Digitalzwang in Niedersachen. Weihnachten für die Luca-App?

– Ein Gastbeitrag der Digitalcourage-Ortsgruppe Braunschweig –

In die neue niedersächsische Corona-Verordnung vom 24.8.2021 sind — von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt — mehrere Digitalzwänge eingearbeitet worden.

Info-Grafik der Landesregierung zu Kontaktdaten mit Erwähnung von Luca-App und Corona-Warn-App

Info-Grafik zu Kontaktdaten der Landesregierung

Zur Registrierung von Kontaktdaten bei Veranstaltungen und für den Zutritt zu bestimmten Orten soll der Gebrauch etwa von Stift und Papier ab sofort komplett unterbleiben. Statt dessen sollen ausschließlich elektronische Endgeräte (Smartphones etc.) verwendet werden, die Kontaktdaten an die Gesundheitsämter übertragen. Im Ergebnis dürfen wir wohl die Luca-App zu einem verfrühten Weihnachtsfest beglückwünschen.

So enthält der Paragraph 6 („Datenerhebung und Dokumentation„) jetzt eine Soll-Bestimmung die nur noch enge Ausnahmen vom Digitalzwang (und das bedeutet praktisch fast immer: Luca-App; ein Gegenbeispiel ist uns in Braunschweig nicht bekannt) zulässt:

„Die Kontaktdatenerhebung soll elektronisch erfolgen und kann im Einzelfall in Papierform erfolgen, wenn eine elektronische Kontaktdatenerhebung nicht möglich ist; die Verpflichtungen nach den Sätzen 2, 3, 5 und 7 entfallen, wenn die Nutzung einer Anwendungssoftware zur Verfügung gestellt wird, mittels der Kontaktdaten, Erhebungsdatum und -uhrzeit sowie Aufenthaltsdauer erfasst werden können und die Software für einen Zeitraum von vier Wochen eine Übermittlung an das zuständige Gesundheitsamt ermöglicht.“

– (§ 6 Abs. 1 Satz 8 Corona-Verordnung Niedersachsen v. 24.8.2021)

Dies schließt bis auf Weiteres den Einsatz der datensparsamen und IT-technisch sehr sicheren Corona-Warn-App aus, da diese keine Daten direkt an die Gesundheitsämter übermittelt. Wenn es so bleibt, dürfte dies den Machern der Luca-App weitere Lizenzeinnahmen in Millionenhöhe aus Niedersachsen bescheren.

Der Hoffnung, dass die obige Regelung ja im Prinzip auch Papier erlaube, wird in der Verordnungs-Begründung ein deutlicher Riegel vorgeschoben:

„In Satz 8 wird der Vorrang der digitalen Kontaktdatenerfassung vor  der papiergestützten Datenerfassung definiert. Grundsätzlich hat der  Verordnungsgeber die digitale Kontaktdatennachverfolgung als verbindliche Rechtsanforderung getroffen. Daraus folgt, dass die Regelanwendung die elektronische Kontaktdatenerhebung darstellt und hilfsweise, und nur in Ausnahmefällen, in Papierform erfolgen darf. Dass ein besonders gelagerter (atypischer) Fall vorliegt, der ein Abweichen von der Norm und damit vom verordnungsgebenden Willen rechtfertigt, muss dargelegt werden. Denkbar ist insbesondere, dass eine elektronische Aufzeichnung wegen technischer Probleme nicht möglich ist oder praktisch nicht umsetzbar ist.“

— (Begründung zu § 6 (1) Satz 8 Corona-VO Nds. v. 24.8.2021, S. 22)

Dies bedeutet: Ab sofort muss sich dokumentiert rechtfertigen, wer (als Veranstalter.in) Menschen über Papierlisten registriert oder (als Besucher.in) die Warnung führender IT-Sicherheitsexpert.innen vor dem hohen Missbrauchspotential zentral digital gesammelter sensibler Daten (wie Aufenthaltsort und Infektionsstatus) ernstnimmt.

Es handelt sich also um eine Art „Digitalpflicht“, nah an der Grenze zum Digitalzwang.

Noch krasser ist die Situation in Niedersachsen für „Diskotheken, Clubs, Shisha-Bars und ähnliche Einrichtungen“. Hier gab es schon seit dem 28.7.2021 einen kompletten Digitalzwang, der in der öffentlichen Diskussion offenbar ebenfalls nicht bemerkt worden ist. Der Passus findet sich nun in § 12 Abs. 1 der Corona-Verordnung:

 „Die Regelungen über die Datenerhebung und Dokumentation nach § 6 sind anzuwenden, wobei abweichend von § 6 Abs. 1 Satz 8 Halbsatz 1 [s.o.]  die Kontaktdatenerhebung ausschließlich elektronisch erfolgen muss.“

— (§ 12 Abs. 1 Satz 4 Corona-VO Nds. v. 24.8.2021, Hervh. v. uns)

Die Regelung wurde bereits Ende Juli eingeführt und verbietet sog. „Pen & Paper“-Registrierungen gänzlich. Die digitale Speicherung wird zur ausnahmslosen Pflicht. Kein Smartphone, kein Zutritt.

Nichts gelernt — die Heilserwartung der Landesregierung

Tatsächlich scheint die SPD-CDU-Landesregierung immer noch an dem Glaubenssatz festzuhalten, dass in der Massenlieferung rein elektronischer Daten an die Gesundheitsämter das Heil der Pandemiebekämpfung liege. Genial weil digital? Ein Trugschluss, wie sich in der Begründung der Verordnung selbst zeigt. Dort wird u.a. auf Vorfälle in Aurich verwiesen:

Aktuelle Infektionsausbruchsereignisse in Diskotheken (zum Beispiel in der Region Hannover und im Landkreis Aurich sowie der Stadt Osnabrück) zwingen zu Verschärfungen von Schutzmaßnahmen in diesen Lebensbereichen.

— (Nds. Corona ÄndVO vom 27.7.21, S. 2)

Tatsächlich gab es dort eine Masseninfektion in einem Club — welcher allerdings nach NDR-Angaben bereits eine verpflichtende Luca-Registrierung von seinen Gästen verlangte. Von den 1.100 ermittelten Kontakten hätten „nicht alle Personen ermittelt werden können, obwohl die Nutzung der Luca-App vorgeschrieben war“.

Die taz wird noch konkreter und berichtet, dass bei vielen Besuchenden die Kontaktdaten „nicht vollständig“ waren. Das Gesundheitsamt habe sich auf Anhieb nur mit 58 Personen (von 1.100) in Verbindung setzen können.

Mit „Aurich“ schreibt die Landesregierung also ausgerechnet ein ausgewiesenes Gegenbeispiel für verpflichtende digitale Kontaktdatenabgaben in ihre eigene Verordnungsbegründung.

Man glaubt offenbar trotz all der nach Ansicht von Expert.innen desaströsen Erfahrungen der Zwischenzeit an die Luca-App wie ein kleines Kind ans Christkind. Dabei stünde mit der Corona-Warn-App ein robustes und bezahltes Werkzeug bereit, das sehr schnelle Kontaktbenachrichtigung ohne Kontaktdatenweitergabe ermöglicht. Aber dessen Benutzung ist in Niedersachsen (im Gegensatz etwa zu NRW oder Sachsen) nach wie vor (zur Erfüllung von Coronaauflagen) verboten. Andere Anbieter kommen schon deshalb kaum zum Zuge, weil die Landesregierung (wahrscheinlich teils vertraglich verpflichtet) den Einsatz eines bestimmten Anbieters (der Luca-App) bewirbt und so dessen Monopolstellung weiter zementiert.

Statt diesen Missstand durch großzügigere Regelungen zu beseitigen, leistet die SPD-CDU-GroKo ohne Not der Diskriminierung von Menschen ohne elektronischen Gerätepark Vorschub. Selbst gutmeinende Menschen, die gern bereit sind, ihre Kontaktdaten aus Infektionsschutzgründen anzugeben, dies aber nicht einer von Expert.innen eher kritisch bewerteten App überlassen wollen, werden durch diese Regelung ggf. von zentralen Teilen des öffentlichen Lebens ausgeschlossen. Der hier verwirklichte Friss-oder-stirb-Ansatz verstößt völlig unnötig gegen den Kerngedanken des Datenschutzes. Und dies trotz existierender Alternativen, trotz gegenteiliger Ratschläge von Menschen, die sich damit auskennen.

Die Verwirrung, offenbare Desinformiertheit und Beratungsresistenz der Landesregierung wird auch durch folgende Nebensächlichkeit dokumentiert: Auf den offiziellen Info-Grafiken der Landesregierung zum Thema „Kontaktdaten“ findet sich (unten links) der Hinweis auf die „Luca-App, Corona-Warn-App“ als Beispiele digitaler Kontaktnachverfolgung (s. Abb.) und damit also eine App, die in Niedersachsen zu diesem Zweck gar nicht eingesetzt werden darf.

Der Chaostreff Osnabrück und die Digitalcourage Ortsgruppe Braunschweig haben die Staatskanzlei darauf auch schon bedauernd hingewiesen – bislang ohne jede Reaktion.

Mit der neuen Coronaverordnung wird dieses Fehlverstehen offenbar zementiert. Es steht symptomatisch für einen Hang der Landesregierung zu zentral überwachten und verpflichtenden, gern digitalen „Lösungen“: Daten first, Nachdenken second. Hier wäre mehr Sachverstand statt blinder Digitaleuphorie wünschenswert. Die digitale Selbstbestimmung der Menschen muss bei solchen Entscheidungen berücksichtigt werden. Der Zwang zur Nutzung einer bestimmten App muss ausgeschlossen werden. Und wer überhaupt kein digitales Endgerät benutzen möchte, sollte auch dazu das Recht haben.

Digitalcourage Ortsgruppe Braunschweig
https://digitalcourage.de/braunschweig

 

 

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