Corona-Diskussionen: Den Problemen und nicht dem Föderalismus die Axt anlegen!

Mit dem auf Deutschland verengten Blick, mit auf wohlhabende Staaten des reichen Teils der Welt schielenden Vergleichen gesehen könnte man den Eindruck gewinnen, alles wäre schlecht in diesem Land, wenn es um die politische und behördliche Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie geht.

In diese Kerbe schlagen viele Politiker*innen, von denen sich nicht wenige auch in der Vergangenheit durch Unsachlichkeit und Seitenlastigkeit hervorgetan haben, und wollen Hand anlegen am politischen System.

Beispiele:

19.10.2020:

„Bayerns Ministerpräsident Markus Söder hat Zweifel daran geäußert, ob das politische System in Deutschland der Coronakrise gewachsen ist. „Ich bin ein überzeugter Föderalist, aber ich glaube, dass der Föderalismus zunehmend an seine Grenze stößt“, sagte Söder vor einer Schalte des CSU-Vorstands in Nürnberg.“

21.2.2021:

„„Wir brauchen eine Jahrhundertreform – vielleicht sogar eine Revolution“ – Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus (CDU) (…) sieht in der Pandemie die Chance, das Staatswesen zu modernisieren und hat ehrgeizige Pläne.“

30.3.2021:

„Die einzigen Währungen, die in einer Pandemie zählen, sind Entschlossenheit und Geschwindigkeit. Jede Verzagtheit, jedes unnötige Hin und Her gibt dem Virus die Chance, sich zu verbreiten und die Gesellschaft weiter im Schwitzkasten zu halten. Der deutsche Föderalismus ist aber nicht auf Entschlossenheit und Geschwindigkeit, sondern auf Bedächtigkeit und Machtbalance hin angelegt. (…) Nicht die Menschen sind das Problem, sondern das System. Wer, selbst in Notzeiten, die Handlungskompetenzen auf Akteure mit gegensätzlichen Interessen verteilt, die sich außerdem gegenseitig blockieren können, darf sich insbesondere in einem Wahljahr nicht darüber wundern, dass sich der Föderalismus als Inkubator für menschliche Eitelkeiten und politische Handlungsunfähigkeit entpuppt. (…) Dieses Experiment [des Föderalismus] darf inzwischen als gescheitert gelten. Indes sind nur wenige politische Akteure bereit, der Realität auch ins Gesicht zu sehen und die heilige Kuh des Föderalismus zur Schlachtung freizugeben.“ [… schreibt Mathias Brodkorb, SPD, Ex-Finanzminister des Landes Mecklenburg-Vorpommern.]

3.4.2021:

„Der frühere Bundesinnenminister de Maizière schlägt vor, in Deutschland die verfassungsrechtliche Möglichkeit eines Ausnahmezustands einzuführen. Der CDU-Politiker sagte der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“, das Grundgesetz sollte entsprechend geändert werden, um bei künftigen Krisen rascher handeln zu können. Das derzeitige Entscheidungsverfahren – zum Beispiel im Rahmen von Ministerpräsidenten-Konferenzen – verlange zu viel Zeit, erklärte de Maizière. Ihm schwebe ein „befristeter Ausnahmezustand“ vor, mit einem ressortübergreifenden Krisenstab, der Weisungsrecht gegenüber Ländern und Kommunen habe.

Wenn Parteipolitiker den Föderalismus „modernisieren“, abschaffen oder „schlachten“ wollen, diesen als „Experiment“ umzuinterpretieren versuchen, nur „Entschlossenheit und Geschwindigkeit als einzige Währung“ akzeptieren, CDU-Oberste gar eine „Revolution“ ausrufen wollen oder einen Ausnahmezustand „mit Weisungsrecht gegenüber Ländern und Kommunen“ in das Grundgesetz einbringen wollen, spätestens dann sollte „man“ aufhorchen und sachlich bedenken, wohin diese mediale Stimmungsmache führen können, den Autoren nach: führen sollen.

Bevor der Föderalismus als essentieller Bestandteil der Gesellschaftsordnung (West-Deutschlands) nach der Katastrophe des vorherigen nationalsozialistischen Deutschlands über Bord geworfen wird – und das von Politikern, die sich für viele Menschen bislang eher wenig als vertrauenswürdig bewiesen haben – bevor man also solch gravierenden Schritte in Erwägung zieht sollte doch erst alles unternommen werden, um die derzeit schon vorhandenen Möglichkeiten im Föderalismus auszunutzen, ja im Gegenteil so gar als Chance zu begreifen.

Vielleicht nur ein einziger simpler Vorschlag als Beispiel:

Warum eigentlich bestimmen die Bund-Länder-Chefs/Chefinnen nicht jeweils 1 bis 3 (möglichst dialogfähige!) Vertrauenspersonen, die sich dann jeden (!) Tag online zusammensetzen, Fragen, Probleme und Vereinheitlichung zur Umsetzung von Maßnahmen zur Corona-Pandemie-Bekämpfung besprechen und abstimmen und eine gemeinsame Linie für die nächsten Treffen der Bund-Länder-Obersten vorbereiten? So ein Gesprächskreis könnte im besten Fall für ein vertrauteres und besseres Miteinander sorgen und es kann doch nicht sein, dass es inmitten dieser wirklich besonderen und schwierigen Zeit nur ein- bis dreiwöchige Ad-hoc-Treffen der Bund-Länder-Verantwortlichen mit den bekannten und menschlich doch gar nicht so überraschenden Problemen gibt.

Sollte so etwas an Eitelkeit und persönlichen Befindlichkeiten von gewählten Personen oder deren Vertrauten scheitern, so wäre immerhin der Kern des Problem eingegrenzt worden. Der Förderalismus jedenfalls wäre das dann nicht!

Bei dieser Gelegenheit: Wo ist denn eigentlich der sich als „Verfassungsschutz“ schönkleidende Inlandsgeheimdienset bei dem allen? Der infiltriert doch ansonsten furchtbar schnell und gerne Menschen und Menschengruppen, wenn diese – wie oben von Söder, Brinkhaus und Brodkorb in Reinstform vorgeführt – das „System“ ändern oder ganz abschaffen wollen?

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