In 2019 begann ein bemerkenswert zusammengesetztes Konsortium aus privaten, verdeckt halb-öffentlichen und öffentlichen Stellen für eine „Sicherheitskooperation“ am und um den Hauptbahnhof Hannover herum zu werben bzw. eigenen Angaben zufolge für mehr (gefühlte?) Sicherheit der Menschen am Bahnhof sorgen zu wollen.
Ein Teil der sichtbar gewordenen Strategie der substantiell von der Polizeidirektion Hannover angeführten Gruppe lag darin, hinter dem Hauptbahnhof (Nordausgang, Raschplatz) eine Waffenverbotszone einrichten zu wollen, nachdem die Polizei dank ihr zustehender Rechtsgrundlage bereits eine neue „Identitätskontrollzone“ eingerichtet hat. Zunächst haperte es an der rechtlichen Grundlage für so eine kommunale Waffenverbotszone, mittels der Hilfskonstruktion, dass der Hauptbahnhof doch angeblich ein „Kriminalitätsschwerpunkt“ sei, gelang es dann aber doch.
Zeitgleich machte sich der niedersächsische Innenminister Pistorius (SPD) auf Bundesebene via Bundesrat für eine Verschärfung des Waffengesetzes und die Legitimierung der Kommunen zur Einrichtung solcher Zonen stark. Mit Erfolg: Nach dem Durchwinken im Bundesrat und der bald zu erwartenden Umsetzung niedersächsischer Verordnungen dürfen Städte und Kommunen selbst dann rigide Verbotszonen ausrufen und definieren, wenn es dort konkret gar keine besondere Anhäufung von Straftaten gibt. Die populistische Begründung des niedersächsischen Innenministers dazu:
„Es gibt bestimmte Orte, an denen schlicht niemand eine Waffe oder ein Messer mit feststehender oder feststellbarer Klinge braucht.“
Nun – unter Verwendung dieses Schein-Arguments könnte man an fast jeder Stelle des öffentlichen Raums eine Waffenverbotszone begründen und einrichten.
Doch zurück zum konkreten Fall am Hauptbahnhof Hannover:
Die Stadt Hannover (als formell dafür verantwortliche Stelle) rief also mit Wirkung zum Januar 2020 eine Zone aus, in der täglich von 21 Uhr abends bis morgens um 6 Uhr das „Mitführen gefährlicher Gegenstände“ verboten ist. Wer dagegen verstößt, kann mit einem Bußgeld von bis zu 5.000 Euro Höhe belangt werden.
Wer jedoch zunächst mal in Erfahrung bringen möchte, was es genau mit dem neuen Verbot auf sich hat, der kommt nicht allzu weit.
„Rufen Sie das Bürgertelefon an!“
und
„Wenn Sie das googlen, dann finden Sie das.“
war die Antwort der Bundespolizisten vor Ort am Hauptbahnhof, als wir sie nach dem konkreten Inhalt und Sinn des neuen Verbots gefragt haben. Dass das Bürgertelefon insbesondere nachts, wenn das Verbot seine Gültigkeit entfaltet, nicht erreichbar sein dürfte schien die Polizisten genau so wenig zu interessieren wie die Tatsache, dass manche Menschen (zum Glück) aus welchem Grunde auch immer kein internetfähiges Smartphone mit sich herum tragen.
Zwar gibt es inzwischen einige von der Stadt angebrachte Hinweisschilder, die die Zone kennzeichnen und ausweisen sollen, die aber sind in Anzahl, Positionierung und in ihrer Gestaltung völlig unzureichend: Wir haben die aktuelle Beschilderungssituation dokumentiert und mittels der blauen Pfeile dargestellt, wo und wie man überall in die Verbotszone gelangen kann, ohne ein Schild zu Gesicht zu bekommen (siehe Grafik am Rande). Und das auch erstmal ganz unabhängig von der Frage, ob die Schilder dem/der „normalen, unbescholtenen Besucher*in“ überhaupt auffallen und ob die Schilder erklären können, worum es beim Verbot denn eigentlich geht. Was sich aus dem Schild u.a. nicht erschließt:
- Geht es bei Verbot um das Besitzen, das Bei-sich-Tragen, den Verkauf oder Erwerb oder um das offene In-der-Hand-Tragen der dargestellten Gegenstände,
- geht es nur um die dargestellten Gegenstände (eine Axt, ein Baseballschläger, ein Klappmesser), oder
- sind bspw. Tierabwehr-Pfeffer- und Reizgassprays, Multifunktionstools, Schraubendreher, Tischbesteck-Messer, Taschenmesser, Schnitzmesser, Rasierklingen, Papiercutter, Holzstöcke, Besenstiele, Klobürsten und Schlagzeug-Stöcke auch vom Verbot betroffen oder nicht und
- wo endet die Verbotszone eigentlich?
Das alles kann das Schild nicht erklären. Das würde höchstens ein Studium der vier Seiten langen und mit Verweisen auf das nicht allen Menschen im Kopf verfügbare Waffengesetz versehene Verordnung erläutern können. Doch die ist am Hauptbahnhof weder ausgehängt noch sonstwie einsehbar.
Vielmehr und besonders frappierend ist jedoch:
Nach Auffassung und Interpretation der geltenden Rechtslage meint die Stadt Hannover, dass selbst diese Kennzeichnung überhaupt nicht notwendig wäre! Noch nicht einmal die Öffentlichmachung der Verbotsverordnung vor Ort sei vonnöten, so die Pressestelle der Landeshauptstadt unserer Redaktion gegenüber.
Und das, obwohl beim Verstoß gegen die Regeln des den Leuten zumeist unbekannten Verbots, wie schon erwähnt, ein Bußgeld von „bis zu 5.000 Euro“ droht!
Und wer schließlich auf den Webseiten der Stadt Hannover nach dem Inhalt der Verbotsverordnung sucht, der wird auf normalem Wege nicht fündig. Selbst bei der Suche mittels verschiedenster Suchbegriffe findet man nicht den Weg auf die Seite mit den 118 (!) derzeit gültigen Verordnungen, auf die uns die Pressestelle auf Nachfrage hin verwiesen hat. Und selbst dann muss man zunächst mehr als einhundert (!) der Verordnungs-Überschriften lesen und zu verstehen versuchen, bis man ganz am Ende zur hier diskutierten Verbotsverordnung gelangt …
Wir halten diesen intransparenten und bürger*innen-unfreundlichen Umgang mit dieser Verbotszonenregelung für illegitim. Es kann nicht rechtens sein, wenn – so eine Fallkonstruktion – ein*e vom Verbot nichts wissender Reisende*r unwissentlich das Verbot missachtet und daraus resultierend ein Bußgeld bezahlen soll.
Dazu kommt, dass seitens der Stadt Hannover offen angekündigt wurde, die Verbotsregelungen nur selektiv anzuwenden. So hieß es in der Antwort auf eine Frage von uns seitens der Pressestelle:
„Es ist absolut weltfremd und lebensfern, dass ein Reisender der gerade ein Taschenmesser gekauft hat und bei sich trägt, oder eine alte Dame, die ein Küchenmesser gekauft hat, kontrolliert oder sanktioniert wird. Auch wenn dazu theoretisch das Recht bestünde. Die Verordnung zielt ihrem Sinn nach auf ganz etwas anderes, das ist Ihnen sicher bewusst.“
Bewusst oder klar ist uns das jedenfalls nicht und es leuchtet auch nicht ein. Denn was bedeutet es, wenn diese Verbote samt der Bußgelder nur selektiv, also bspw. an äußerlich nicht als Reisende erscheinenden Menschen angwendet werden würde? Was wäre das anderes als ein diskriminierendes Racial Profiling? Und warum überhaupt sollen die Verbotsregeln nicht für Reisende gelten? Sind die harmloser als Nicht-Reisende? Wer besitzt hier die Definitionsgewalt über die Frage, wer als potentiell bedrohlich oder gewalttätig gilt und wer nicht?
Oder genauer nachgefragt:
Welche Menschen oder welche Bevölkerungsgruppen sollen mittels dieser Verbotsverordnung eigentlich abgeschreckt und von der Gegend des Hauptbahnhofs effektiv und in repressiver Manier vertrieben werden?
An dieser Frage offenbart sich unserer Ansicht nach, dass es (ein) Ziel dieser Verbotszone und möglicherweise auch der Sicherheitskooperation sein mag, mehrheitlich unerwünschte, zumindest von Reisenden, Touristen und einkaufsfreudigen Menschen als unerwünscht angesehene Menschen aus dem Umfeld des Bahnhofs zu verscheuchen.
Eine aus unserer Sicht nicht hinnehmbare Praxis.