Kinderspiele zur Ausweitung der Ströer-Werbemaßnahmen im öffentlichen Raum Hannovers: Stadt Hannover spielt „Schwarzer Peter“, der Ströer-Konzern „Verstecken“ [Update]

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Hoffentlich keine Utopie: „HANNOVER WERBEFREI“

Die niedersächsische Landeshauptstadt Hannover (LHH) braucht Geld. Mehr Geld als bisher. Das, so die Verwaltung, läge insbesondere an Corona. Anfang 2021 entwarf man dazu in der Verwaltung der Stadt das so genannte „Haushaltssicherungskonzepts X (HSK X)“ und darin heißt es in der Begründung unter anderem:

1. Der Jahresabschluss 2020 wird nach jetzigen Erkenntnissen mit einem Defizit von bis zu 250 Mio. € abschließen. [Es wurde] beschlossen, (…) für die unmittelbaren Folgen der weltweiten Pandemie COVID 19 auf ein Haushaltssicherungskonzept für 2020 zu verzichten. (…)
2. Der Verwaltungsentwurf des Doppelhaushaltes 2021/2022 weist für 2021 derzeit ein Defizit von rd. 200 Mio. € aus. Von diesem Defizit
entfällt ein Anteil von 111 Mio. € auf die anhaltenden Auswirkungen der Pandemie. Es bleibt ein struktureller Fehlbetrag von rd. 90 Mio. € in 2021. Für 2022 wird ein coronabedingter Fehlbetrag von 103 Mio. € und ein darüber hinaus gehendes Defizit von 62 Mio. € ausgewiesen. Für die coronabedingten Anteile der Fehlbeträge schlägt die Verwaltung vor, das Defizit wie unter Ziffer 1 ausgeführt abzubauen.
3. In der mittelfristigen Finanzplanung sinkt das Gesamtdefizit von 135 Mio. € in 2023 auf 86 Mio. € in 2024 und in 2025 auf 36 Mio. €. Diese Entwicklung setzt aber die Umsetzung eines HSK X im genannten Volumen voraus. (…)“

Zusammengefasst: Es fehlt jede Menge Geld. 90 Millionen Euro jährlich will man mittels fünf Einzelmaßnahmen einsparen bzw. „erwirtschaften“. Eine der Maßnahmen (betitelt als „Einzelprojekte“) beinhaltet dabei den Ausbau des Finanzrahmens der Kooperation der Stadt Hannover mit dem Werbe- und Mediengiganten Ströer. (Über dessen zum Teil schattenhaftes Wirken und Einfluß-Nehmen hatten wir zuletzt berichtet.) So heißt es im Abschnitt „IV.4.5 Werberechtsverträge“ des „HSK X“ im vollen Wortlaut:

„Die Digitalisierung wirkt sich verstärkt auch auf die Darstellung entsprechender Werbeträger aus und macht sie als Werbefläche deutlich attraktiver. Im Rahmen von Neuverhandlungen mit den Werberechtsnehmer*innen soll sich die Attraktivitätssteigerung auch in der Summe der Entgelte für die Bereitstellung diverser Flächen im Stadtgebiet für digitale Werbung niederschlagen.“

Eine neue „Public Video Roadside“ Riesenglotze von Ströer ragt in den Himmel. Noch dunkel, noch umweltfreundlich …

Was hier neusprechverdächtig als „Attraktivitätssteigerung“ verklausuliert daherkommt ist nichts anderes als der Ausbau der Werbemaßnahmen durch Ströer im öffentlichen Raum Hannovers. Der „Effekt“ dieser und der anderen „Einzelmaßnahmen“ zusammen sollen Mehreinnahmen für die Stadt pro Jahr in Höhe von insgesamt 4 Millionen Euro sein.

Was genau die Stadt mit Ströer vereinbart hat? Das soll ein Geheimnis bleiben, obwohl doch alle Einwohner und Besucher Hannovers unmittelbar und massiv davon betroffen sind. Immerhin ließ uns der Pressesprecher der Stadt folgendes wissen:

„Die Verhandlungen wurden nach folgenden internen Grundsätzen geführt:

  • Keine Ausweitung der Werbeträgeranzahlen im Stadtgebiet
  • Keine grundsätzliche Größenänderung der Anlagen
  • Keine Bewegtbilder und Animationen

Die Verhandlungen wurden in 2021 abgeschlossen.“

Bild einer neuen Ströer-Megaglotze neben einer im Abbau befindlichen Riesenplakatanlage.

Eine der neuen „Public Video Roadside“ von Ströer. Hier gut zu sehen, wie eine vorherige „Megalight“-Anlage dafür abgebaut wird. Doch hier handelt es sich um eine Ausnahme. Bei den meisten anderen neuen Standorten ist nicht ersichtlich, dass dort (sondern anderswo?) eine andere Werbeanlage von Ströer demontiert worden ist …

Diese Grundsätze finden sich in den öffentlichen Dokumenten der Stadt Hannover allerdings nicht wieder. Im guten Glauben muss man davon ausgehen, dass es sich hierbei um vertraglich handfeste Regelungen bzw. Vereinbarungen handelt. Und übrigens hat sich keiner der zahlreichen, in die Entscheidung eingebundenen Ausschüsse und Stadtbezirksräte gegen die Ausweitung der Werbung im öffentlichen Raum ausgesprochen oder spürbar dagegen aufgelehnt. Lediglich ein einziger Stadtbezirksrat war fähig oder traute sich, eine klitzekleine Einschränkung zu erwirken. So brachte die Fraktion der Bündnis90/Grünen des Rats in Hannover-Südstadt/Bult einen Antrag ein, in dem es ergänzend hieß:

„Die Verwaltung wird im Rahmen ihrer beabsichtigten Neuverhandlungen mit den Werberechtsnehmer*innen aufgefordert, keine neuen Flächen im Stadtbezirk Südstadt-Bult für Werbeflächen zur Verfügung zu stellen.“

Doch selbst das war wohl zuviel verlangt. Es wurde (zunächst handschriftlich) dann noch der folgende, das alles gänzlich entschärfende Konditional-Nebensatz angehängt:

„,ohne das diese dem Bezirksrat Südstadt-Bult zur Entscheidung vorgelegt werden.“

Wir haben mindestens 10 neue Riesen-Digital-Screens an vielbefahrenen Straßen Hannovers identifiziert, die möglicherweise kurz vor der Inbetriebnahme stehen. Damit erlangt der Ströer-Konzern eine Verdoppelung bis Verdreifachung seiner bisherigen Werbemöglichkeiten mittels der von ihm als „Public Video Roadside“ titulierten, hell leuchtenden und eine Unmenge an Energie verbrauchenden Leuchtreklame-Displays.

Die Stadt Hannover möchte uns keinerlei Auskunft über den tatsächlichen Umfang des Werbeanzeigen-Ausbaus erteilen und verweist mehrfach wortgleich auf den Vertragspartner Ströer:

„Zu Fragen der Detailplanungen und den bautechnischen Umsetzungsstand bitten wir Sie, die Fa. Ströer/ DSM GmbH/ X-City Marketing GmbH zu kontaktieren.“

Ströer antwortete auf unsere mehrfachen Presseanfragen allerdings bislang gar nicht. Und das ist nichts neues für den sonst gar nicht so öffentlichkeitsscheuen Konzern. Eine Bitte an die Stadt Hannover, bei ihrem Vertragspartner um die Beantwortung unserer Presseanfrage anzufragen/bitten wird abgeschlagen:

„Gern beantworten wir die Nachfragen (…), sofern sie in unserem Zuständigkeitsbereich liegen. [Einige] Fragen (…) beziehen sich auf das unternehmerische Handeln von Ströer. Dazu können wir keine Aussagen machen und kann sich allein das Unternehmen selbst äußern. Eine Vermittlung/Anweisung durch die Stadtverwaltung ist nicht möglich.“

Das ist nun offensichtlicher Unsinn, des bei der Frage, wie viele neue Mega-Displays künftig wo in Hannover stehen werden geht es nicht zjm „unternehmerisches Handeln von Ströer“ sondern um vertragliche Vereinbarungen als Ergebnis der abgeschlossenen Verhandlungen zwischen Ströer und der Stadt Hannover.

Unklar und unbeanwortet bleibt auch die Frage, zu wann die neuen Riesenanzeigen in Betrieb genommen werden und ob darüber hinaus weitere Werbeschilder durch neuartige „Public Video“-Werbebildschirme ersetzt worden sind oder ersetzt werden.

Mittels dieser Kombination aus Schwarzer-Peter- und Versteck-Spiel schaffen es die Vertragspartner, also die Stadt Hannover und der Ströer-Konzern erfolgreich, eine öffentliche Debatte über den Sinn und Zweck der in Zahl, Art und Inhalt be- und erdrückenden Werbeanlagen gar nicht erst entstehen zu lassen.

Bleibt nur zu hoffen, dass sich auch in Hannover irgendwann ein zivilgesellschaftliches Werbefrei-Bündnis findet und dieses dann erfolgreich wirkt. Jede Werbetafel, jeden Mega-Bildschirm durch einen Baum oder einen Busch zu ersetzen würde Hannover lebenswerter und schöner werden lassen.

[Redaktionelle Anmerkung: Wir versuchen seit 21.12.2021, von Ströer eine Auskunft bzw. die Beantwortung einer Presseanfrage zu erhalten. Bislang ohne Ergebnis, der Konzern hat sich inhaltlich (noch?) nicht geäußert. Beim Eintreffen einer Rückmeldung von Ströer wird sie an dieser Stelle hier nachgetragen.]

 

Update 22.1.2022

Auch bis dato gab es noch immer keinerlei Rückmeldung von Ströer.

Dafür haben wir eine Karte erzeugt, auf der ersichtlich ist, an welchen Standorten alte und neue Megascreens dem Straßenverkehr die Aufmerksamkeit entziehen. Vermutlich ist die Karte unvollständig, die Liste der von uns identifizierten neuen Anlagen mehr als lückenhaft, denn leider will uns die Stadt ja nicht verraten, wie viele neue Ströer-Riesendisplays installiert werden geschweige denn, wo sich diese befinden.

Worauf wir noch hinweisen möchten: Der Versuch des Stadtbezirksrats Hannover-Südstadt-Bult, sich zu wehren, scheint gewirkt zu haben. In diesem Stadtteil konnten wir bislang keine Ausweitung der Ströer-Werbeanlagen feststellen. Zurecht hatten die Grünen im Rat geschrieben:

Werbeflächen bringen Gelder in die Stadtkasse ein, verschandeln auf der anderen Seite gleichwohl das Stadtbild und sind in vielen Fällen auch noch Gefahrenquellen für Fußgänger*innen und Radfahrende. (…) Eine weitere Ausdehnung der Anzahl an Werbeträgern im öffentlichen Raum ist daher nicht mehr vertretbar.“

Stimmt. Vertretbar wäre nur ein massiver Rückbau der „Werbeträger“.

 

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