Juni 2021: Durch die Straßen Hannovers fährt … ein Panzerwagen mit der Aufschrift „POLIZEI“.
Mitten im Großstadtverkehr kurvt das Militärfahrzeug mit amtlichen hannoverschen Kennzeichen herum, wird von einem aufmerksamen Passanten fotografiert und löst bei uns in der Redaktion Nachfragen aus.
Mittels Abgleich der Fotos vom Fahrzeug mit Sammlungen von Fotos einschlägiger Polizei- und Militär-Panzerwagen wird bald klar, dass es sich bei dem Wagen um einen „Enok“ handeln muss – ein vorwiegend beim Militär eingesetzten gepanzerten Sonderfahrzeug, einst angeschafft für den Einsatz der „Bundeswehr“ im Krieg in Afghanistan.
Doch was hat dieser Panzerwagen bei der Polizei zu suchen?
Bei der weiteren Recherche stoßen wir auf eine Randnotiz in einem Beitrag aus Bayern. In der Meldung aus dem Februar 2020 heißt es, dass das Land Niedersachsen vorraussichtlich im April 2020 einen solchen „Anti-Terror-Geländewagen“ ausgeliefert bekommen soll. Doch das Niedersächsische Innenministerium hat hierzu bislang nichts verlautbart.
- Wie viele dieser Panzerwagen hat das Land Niedersachsen angeschafft?
- Mit welchen (eventuell fernsteuerbaren) Waffen ist das Fahrzeug ausgerüstet?
- Wo und in welcher Polizeieinheit ist es stationiert?
- Gab es bereits Einsätze für dieses Fahrzeug?
- Wie teuer war der „Enok“?
- Warum wurde dieses Fabrikat anderen Anbietern gegenüber ausgewählt und bevorzugt – gab es überhaupt eine Ausschreibung für das Gerät?
Und schließlich:
- Warum gab es keine Öffentlichkeitsarbeit zum Einkauf des Polizei-Panzerwagens?
Und was antwortet uns das Niedersächsische Innenministerium?
- Es handele sich um ein „sondergeschütztes Offensivfahrzeug speziell den für urbanen Bereich“, das dem „Spezialeinsatzkommando Niedersachsen“ unterstehe.
- Weitere Antworten gäbe es für uns nicht, denn: „Das Fahrzeug ist nach der Verschlusssachenanweisung als „VS-Nur für den Dienstgebrauch“ eingestuft.“
- Man wolle den Panzerwagen „im Laufe der zweiten Jahreshälfte der Öffentlichkeit vorstellen“.
Garniert wird die magere Antwort mit markigen Versuchen, die Anschaffung zu rechtfertigen. So schreibt uns das Innenministerium:
„Die Anzahl von Einsatzlagen, in denen Polizeikräfte gegen bewaffnete und gefährliche Gewalttäter (z. B. in politisch und/oder rechtsradikal motivierte Morden, Terroranschlägen oder Amoklagen) vorgehen müssen, steigt stetig.“
Mit dem Latein zur Rechtfertigung für den Panzerwagenkauf am Ende
Auf unsere Nachfrage, ob es für diese Behauptung statistische Belege oder tatsachenbedingte Anhaltspunkte gäbe verweist uns der Antwortende aus dem Referat 26 des Innenministeriums zwar prompt, aber ebenso plump mit dem Verweis auf eine Pressemitteilung zur Veröffentlichung der letzten Polizeilichen Kriminalstatistik, die allerdings gar keine Aussagen oder Informationen zu der Behauptung liefert.
Wir fragen also nochmals nach und bitten um Belege für die Behauptung zunehmender Terroreinsätze, die eine Anschaffung des Polizeipanzerwagens angeblich notwendig machen.
Der Sachbearbeiter ist wohl damit mit seinem Latein am Ende und kann uns offenbar keine Belege liefern – er verweist uns kommentar- und begründungslos zurück an die allgemeine Pressestelle des Innenministeriums in Hannover. Wir sollten unsere Fragen doch nunmehr dorthin richten …
… das haben wir getan, aber bis dato noch keine Antworten erhalten.
Fazit
- Das Niedersächsische Innenministerium rüstet die Polizei Niedersachsens mit einem mutmasslich ca. 1,2 Millionen Euro teuren Panzerwagen auf, unterlässt dabei aber jegliche Aufklärung der Öffentlichkeit.
- Fragen zu dem „Sonderwagen“ will das Ministerium weitgehend nicht beantworten und stuft den Panzerwagen selber (!) als „Verschlußsache“ ein. Eine Verschlußsache, die munter durch den öffentlichen Straßenverkehr braust.
- Es bleibt völlig unklar, wer den Kauf dieses Fahrzeug angestoßen und zu verantworten hat und ob es im Vorfeld eine Ausschreibung gegeben hat, geschweige denn nach welchen Kritierien der Panzerwagenhersteller ausgewählt und mit dem finanzschweren Auftrag begünstigt wurde.
- Ebenso unklar und noch vielmehr zweifelhaft ist die Notwendigkeit der (intransparenten) Aufrüstung der Polizei in dieser Form – Nachfragen dazu werden ausgesessen – von den blumigen Begründungsfloskeln bleibt substantiell – nach derzeitiger Faktenlage – nichts übrig.
Der gesamte Vorgang steht symptomatisch für die Militarisierung der Polizei bei mehr als fragwürdigen Gründen dafür. Eine öffentliche Debatte über den Sinn der technischen und gesetzgeberischen Aufrüstung der Polizei findet i.a. nicht statt. Die Heimlichtuerei bei der Anschaffung eines Panzerwagens für die Polizei Niedersachsen tut dieser Entwicklung wenig Gutes. Eine parlamentarische Aufarbeitung zu den Umständen der Anschaffung des Sonderwagens wäre vonnöten.