Auch die Corona-Pandemie verführte und verführt viele Politiker, Populisten und technisch wenig versierte Menschen zu dem Aberglauben, technische Mittel und Methoden als Wundermittel im Kampf gegen menschliche oder soziale Probleme – in diesem Fall die globale Pandemie – anzusehen und anzupreisen.
Eines der „besten“ Beispiele hierfür ist der Hype um die Luca-App, vielfach und eiligst von Politikern und Behördenverantwortlichen für teures Gemeingeld eingekauft – alleine in Niedersachsen für rund 3 Millionen Euro für eine Software, die seitens der Gesundheitsämter dann aber so gut wie gar nicht genutzt wird, obwohl immer das genaue Gegenteil davor behauptet wurde und wird Die jüngst aufgetauchten vielfachen Sicherheitslücken gepaart mit einer ignoranten und auf Intransparenz basierenden mentalen Einstellung des Anbieters kommen schwerwiegend noch hinzu. Und alleine schon die technische Grundkonzeption des luca-Systems mit zentraler Speicherung sensibler Daten auf den luca-Servern sowie eine bestenfalls pseudonymisierte statt anonymisierte Speicherung dieser Daten lassen IT-Sichereitsforscher an der Sicherheit der luca-App große Zweifel aufkommen
Dabei gibt es – selbst wenn man schon auf die Unterstützung der leidlich verbreiteten Smartphones setzen möchte – wirksamere, kostengünstigere und persönlichkeitsrechtsfreundlichere App-Alternativen: z.B. die Corona-Warn-App oder die einfachen Papierlisten.
Beide leiden in Niedersachsen allerdings nicht nur unter miesem Marketing, sondern auch unter handfesten rechtlichen Benachteiligungen. So schreibt die niedersächsische Corona-Verordnung zwar nur pseudo-liberal und allgemein vor, dass bei Veranstaltungen bestimmte „Kontakt-Daten“ fürs Gesundheitsamt gesammelt werden müssen (Name, Anschrift, Telefonnummer etc.), sie verpflichtet aber Veranstalterinnen nicht, auf Wunsch von Besucherinnen auch Papierlisten anzubieten.
In der Folge sind Gäste dem guten Willen der Veranstalterinnen ausgeliefert: Verlangen diese eine Registrierung (nur) über die Luca-App, muss laut Verordnung Menschen, die das ablehnen, der Zutritt verweigert werden. Das verblüfft insbesondere, weil die Luca-App strukturell nur eine elektronische Papierlisten-Simulation mit entsprechend gesteigertem Potenzial zum Datensicherheitsalbtraum ist. Warum können Menschen dann nicht auf die Benutzung des weniger riskanten Originals, der einfachen Papierliste, bestehen? Die Landesverordnung könnte das vorschreiben, tut es aber nicht.
Eine andere Alternative zur Luca-App, die Corona-Warn-App, stellt tatsächlich einen neuen Ansatz zur Kontaktnachverfolgung dar und simuliert nicht nur Papierlisten. Sie erhebt keine Namen, Anschriften oder Telefonnummern und sendet diese auch nicht an Gesundheitsämter. Das ist zwar technisch brillant, (zur Kontaktdatenerhebung) aber leider in Niedersachsen rechtswidrig.
Mangels weiterer Alternativen und dank dieses unverdächtig wirkenden rechtlichen Rahmenbaus, wird die Luca-App an vielen Orten zur Zwangs-App.
Es scheint, dass nur solche Methoden der Kontaktnachverfolgung in Niedersachsen erwogen werden, welche vollständige Kontrolle über die erhobenen Daten ermöglichen. Das deckt sich mit dem autoritären Gestus, mit dem etwa Ministerpräsident Weil im Dezember die Erhebung von Standortdaten der Nutzenden (durch die Corona-Warn-App) verlangte. Der Traum der Kontrolle über die Standortdaten der Menschen ist ein Bruder des Traums der Kontrolle über die Beobachtenden selbst. Geht es da wirklich noch um Pandemiebekämpfung? Oder wurde schlicht das technisch und datenschützerisch überlegene Konzept nicht verstanden? Die politischen und rechtlichen Folgen erscheinen ähnlich.
Auf das alles verweist ein Offener Brief der Braunschweiger digitalcourage-Ortsgruppe, den wir nachfolgend gerne einer weiteren Leserschaft zukommen lassen möchten und dem wir mehr Beachtung wünschen:
Braunschweig, 28.5.2021
Bereits am 8. April 2021 veröffentlichte der Treff des Chaos Computer Clubs Osnabrück einen offenen Brief [1]. In diesem Brief stellte er die Forderung nach einer Anpassung der Niedersächsischen Corona-Verordnung. Zur Zeit ist aufgrund der Corona-Verordnung die rechtskonforme Verwendung der Corona-Warn-App zur Kontaktnachverfolgung bei Veranstaltungen oder beim Shopping in Niedersachsen nicht möglich. Regionale Regelungen zu Modellprojekten sehen sogar das Verbot papiergebundener Kontaktlisten vor.
Die Ortsgruppe Braunschweig von Digitalcourage e. V. schließt sich den Forderungen des Chaos-Treffs Osnabrück an. Wir wiederholen und ergänzen die lange Liste guter Gründe:
- Die Corona-Warn-App (CWA) ist sehr viel schneller. Da sie mögliche Kontaktpersonen automatisch und direkt benachrichtigt, kann sie Betroffene teils mehrere Tage früher benachrichtigen als andere Kontaktnachverfolgungs-Apps, bei denen die Gesundheitsämter zwischengeschaltet sind. Für die Pandemiebekämpfung ein unschätzbarer Vorteil, der Leben retten kann.
- Der Einsatz der CWA soll die Gesundheitsämter entlasten. Da die Corona-Warn-App massenweise Falsch-Check-ins verhindert und Personen statt Gesundheitsämter warnt, können sich die Gesundheitsämter auf die Nachverfolgung relevanter Fälle konzentrieren. Das ist ein Effizienzgewinn.
- Die Wirtschaft profitiert vom Einsatz der kostenlosen und unbefristeten CWA. Denn die CWA bietet ebenfalls die Möglichkeit, QR-Codes zum Check-in für Gäste und Kund.innen zu erzeugen. Und sie erlaubt ebenfalls den Nachweis von Corona-Schnelltests. Ebenfalls praktisch: Nach dem Besuch von Kund.innen/Gästen müssen Veranstalter.innen nicht wochenlang Daten zum Abruf bereithalten. Es existieren darüber hinaus bereits Anbindungen an erprobte OpenSource Ticket-Systeme wie „pretix“. Die Nutzung der Corona-Warn-App bietet der Kultur und Wirtschaft also vereinfachte Einlassverfahren bei gleichzeitig anerkannt hohem Datenschutz-Standard für Gäste und Kundschaft. Salopp gesagt: Das ist echter Bürokratieabbau dort, wo es darauf ankommt.
- Für die Menschen ergibt sich mehr Komfort: Schnelltest, Kontaktnachverfolgung, Check-in in einer App. Höhere IT-Sicherheit und sogar vorbildlicher Datenschutz inklusive. Die CWA kann bereits auf über 20 Mio. Downloads verweisen.
- Die CWA ist aus IT-Sicherheitssicht vertrauenswürdig. Eine hochkarätige Gruppe namhafter Forscher.innen führender Forschungseinrichtungen bescheinigte der Corona-Warn-App als Musterbeispiel eine „größtenteils vorbildiche Umsetzung“ der Entwicklungsprinzipien „Zweckbindung“, „Offenheit und Transparenz“, „Freiwilligkeit“ sowie „Risikoabwägung“ [2].
- Die CWA sichert durch Dezentralität und Datensparsamkeit auch den Datenschutz der Daten von Angestellten, die beruflich gezwungen sind, eine elektronische Kontaktnachverfolgung zu nutzen oder von Gästen aus dem Ausland. Das ist leider keine Selbstverständlichkeit für andere Apps, die aus geschäftlichen Interessen auf den Markt drängen. Die CWA wird von der Landesbeauftragten für den Datenschutz ebenso zur Kontaktnachverfolgung empfohlen wie von der Bundesdatenschutzkonferenz.
- Die CWA ist bereits bezahlt. Sie ist darüber hinaus in ganz Deutschland ohne separate Lizenzerwerbung in vollem Umfang und auch unbefristet nutzbar. In Sachsen wird der Einsatz der CWA auch zur Kontaktnachverfolgung nicht nur erlaubt, sondern sogar in der landesweiten Corona-Verordnung empfohlen. Sie ist ebenfalls in Teilen des europäischen Auslands nutzbar.
Wir fordern Sie auf:
- Ermöglichen Sie auf Landesebene die Verwendung der Corona-Warn-App zur digitalen Kontaktnachverfolgung bei Veranstaltungen und in Geschäften — passen Sie die Bestimmung zu Datenerhebung und Dokumentation in der niedersächsischen Corona-Verordnung (insbes. § 5) an! Erlauben Sie pseudonymisierte Kontaktlisten und bestehen Sie nicht auf den Umweg der Benachrichtigung über die Gesundheitsämter! Bedenken Sie, dass die Gesundheitsämter mit der Datenauswertung und den Benchrichtigungen bereits jetzt überfordert sind.
- Halten Sie auf kommunaler Ebene wenigstens die Möglichkeit offen, neben anderen Verfahren auch die Corona-Warn-App zur Kontaktnachverfolgung zu nutzen! Vermeiden Sie den Zwang zur Nutzung von Apps mit zentraler Kontaktdatenspeicherung. Nutzen Sie als Kommunalpolitiker.innen die neuen Freiheiten, die Ihnen die Landesregelung diesbezüglich bietet! Dies betrifft insbesondere kommunale Verordnungen zu Modellprojekten.
Für einen konstruktiven Austausch zum Thema und für Rückfragen stehen wir selbstverständlich gern zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
Digitalcourage e. V., Ortsgruppe Braunschweig