollziehbar sein, welche Verkehrsverbünde wie viele der „Deutschlandstickets“ verkauft haben und wie viel „Personenkilometer“ die Unternehmen im gleichen Zuge als Anteil daran geleistet haben.
Zur Klärung dieser Fragen soll eben nun eine neue IT-Infrastruktur geschaffen werden. Für deren Umsetzung und Betrieb wurde die in Köln ansässige „VDV eTicket Service GmbH & Co. KG“ [8] ausgewählt. Das sich als „(((eTicket Deutschland“ bezeichnende Unternehmen ist ein 2002 entstandener Zusammenschluss aus 14 Verkehrsverbünden und -unternehmen und fünf Industriekonzernen (Cubic Deutschland, Infineon, Siemens, T-Systems und TEWET). Ausgangspunkt war der Wunsch des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV), einheitliche Standards für Verkauf und Kontrolle von Fahrkarten in Deutschland zu schaffen. Und so nun eben auch „digital“ für das gesamte Land.
In einem von eTicket Deutschland veröffentlichten Dokument „Einstieg Deutschlandticket“ [9] heißt es:
„Das Deutschlandticket macht erstmalig ein nationales [Verkehrsverbünde]-System notwendig. In diesem System laufen alle Ausgabe- und Kontrolltransaktionen aller [Verkehrsanbieter] zusammen, so dass ein nationales Monitoring sichergestellt werden kann. Hierbei werden keine Kundendaten erfasst, sondern nur pseudonymisiert IDs, die dem PV eine Übersicht zur Grundgesamtheit aller Tickets und der Kontrollsituation geben. (…) um 31. Juli 2023 muss jedes Unternehmen aber in der Lage sein, elektronische Tickets auch elektronisch kontrollieren zu können. Bis zum 31. Dezember 2023 müssen alle ausgebenden Unternehmen an den Kontroll- und Sperrlistenservice (KOSE) angeschlossen sein, um Tickets zu sperren oder gegen die Sperrliste zu prüfen.“
Was ist dieser „KOSE“? Dazu das Dokument weiter:
„Alle [Verkehrsverbünde] melden ungültig gewordene eTickets an den KOSE. Dies kann z. B. im Fall von Ticketverlust, Vertragskündigung oder Zahlungsausfall notwendig werden. Damit Fahrgäste nicht in Region A ein Deutschlandticket kaufen, die Zahlung zurückrufen und dann den Rest des Monats in Region B mit einem nach Kontrolle gültigem Ticket fahren können, werden diese Tickets auf die Sperrliste gesetzt. Der Dienstleister holt jeden Tag automatisiert eine frische Sperrliste ab und spielt diese in seine Kontrollgeräte.“
Wenn damit der Abgleich, ob ein vor Ort überprüftes Ticket gesperrt ist oder nicht, wenn dieser Abgleich nur lokal auf dem Handheld-Fahrkartenprüfgerät und ohne Speicherung oder Ausleitung von Ticketdaten erfolgt, dann ist die Sorge vor einer deutschlandweiten zentralen Erfassung von personenbezogenen Daten zunächst unbegründet.
Unklar bleibt aber, was genau mit dem „nationalen Monitoring“ unter zentraler Erfassung und Verarbeitung pseudonymisierter Daten aller Deutschlandticket-Nutzer*innen gemeint ist. Klar ist, dass hier eine bundesweit zentrale Datenbank geschaffen wird, in die zumindest auch ein Teil jener Daten fließen sollen, die bislang dezentral von den einzelnen Verkehrsunternehmen verarbeitet werden. Fraglich ist die genaue Ausgestaltung der gespeicherten Datensätze. Wenn sie „pseudonymisiert“ sind, enthalten sie offenbar Daten, die mit zusätzlichen Informationen (wie sie typischerweise Sicherheitsbehörden bei Anfragen haben) re-personalisiert werden könnten.
Da von „Ausgabe-“ und „Kontrolltransaktionen“ die Rede ist (s.o.), scheinen Käufe des Tickets ebenso gespeichert zu werden, wie deren Kontrolle, z.B. beim Benutzen eines Busses. Sofern daraus eine genaue Nachverfolgung der von den Unternehmen eingenommenen resp. erbrachten Einnahmen und Transportleistungen erstellt werden soll, wäre dies zur gegenseitigen und zentralen Abrechnung zunächst plausibel.
Werden dabei allerdings mehr Angaben verarbeitet, als Einstiegs-, Umstiegs- und Ausstiegsdaten von (anonymen) Reisenden, sowie ggf. das ticketausgebende Unternehmen, so würde der (auch retrograden) Profilbildung Tür und Tor geöffnet.
Unsere Anfrage an das Bundesverkehrsministerium [10] blieb trotz (verlängerter) Fristsetzung und telefonischer Nachfrage bislang unbeantwortet, so dass Sorgen einer heiklen Bewegungsdaten-Vorratsspeicherung nicht ausgeräumt werden können.
Sicher ist: Das „Deutschlandticket“ hebelt das Recht auf anonymen Erwerb der Fahrkarte von Anfang an aus – ohne jegliche öffentliche oder parlamentarische Diskussion dazu. Es vermag aber auch noch weiter dazu „taugen“, das Recht auf anonymes Reisen, auf anonyme Fortbewegung zu beschränken oder ganz aufzuheben.
Sofern das neue „nationale Monitoring“ im Zuge des „Deutschlandtickets“ mit pseudonymisierten Identitäten Bewegungsdaten erfasst würde unmittelbar ein großes Interesse staatlicher Behörden (Polizei, Zoll, Geheimdienste), von Unternehmen und Datendieben daran erwachen. Mit all den daraus resultierenden Gefahren für die informationelle Selbstbestimmung der Betroffenen. Denn aus pseudonymisierten Daten, die eben nicht anonymisiert sind, den Personenbezug wiederherzustellen dürfte ein Leichtes sein, wie jüngere Studien nahelegen. [11]
Nicht zu unterschätzen ist auch der infrastrukturelle Ausbau, der aus dem „Deutschlandticket“ folgt. Nicht nur werden Menschen „angeregt“, auf anonymes Reisen zu verzichten. Umgekehrt werden auch Verkehrsunternehmen, die bislang das elektronische Tracking ihrer Fahrgäste, zumeist wohl aus Kostengründen, ablehnten, angeregt oder gar gezwungen, die entsprechende Infrastruktur nunmehr anzuschaffen. Gewiss letztendlich auf Kosten der Reisenden. Und wenn die Geräte einmal da sind werden sie sicherlich auch zukünftig genutzt werden. Trackingfreies Reisen wird so immer stärker verunmöglicht.
Dabei ist gegen etwas Komfort beim Ticketkauf nichts einzuwenden. Die Frage ist allerdings, ob dadurch die informationelle Selbstbestimmung auf der Strecke bleiben muss. Dezentrale Datenhaltung könnte für Abrechnungszwecke ausreichen, wie das 9-Euro-Ticket beweist und eine Pseudonymisierung wäre verzichtbar, wenn beim summarischen Abrechnen die in diesem Zusammenhang ja komplett überflüssigen personenbezogenen Daten nicht an die zentrale Datenbank weitergegebn würden.
Gewiss können so mehr Daten erhoben, mehr neue Datenpunkte errechnet werden. Aber zu welchem Zweck? Geht es noch um einfachen und günstigen Nahverkehr? Oder soll einfach Digitalisierung reflexionsfrei mit der Brechstange durchgedrückt werden, um neue Datenseen zu generieren? Big Data gerät so zum sinnfreien Selbstzweck, und das hier in einem Bereich, der eine hilfreiche und sensible Digitalisierung dringend verdient hätte. Eine Digitalisierung die mitnimmt, statt auszuschließen. Die unterstützt statt zu überwachen.
4. Unklare Rahmenbedingungen und Preise
Ein „Deutschland-Ticket“ kostet nicht unbedingt 49 EUR. In vielen Regionen Deutschlands fördern Länder oder Kommunen bestimmte Gruppen zusätzlich. So sollen in Niedersachsen „voraussichtlich im Jahr 2024“ Schüler*innen und Auszubildende für 29 EUR in den Genuss eines „Deutschland-Tickets“ kommen [12]. Diese Möglichkeit wird freilich nur für bestimmte Personengruppen in bestimmten Regionen gelten, die ihr „Deutschland-Ticket“ bei bestimmten Verbünden abonnieren. „Deutschland-Ticket“ ist eben nicht gleich „Deutschland-Ticket“.
In manchen Verkehrsverbünden sind „Upgrades“ verfügbar, die dann beispielsweise gegen Aufpreis die Möglichkeit bieten, das Fahrrad mitzunehmen, eine weitere Person oder einen Hund. Teils aber nur in bestimmten Verkehrsverbünden. Für 29 EUR erhalten Studierende in der Region Braunschweig ein „Upgrade“ ihres Semestertickets, auf das „Deutschland-Ticket“ – wobei beide rechtlich getrennt bleiben.
Während die meisten Verkehrsunternehmen eine Kündigung des Tickets nur bis zum 10. des Vormonats akzeptieren, bietet etwa ein Startup in Kooperation mit Verkehrsbetrieben aus dem Raum Anhalt-Bitterfeld das „Pausieren“ des Abos und eine Kündigungsfrist bis einen Tag vor Monatsende. Freilich nur als Smartphone-Variante und mit geradezu demütigenden Datenschutzbedingungen für die Zahlungs- und anderen persönlichen Daten der Nutzenden.
Wer ein Deutschland-Ticket erwerben möchte, tut also gut daran, Anbieter zu vergleichen. Die Unterschiede umfassen u.a.
- Schufa-Abfragen
- Kündigungsfristen (normal: 10. des Vormonats; teils bis 1 Tag vor Ende des lfd. Monats)
- Kauffristen (teils nur im Voraus, teils auch im laufenden Monat)
- Möglichkeit eines papierhaften Tickets
- Möglichkeit einer Chipkarte
- Möglichkeit, ein Abo zu „pausieren“
- Nutzung 1. Klasse
- Mitnahme von Fahrrad, Haustier, Begleitperson, Kind
- Möglichkeit der Barzahlung (fast unmöglich)
- Rabattierung für Jugendliche, Schüler*innen, …
- Rabattierung für Angestellte (Jobticket – hier gibt es immerhin eine bundesweite Rahmenvereinbarung)
- Rabattierung für Studierende
- automatische Umstellung bestehender Abos auf ggf. billigeren Deutschland-Ticket-Tarif
All diese Eigenschaften eines Abo-Vertrags (und mehr) können von einzelnen Verkehrsunternehmen/App-Anbieterinnen unterschiedlich gehandhabt werden, so dass schon fast nicht mehr von dem „Deutschland-Ticket“ gesprochen werden kann.
Ob so der Nahverkehr wirklich „revolutioniert“ wird, wie die niedersächsische Landesregierung meint, bleibt zumindest zweifelhaft. Offensichtlicher ist da schon, dass das Gros der oben aufgelisteten Merkmale aus Abo-Zwang und dem doch relativ hohen Preis entsteht. Beim 9-Euro-Ticket hatten sich die meisten der oben aufgelisteten Fragen gar nicht erst gestellt.
5. Kinder ohne eigenes Smartphone erhalten kein „Deutschlandticket“
Kinder bis zum einschließlich fünften Lebensjahr dürfen wie bislang auch kostenlos den ÖPNV nutzen. Man könnte hier die Frage aufwerfen, ob man nicht grundsätzlich allen so genannten Minderjährigen, erwerbslose oder in der Ausbildung befindlichen Menschen Freifahrt gönnen könnte, wenn man schon keinen pauschal fahrscheinlosen ÖPNV für alle durchsetzen mag, aber darum soll es hier nicht gehen.
Es stellt sich die Frage, wie sich ein beispielsweise 6jähriges Kind ein „Deutschlandticket“ erwerben kann und auf welchem Device dieses gespeichert und angezeigt werden kann.
Die Antwort der DB-Reiseauskunft auf diese Frage lautet: Das Kind muss ein eigenes Smartphone besitzen und kann andernfalls kein „Deutschlandticket“ bekommen.
Wenn es sich hierbei nicht um einen Zwang zum Smartphone für alle Menschen ab sechs Jahren handelt, dann ist es ein Ausschluss vieler junger Menschen aus dem System diese Ticketangebots.
Das eine wie das andere ist schlichtweg nicht hinnehmbar!
Fazit
Der Bundesverkehrsminister wirbt selbstverliebt für das „Deutschlandticket“ [13] und selbstverständlich darf das FDP-Lieblings-Buzzwort „Freiheit“ nicht fehlen:
„Das Deutschlandticket ist modern, digital und einfach. Es bringt eine spürbare Entlastung, motiviert zum klimafreundlichen Umstieg und wird den ÖPNV dauerhaft attraktiver machen. (…) Das ist ein echter Fortschritt für unser Land und ein echter Freiheitsgewinn. (…) Mit dieser Reform zeigen wir: Deutschland kann modern. Deutschland kann digital. Deutschland kann einfach. (…)“
Richtig ist, dass der sachliche Fortschritt, mit nur einem Ticket alle ÖPNV-Angebot des ganzen Landes verkehrsverbundübergreifend nutzen zu können ein großer ist. Dieser „Freiheitsgewinn“ ist allerdings keine Erfindung des FDP-Ministers, das gab es schon mal als „Schönes-Wochenend-Ticket“ von 1995 bis 2019 [14].
Falsch dagegen ist, dass das „Deutschlandticket“ einfach ist. Jedenfalls für längst nicht alle Menschen. Smartphone-Nutzer werden bevorteilt, andere Bevölkerungsgruppen, darunter viele arme, junge und datenschutzbewusste Menschen ganz ausgeschlossen. Und die vom Minister beworbene „Modernität“ beinhaltet die Neu-Installation einer deutschlandweiten Fahrschein-Überwachungs-Infrastruktur, deren Missbrauch nicht augeschlossen werden kann. Auch wenn zu diesem Komplex noch viele Fragen offen bleiben.
Ob und wie sehr die Nutzung des ÖPNV mit dem „Deutschlandticket“ an Attraktivität gewinnt, bleibt abzuwarten. Mit einer anderen Ausgestaltung hätte es sicher mehr werden können. Warum das einfache papiergebundene Modell des 9-Euro-Ticket nicht beibehalten wurde, bleibt unklar.
Unklar ist auch, ob, wann und wie sehr das Ministerium den Preis für das Ticket anheben wird. Oder es gar irgendwann gänzlich auslaufen lässt? Das „D“ im „D-Ticket“-Logo ließe sich dann leicht von „Deutschland“ auf „Digital“ umdeuten.
Den großen und zukunftsgerechten Wurf eines fahrscheinlosen, deutschlandweiten ÖPNV, den traute sich das FDP-Ministerium nicht zu … oder wollte ihn gar nicht erst.
Fußnoten
[1] https://www.zeit.de/mobilitaet/2022-10/49-euro-ticket-oepnv-armut-rabatt
[2] Forderungen von Fridays-for-Future (FFF) an den Berliner Senat, 2020: https://fridaysforfuture.berlin/wp-content/uploads/2021/01/ForderungenFFFertig.pdf Nach dem Ende des 9-Euro-Ticket-Pilotprojektes forderte FFF im Sommer 2022 die Fortführung dieses Tickets zum gleichen Preis: https://www.main-echo.de/ressorts/politik/fridays-for-future-will-klima-sondervermoegen-art-7685097
[3] Oktober 2022: Auf Bedenken hin, dass ein rein digitales Ticket Menschen ausgrenzen könne, versicherte Minister Wissing, dass man sich dazu keine Sorgen machen müsse. https://www1.wdr.de/nachrichten/landespolitik/klima-ticket-nahverkehr-deutschlandweit-100.html
[4] Destatis - Zahl der Woche Nr. 15 vom 11.4.2023: Knapp 6 % der Bevölkerung im Alter von 16 bis 74 Jahren in Deutschland sind offline https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/Zahl-der-Woche/2023/PD23_15_p002.html
[5] https://www.konto.org/ratgeber/allgemein/leben-ohne-bankkonto/
[6] Beitrag der HAZ vom 7.4.2023, Ausschnitt: "Das Deutschlandticket, das zum Preis von 49 Euro monatlich bundesweit in Bussen und Bahnen des Nah- und Regionalverkehrs Fahrten erlaubt, wird beim Großraum-Verkehr Hannover (GVH) zum 1. Juni buchbar sein. Generell ist der erste Gültigkeitstermin der 1. Mai. Diesen Termin kann der GVH wegen der Folgen des Hackerangriffs auf die Üstra nicht halten. (…bla…) Der Angriff war am vergangenen Freitag frühmorgens bemerkt worden. Zunächst hatte der GVH den bundesweiten Vorverkaufsstart am Montag, 3. April, trotzdem halten wollen, musste aber nach wenigen Stunden einen Rückzieher machen. Das liegt daran, dass das Deutschlandticket beim GVH ausschließlich digital als App auf dem Smartphone erhältlich ist. (…bla…) Die Angreifer, die aus dem Bereich der Organisierten Kriminalität kommen dürften, haben IT-Systeme mit einem verseuchten Mailanhang verschlüsselt. (…)" https://www.haz.de/lokales/hannover/nach-hackerangriff-gvh-bietet-deutschlandticket-nun-zum-1-juni-an-H2MFOD2CDRF6ZKFX4G2FPSDJFA.html
[7] https://wiki.freiheitsfoo.de/pmwiki.php?n=Main.Uestra-Fahrkartenautomaten-Sprengungen
[8] https://www.eticket-deutschland.de/
[9] https://www.eticket-deutschland.de/media/einstieg_deutschland-ticket_v1.0_1.pdf
[10] https://wiki.freiheitsfoo.de/pmwiki.php?n=Main.Deutschlandticket#toc-1
[11] https://freiheitsrechte.org/uploads/documents/Freiheit-im-digitalen-Zeitalter/Gesundheitsdaten/2022-04-25-Gutachten_Schroeder-Gesundheitsdaten-Gesellschaft_fuer_Freiheitsrechte.pdf
[12] https://www.mw.niedersachsen.de/startseite/themen/verkehr/schiene_und_offentlicher_personennahverkehr/deutschlandticket/deutschlandticket-218930.html#Finanzierung_II
[13] https://bmdv.bund.de/SharedDocs/DE/Artikel/K/wissing-im-bundestag-zum-deutschlandticket.html
[14] https://de.wikipedia.org/wiki/Sch%C3%B6nes-Wochenende-Ticket