In Niedersachsen fanden am 12.9.2021 Kommunalwahlen statt. So auch in Hannover, weswegen es am kommenden Sonntag – parallel zur Bundestagswahl – zur Stichwahl zwischen zwei Kandidat*innen für das Präsident*innenamt der Region Hannover kommen wird.
Eher zufällig erfuhren wir, dass viele Wahlberechtigte aber gar keine Wahlbenachrichtigungskarte zur Kommunalwahl erhalten haben. So wurde in mindestens einer komplette Straße im politisch eher links orientierten Stadtteil Linden-Nord gar keine einzige Wahlbenachrichtigung zugestellt – so die Aussage eines für die Durchführung der Wahl verantwortlichen Menschen aus dem dafür zuständigen Wahlkreisbüro. Wir können nur schätzen, wie viele wahlberechtigte Menschen dadurch nicht aktiv zur Teilnahme an der Wahl eingeladen worden sind und gehen von grob 200 bis 400 Menschen aus – eine nicht zu unterschätzende Menge.
Wir haben deswegen bei der Stadt Hannover zur Sache nachgefragt und nachgehakt und erhielten daraufhin beschwichtigende und verharmlosende Antworten. Über den Umfang solcher Probleme und ob und inwiefern weitere Straßenzüge ohne Wahlbenachrichtigung geblieben sind – darüber kann oder will uns der Pressesprecher der Landeshauptstadt keine Auskunft erteilen und antwortet und entsprechende Nachfragen nun einfach gar nicht mehr.
Zunächst fragten wir allgemein nach dem Bekanntsein solcher Probleme nach und erhielten beschwichtigende Antworten:
Es seien „vereinzelte Meldungen“ über nicht eingegangene Wahlbenachrichtigungskarten eingegangen. Das aber alles „insgesamt ungefähr in dem Umfang wie bei anderen Wahlen“.
Erst, nachdem wir in einer Nachfrage konkret den Namen der Straße benannt haben, in der unseren Informationen zufolge gar keine Wahlbenachrichtigungen zugestellt worden sind bestätigte man dieses, wenn auch nur in Teilen:
„Tatsächlich haben wir dieses Mal mehrere Meldungen aus der Kochstraße erhalten und bei entsprechenden Nachfragen über die Wahlmodalitäten informiert aber und neue Wahlbenachrichtigungen zugeschickt. (…) Eine flächendeckende Nichtzustellung in dieser Straße können wir aber ausschließen.“
Insgesamt zieht sich die Pressestelle der Stadt Hannover – stark zusammengefasst – auf folgende argumentative Position zurück:
- Probleme mit nicht zugestellten Wahlbenachrichtigungen gibt es bei jeder Wahl. Das ist also nichts neues.
- Wenn sich Leute aktiv melden und den Nichteingang der Karte bemängeln, dann werden sie darauf hingewiesen, dass auch ohne Karte gewählt werden kann.
Und dann noch die folgende argumentative Nebelkerze:
„Bei jeder Wahl gibt es einen gewissen Rücklauf nicht zugestellter Wahlbenachrichtigungskarten, eine genaue Zahl haben wir aber nicht vorliegen. Das muss auch so sein, da der Postdienstleister angewiesen wurde, keinesfalls in falsche (oder unbeschriftete) Briefkästen zuzustellen. Auch sind nicht immer alle Briefkästen zugänglich.“
Das hat allerdings rein gar nichts mit dem von uns benannten Vorfall zu tun, wonach in mindestens einer ganzen Straße keine einzige Karte zugestellt worden ist!
Die Verteidigung und Beschwichtigungen der Stadt Hannover blenden vor allem folgendes aus:
- Eine nicht zu unterschätzende Zahl von Menschen dürfte erst mittels Zustellung der Wahlbenachrichtigungskarte auf den Umstand des Wahlzeitpunkts hingewiesen worden sein. Daher auch der Name der Karte: „Wahlbenachrichtigung“
- Dass die Menschen, die den Kommunalwahltermin auf den Schirm haben und wählen möchten, dann noch im Wahlamt anrufen (und dort jemanden erreichen!) und insofern auf die Möglichkeit der Wahl ohne Karte hingewiesen werden, das ist schön, stellt aber eine Hürde dar, die nicht jede*r zu nehmen weiss. Diese Entschuldigung dürfte verfassungsrechtlich nicht hinreichend sein.
- Schließlich wird den Menschen ohne Wahlbenachrichtigungskarte die Möglichkeit der Briefwahl genommen. In den Zeiten zunehmender Briefwahlquote unter Corona-Bedingungen ist das alles andere als vernachlässigbar.
- Ergänzend sei noch darauf hingewiesen, dass es lange Schlangen vor den Wahlbüros in Hannover gab. Berichtet wurde von Wartezeiten von bis zu eineinhalb Stunden. Das dürfte weiterhin dazu beigetragen haben, dass Menschen auf ihr Wahlrecht verzichtet haben, insbesondere dann, wenn sie selber keine Wahlkarte in der Hand halten und dadurch möglicherweise verunsichert waren.
Die letzten, von uns an die Stadt Hannover gestellten Fragen blieben von der Pressestelle auch nach fünf Tagen Wartezeit unbeantwortet:
- Woraus schlußfolgert die Stadt, dass die „eingegangenen Meldungen über nicht eingegangene Wahlbenachrichtigungskarten insgesamt ungefähr in dem Umfang wie bei anderen Wahlen“ entsprechen, wenn sie – wie später auf unsere Nachfrage hin beteuert – eine „genaue Zahl dazu gar nicht vorliegen hat“?
- Gibt es weitere Straßen oder Gebiete, die flächendeckend oder nahezu flächendeckend keine Wahlbenachrichtigungskarte erhalten haben?
Und vor allem:
- Warum hat die Stadt bzw. das Wahlamt der Stadt Hannover keine Initiative ergriffen, die – wie nun bekannt – nicht mittels Wahlbenachrichtigungskarte versorgten Wähler*innen wenigstens nachträglich und rechtzeitig vor der übermorgen stattfindenden Stichwahl über ihre Wahlmöglichkeit zu informieren?
Dass die Stadt diese wesentlichen Fragen nun nicht mehr beantwortet und damit praktisch aussitzen will, das spricht für sich … und ist aus unserer Sicht ein Skandal. Denn die vom Umfang her uns bekannt gewordene faktische Nicht-Benachrichtigung von Wähler*innen hat dem Umfang nach das Zeug, den Ausgang einer Wahl entscheidend zu beeinflussen, zu verfälschen. Die Bedeutung des Wahlrechts wird nicht ernst genommen.