Zwei Tage vor dem diesjährigen Nikolaus besetzen im hannoverschen Stadtteil Nordstadt Aktivisten einen seit längerer Zeit leerstehenden und ungenutzten Bau. Die Polizei – aufgrund anderer Umstände in der Nähe – rückt sogleich mit drei (!) WaWe10000-Wasserwerfern und zwei Hundertschaften an.
Es kommt zu Auseinandersetzungen, über die zunächst nur auf der Pressemitteilung der Polizeidirektion Hannover beruhend berichtet wird. Darin heißt es auszugsweise (Hervorhebungen durch uns):
„Die Polizei rückte mit einem erhöhten Kräfteaufgebot inklusive Wasserwerfer an, da sie bereits ohnehin bei diversen Versammlungslagen in der Innenstadt anwesend war. Als die Einsatzkräfte vor Ort eintrafen, stellten sie Rauchentwicklung aus dem Gebäude fest. Um den Weg für die alarmierte Feuerwehr freizumachen, räumte die Polizei den Platz vor dem Haus von Personen. Dabei kam es zu körperlichen Auseinandersetzungen zwischen der Personenansammlung und den Einsatzkräften. Des Weiteren wurde versucht Straßenbarrikaden zu errichten. Als die Einsatzkräfte vor das Objekt zogen, wurden auch Steine geworfen. Eine Person wurde nach Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte leicht verletzt und wurde für eine weitere medizinische Abklärung in ein Krankenhaus gebracht. (…) Bei dem Einsatz wurde ein Polizeibeamter schwer verletzt und kam für eine weitere medizinische Versorgung in ein Krankenhaus.„
Erst aufgrund der Recherchen der taz kamen weitere, ganz andere Details zutage. Einiges am Sachverhalt stellt sich demnach deutlich anders dar. Auszüge dem taz-Beitrag vom 7.12.2021 (Hervorhebungen durch uns):
„Nach einer Dreiviertelstunde kommen zwei Hundertschaften und drei Wasserwerfer der Polizei zum Bumke-Gelände. Etwa 50 Polizist*innen laufen mit gezogenem Schlagstock auf die Kundgebung vor dem Gebäude zu. Man habe eine Rauchentwicklung aus dem Inneren des Gebäude wahrgenommen und wollte den Weg für die anrückende Feuerwehr freimachen, heißt es später im Pressebericht der Polizei. Vor Ort habe sich herausgestellt, dass es sich um Pyrotechnik handelte.
Einzelne Vermummte beginnen vor der anrückenden Polizei Warnbaken und Steine auf die Straße zu werfen. Zwanzig Aktivist*innen stellen sich vor das große Eingangstor. An einer Tür des Hauses kommt es zu einem Handgemenge. Eine Person wird zu Boden gebracht, dabei stolpert ein Polizist und die Situation eskaliert. Zwei Beamte fixieren einen Aktivisten. Einer kniet erst auf dessen Genick, dann minutenlang auf dessen Kopf. Als der Verhaftete in Handschellen aufgesetzt wird, sackt sein Körper zusammen und er verliert das Bewusstsein. Mit leichten Verletzungen wird er in ein Krankenhaus gebracht. (…)
Ein Beamter sei schwer verletzt worden, heißt es im Pressebericht der Polizei. Details will die Pressestelle nicht nennen.
Eine Polizeisprecherin bestätigt der taz telefonisch, dass ein Polizist bei einer Verhaftung auf dem Kopf eines Aktivisten gelehnt habe. „Die Maßnahme war verhältnismäßig“, so die Sprecherin.„
In – aus unserer Sicht – recht geduldigen Pressean- und Nachfragen haben wir versucht, etwas mehr Licht in das Dunkel der Frage zu bringen, was es mit dem „schwer verletzten Polizeibeamten“ im Detail auf sich hat. Das ganz ungeachtet der Frage, warum der kollabierte Demonstrierende in diesem Maße keine Erwähnung bzw. „Würdigung“ in der polizeilichen Pressemitteilung erfuhr.
Doch die Polizei will uns zur „Schwerverletzung“ des Beamten nichts mitteilen. Trotz mehrfachen höflichen Nachhakens erfahren wir nur:
„Der Polizeibeamte wurde am Samstag, 04.12.2021, stationär in einem Krankenhaus aufgenommen. Zu seinen Verletzungen werden aus persönlichen und Datenschutzrechtlichen Gründen keine weiteren Angaben getätigt. Der Polizeibeamte erlitt die Verletzung im Rahmen der Einsatzbewältigung.„
„Die Verletzung entstand durch das Einschreiten gegen die Aktivisten, aber ohne Körperkontakt.„
Wir verweisen auf das öffentliche Interesse an weiteren Informationen:
„Wir bitten dann zumindest insoweit um presserechtliche Beauskunftung, ob die Verletzung des Beamten „im Rahmen der Einsatzbewältigung“ aus der Sicht der PDH von der Besetzung bzw. von den Aktivisten zu verantworten ist oder ob es von diesen unabhängig dazu kam.
Die Beantwortung dieser Frage bzw. die Klärung dieses Sachverhalts ist von öffentlichem Interesse, weil mittelbar der Eindruck entsteht oder entstehen kann, die Verletzung des Beamten sei den Hausbesetzer*innen zuzuschreiben.„
Doch dazu will sich die Polizei auch auf mehrfache Nachfrage ausdrücklich nicht äußern.
So kann nur der Eindruck entstehen, dass die Polizei in ihrer medialen Öffentlichkeitsarbeit (die vielfach weitgehend unhinterfragt wiedergegeben wird) möglicherweise die Verletzung eigener Beamter hervorzuheben, die Verletzungen der Demonstrierenden dagegen herunterzuspielen.
Mehr Transparenz und Ehrlichkeit wäre wünschenswert. Das ginge, auch ohne die berechtigten Persönlichkeitsinteressen von Polizisten und Polizistinnen beeinträchtigen zu müssen. Der Datenschutzaspekt dient der Behörde in diesem Zusammenhang nur als schlechte Ausrede.