Polizei Hamburg mal wieder: Unterschriftensammlung als Straftat, oder: Warum die Hamburger Polizei Nachhilfe in Sachen Versammlungsrecht bitter nötig hat

Bei der Hamburger Polizei nicht beliebt: Unterschriften sammeln gegen biometrische Massenüberwachung (Bildquelle: anna elbe)

Am Sonntag, dem 8.5.2022 haben Menschen der Hamburger Initiative anna elbe Unterschriften für die Europäische Bürger.inneninitiative „Reclaim Your Face“ gesammelt. Jedenfalls haben sie es versucht. Die Polizei störte die Unterschriftensammlung aber. Sie versucht die Sammlung nun als unerlaubte Versammlung hinzustellen und die Engagierten damit zu diskreditieren.

ReclaimYourFace richtet sich gegen biometrische Überwachung in der Öffentlichkeit und wird europaweit von vielen Grundrechtsorganisationen, insbesondere im digitalen Bereich unterstützt (siehe auch unseren Beitrag aus dem März 2021 dazu). Für eine erfolgreiche Europäische Bürger.inneninitiative werden 1 Mio. Unterschriften benötigt.

Die Aktivisti von anna elbe zogen nach eigenen Angaben zu zweit (!) vor das Stadion des Hamburger Fußballvereins `Altona93`, um diese Unterschriften zu sammeln. Dabei hätten sie, nach üblen vorherigen Erfahrungen mit der Hamburger Polizei, noch nicht einmal ein Schild hochgehalten.

Das Sammeln von Unterschriften für Europäische Bürgerinitiativen ist besonders auf Papier-Formularen sehr kompliziert, da Europäischen Behörden viele formale Anforderungen stellen, die die Durchführung so einer Bürger.inneninitiative besonders schwierig gestalten. Umso mehr Respekt verdient das Ansinnen der Hamburger.innen trotzdem Menschen zur Unterzeichnung zu bewegen.

Doch sie sollten weitere Steine in den Weg gelegt bekommen. Die bald auftauchende Polizei nahm sich heraus, die Unterschriftensammlung als Versammlung zu interpretieren, die mindestens 24 Stunden vorher hätte angekündigt werden müssen. Nun stehen die Unterschriftensammler.innen mit einer Strafanzeige wegen unerlaubter weil nicht angezeigter Versammlung da.

Die Initiative wehrt sich gegen den Vorwurf der Polizei:

„Wir haben jedoch keine Versammlung abgehalten. Wir haben Unterschriften gesammelt. Wozu wir uns spontan am Morgen entschieden hatten.“

Auf Fotos ist zu sehen, dass der „Vorwurf“ der Versammlungsbildung tatsächlich ans Lächerliche grenzt. Besonders perfide ist dabei die neuerliche Instrumentalisierung der Versammlungsfreiheit als Repressionsinstrument durch die Polizei. Die Versammlungsfreiheit ist ein besonders hochrangiges Grundrecht und die Polizei – so die Theorie – hat die Aufgabe, dessen Durchsetzung zu ermöglichen, Versammlungen also zu befördern und zu schützen. In der Praxis aber beschädigt sie es immer mehr, wenn ein Versammlungsgesetz missbräuchlich gegen friedlich und demokratisch agierende Menschen als Repressions- und Schweigemittel eingesetzt wird. Die Polizei muss erklären, was sie mit so einem vollkommen überflüssigen Machtgehabe bezwecken wollte und klarstellen, dass Unterschriftensammlungen in Hamburg künftig staatlich unbelästigt erfolgen können.

Die Behauptung, dass es sich bei der Unterschriftensammlung um eine „Versammlung“ im Sinne des Artikel 8 Grundgesetz gehandelt habe, ist offensichtlich absurd (a). Und selbst unter der Annahme, dass die Polizei das, was sie damit behauptet, selber geglaubt hat, ist der Umgang der Polizei mit der Situation schlicht fehlerhaft gewesen (b).

(a) Der Brokdorf-Beschluss vom 14.5.1985 (Herzlichen Glückwunsch zum baldigen 37.!) beschreibt Versammlungen „als Ausdruck gemeinschaftlicher, auf Kommunikation angelegter Entfaltung“ und ist zudem eine Ausprägung ausgeübter Meinungsfreiheit (Randnummer 61). Die Unterschriftensammlung zielt dagegen auf etwas ganz anderes ab. Und dass es im Kontakt mit Passanten und Interessierten möglicherweise zu Unterhaltungen und Diskussionen kommen kann darf den Unterschriftensammelnden nicht zulasten als Indiz für das Stattfinden einer Versammlung anheftet werden – man stelle sich nur vor, was eine derartige Interpretationspraxis zur Folge hätte: Jede private Diskussion zwischen zwei oder mehr Menschen wäre demnach eine „anzeigepflichtige“ Versammlung …

(b) Es gilt das Opportunitätsprinzip: Selbst im Glauben, bei der Unterschriftensammlung hätte es sich um eine Versammlung im Sinne des Versammlungsgesetzes gehandelt, hätte die Polizei versammlungsfreundlich reagieren müssen. Das Verbot oder die Auflösung einer Versammlung bedingt wichtiger Voraussetzungen: Das unmittelbare Bevorstehen von (oder bereits erfolgte) Gewalttätigkeiten oder der Begehung anderer bestimmter Straftaten. Oder eine ausreichend gewichtige „Störung der öffentlichen Ordnung“. Alles das war offensichtlich nicht der Fall. Somit wäre die Polizei verpflichtet gewesen, die beiden Menschen nicht nur als Versammlung zu bewerten, sondern auch als solche zu würdigen: Aufzufordern, eine.n Versammlungsleiter.in zu benennen, ggf. Auflagen zu erteilen und die Versammlung dann gewähren zu lassen, ja zu schützen! Das tat die Polizei aber alles nicht.

anna elbe beklagt ebenfalls die autoritäre Einschränkung zutiefst demokratischer Prozesse durch die Hamburger Polizei und bringt es auf den Punkt:

„Wir sehen uns in der Ausübung unserer demokratischen Rechte beschnitten und sind empört darüber, dass Menschen, die sich in den demokratischen Prozess einbringen, dermaßen von der Polizei gegängelt werden. Das ist zutiefst undemokratisch und passt zu autoritär regierten Ländern, aber doch nicht in eine Demokratie, in der laut Grundgesetz sowohl Meinungs- wie auch Versammlungsfreiheit bestehen und alle Staatsgewalt vom Volke ausgehen soll. Dazu gehört auch, für eine offizielle Bürgerinitiative Unterschriften sammeln zu können, ohne dies 24 Stunden vorher anzumelden.“

Sollte die Polizeiaktion Einschüchterung zum Ziel gehabt haben, so ist sie jedenfalls grundlegend gescheitert. Eine Aktivistin ergänzt:

„Ich bin ja der Ansicht, dass diese Hinderung bei der Ausübung unserer demokratischen Rechte am besten dadurch bekämpft wird, dass wir uns davon nicht einschüchtern lassen und gesehen wird, dass wir uns gegenseitig – über Bundesländergrenzen hinaus – unterstützen.“

Bitte unterschreibt gegen biometrische Überwachung öffentlicher Räume. Jetzt erst recht. Formulare gibt es bei anna elbe oder unter https://reclaimyourface.eu.

Dieser Beitrag wurde unter Bericht veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.