Für mehr gefühlte (also unechte) Sicherheit am Hauptbahnhof Hannover: Polizeiliche Identitätskontrollzonen, Städtische Verbotszonen für „gefährliche Gegenstände“, „optimierte Datenaustausche“, Abschiebungen. Polizei und „Sicherheitskräfte“ auf schmalem Grat zum Racial Profiling.

Am Hauptbahnhof Hannover im Juni 2019: Ein Obdachloser liegt weitab der Routen der Einkaufstouristen in einer Ecke. Wird von privater „Sicherheitsbeauftragter“ inklusive Schäferhund mehrfach und sehr „nachdrücklich aufgefordert“: „Aufstehen! Jetzt aber!“

Am frühen Freitag Nachmittag des 7.6.2019 lud die Polizeidirektion Hannover zu einer Pressekonferenz (PK) in die Räume der Sparkasse (!) in unmittelbarer Nähe zum Hauptbahnhof Hannover ein. Es ging um die Einrichtung einer neuen so genannten „Sicherheitskooperation“ unter dem Slogan „bahnhof.sicher“.

Ohne größere Umschweife sollen sich im Rahmen dieser Sicherheitskooperation diskriminierend angelegte Repressionen gegen ethnische Minderheiten und soziale Randgruppen richten. Angstkonstrukte und ein vorgeblich als „gestört“ erkanntes Sicherheitsempfinden müssen herhalten, um im Namen von Sauberkeit und Ordnung gegen als störend deklariert Menschen vorzugehen. Wo solchermaßen die Verbesserung eines imaginären „Sicherheitsgefühls“ als Ziel herhalten muss, heißt das immer auch, dass eine objektive Kriminalitätsentwicklung und deutlich erhöhte Fallzahlen tatsächlicher Kriminalität, die eine derartige Intensivierung der Repression vielleicht noch rechtfertigen könnten, offenbar gar nicht ins Feld geführt werden können.

Insgesamt sieben staatliche, kommunale und privatwirtschaftliche Akteure nehmen an der „Kooperation“ als Partner teil.

Wir haben die gut einstündige Veranstaltung zuhörend und fragend begleitet. Ein kompaktes und somit gut lesbares Stichwortprotokoll, der vollständige Audiomitschnitt sowie etwas Bildmaterial stellen wir hiermit der Öffentlichkeit zur Verfügung:

https://wiki.freiheitsfoo.de/pmwiki.php?n=Main.20190607-PK-Sicherheitskooperation-Hbf-H

Anders als andere Medien möchten wir uns in unserer Berichterstattung jedoch auf die aus unserer Sicht besonders hervorhebungs- und kritikwürdigen Detailpunkte der zwischenzeitlich bereits in Gang gesetzten Repressionsinitistive von Polizeidirektion Hannover und Partnern konzentrieren und versuchen, die darin versteckten Gesamttendenzen eines zunehmend problematischen Agierens der formellen und selbsternannten (Protec) Sicherheitsorgane im verdachtsfreien Raum und Vorfeld aufzuzeigen.

Die sich mit der neuen „Sicherheitskooperation“ stellenden gesellschaftlichen Fragen sind vielfältig und komplex. Wir möchten versuchen, die folgenden Aspekte kritisch zu beleuchten und zu hinterfragen:

  1. „Polizeiliche Kontrollörtlichkeit für anlaßlose Kontrollen“ als Präzedenzfall einer polizeilichen Interventionsmethode mitsamt den damit verbundenen Verdrängungseffekten und der Gefahr des Racial Profiling und der Diskriminierung. Außerdem: Von der Verwicklung der Polizei in Widersprüche.
  2. „Verbotszone des Mitführens ‚gefährlicher Gegenstände'“ als weiterer Präzedenzfall für die neue „Ordnungspolitik“ der Stadt Hannover
  3. „Einleitung aufenthaltsbeendigender Maßnahmen“ vulgo „Abschiebungen“ mitsamt „systematischem, optimierten Informationsaustausch zwischen Bundespolizei und Ausländerbehörde“ sowie die Frage nach den „Grenzen der Freizügigkeit von EU-Bürgern“. Missbrauch bestehender Regelungen zu nicht beabsichtigten Zwecken?
  4. Nutzung der im Zuge angeblicher Terrorismusbekämpfung eingerichteten polizeilichen Befugnisse (siehe auch die Diskussionen zum neuen Nds. Polizeigesetz NPOG) zur Vertreibung und Kriminalisierung so genannter „randständigen Gruppen“
  5. Fehlen einer unabhängigen Stelle zur Evaluation der „Sicherheitskooperation“
  6. Das „subjektive Sicherheitsempfinden“, populistische und reißerische Medienberichterstattung sowie in der Systematik fragwürdige Bürgerbefragungen als rechtlich unzulässige Begründung für das gesamte Maßnahmenpaket
  7. Ein genauerer Blick auf die Kriminalitätszahlen im/am Hauptbahnhof Hannover
  8. Sinn und Unsinn einer „Null-Toleranz“-Strategie
  9. Zusammenarbeit privater und öffentlicher „Sicherheitskräfte“ – über deren Zulässigkeit, Hintergründe und Auswirkungen
  10. Mediale Randnotiz: Kritikbefreiter Journalismus und Bevorzugung der Hausmedien des Madsack-Konzerns durch persönliche polizeiliche Vorabinformation

Bevor wir diese Punkte näher beleuchten möchten wir noch auf den ganz frischen Beitrag „Polizieren der Armen: Polizei an den Rändern der Gesellschaft“ von Norbert Pütter, Professor für Politikwissenschaft an der BTU Cottbus-Senftenberg hinweisen, erschienen in der neuen CILIP 118/119. Dieser lesenswerte Artikel ist leider nicht online verfügbar. Dafür aber der im gleichen Heft erschienene Beitrag „Racial Profiling in Deutschland: Keine Frage individuellen Fehlverhaltens“ von Bafta Sarbo aus dem gleichen Heft. Frau Sarbo ist im Vorstand der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland. Sie beschreibt das Phänomen des „Racial Profiling“ innerhalb der Polizei. Etwas, was wir im folgenden ebenfalls kurz anreißen werden.

Nun aber unsere 10 Punkte im Detail:

 

„Polizeiliche Kontrollörtlichkeit für anlaßlose Identitätskontrollen“ als Präzedenzfall einer polizeilichen Interventionsmethode mitsamt den damit verbundenen Verdrängungseffekten und der Gefahr des Racial Profiling und der Diskriminierung. Außerdem: Von der Verwicklung der Polizei in Widersprüche.

Polizeiliche Identitätskontrollzonen

Mit Bezug auf § 13 NPOG hat die Polizei eine vom Polizeipräsidenten als „Kontrollörtlichkeit“ bezeichnete Zone im Raschplatzbereich des Hauptbahnhofs eingerichtet. Beim § 13 NPOG („Identitätsfeststellung, Prüfung von Berechtigungsscheinen“) geht es darum, der Polizei das Recht an die Hand zu geben, anlaßlos, also ohne besonderen speziellen Grund, Menschen anhalten und identifizierend kontrollieren zu können.

Allerdings erlaubt der § 13 (anders als § 14 NPOG („Kontrollzonen“)) nicht die Einrichtung von „Kontrollzonen“ (und nebenbei gesagt übrigens auch nicht die Durchsuchung von Personen und deren Gepäck) und so verfingen sich Polizeipräsident und die Chefin der Polizeiinspektion Mitte auf der Pressekonferenz aus unserer Sicht in formelle Widersprüche:

Dieses Recht auf grundlose Identitätskontrolle gelte „sowieso“ am Hauptbahnhof, man habe es lediglich noch einmal schriftlich fixiert. In einer „Einsatzkonzeption“, so die PI-Mitte-Chefin auf erneutes Nachfragen hin. Es stellt sich die Frage, ob die der Presse vorgetragene „Einrichtung einer Kontrollörtlichkeit“ also eher ein PR-Zug war oder ob es sich tatsächlich um eine Kontrollstelle nach § 14 NPOG handeln soll. Unsere Presseanfrage dazu ist bis dato unbeantwortet geblieben, man hat uns mit den Antworten derweil auf Mitte dieser Woche vertröstet. So lange wollten wir mit diesem Blogbeitrag allerdings nicht mehr warten …

Sicher kein Zufall ist es, dass die Polizei den Medien gegenüber den Begriff „Kontrollörtlichkeit“ anstelle von „Identitätskontrollzone“ oder (um nicht mit dem Begriff des § 14 verwechselt zu werden) „Überprüfungszone“ eingeführt hat. Mit der Verniedlichungsform von „Kontrollort“ hört sich das Vorhaben jedenfalls deutlich weniger bedrohlich an, ja fast schon niedlich ist sie, diese „Kontrollörtlichkeit“.

Nicht beantworten kann oder will die Polizei die Frage, nach welchen konkreten Vorgaben die Grenze für die Identitätskontrollzone gezogen worden ist. Sicher hat, wie von Polizeipräsident Kluwe dazu ausgeführt, die Anzahl von Straftaten in einzelnen Gebieten beigetragen. Aber die Frage, ob es diesbezüglich Grenzwerte gab, ab denen die Einrichtung einer Identitätskontrollzone zulässig erscheint.

Auf die Frage, ob dann nicht ebenfalls auch andere bedeutende Kriminalitätsschwerpunkte Hannovers zu einer Identitätskontrollzone erklärt werden müssten verwies der Polizeipräsident auf die besondere Bedeutung des Hauptbahnhofs und nein, weitere „Kontrollörtlichkeiten“ seien derzeit nicht geplant.

Racial Profiling

Zur der o.g. „Einsatzkonzeption“ hieß es in der Pressekonferenz weiter:

Und da [in der Einsatzkonzeption] steht auch drin, dass selbstverständlich nicht die Personen kontrolliert werden, die dem offenbar nicht zuzuordnen sind. Das heißt wir werden nicht Leute kontrollieren, wenn die Reisende oder Pendler sind, sondern andere und differenziert vorgehen.“

Diese Einsatzkonzeption sei – so auf weitere Nachfrage von uns – nicht öffentlich, also geheim. Es ist also für die Bürger nicht nachvollziehbar, nach welchen Regeln die Polizei Menschen einer Identitätskontrolle unterzieht. Damit setzt sich die Polizei dem Vorwurf des Racial Profiling aus. Dessen Wirkung beschrieb ein Mensch mit beruflicher Nähe zur Polizei neulich wie folgt:

„Verdachtsfreie Kontrollen können und dürfen sich in der Systematik dieser Polizeibefugnis gar nicht gegen Jedermann richten. Also müssen sie mit bestimmten Kriterien verbunden werden, die aber gerade keine konkreten Verdachtskriterien sind und gerade nicht auf einen bestimmten / konkreten Tatbestand einer Normverletzung abheben.

Statt dessen findet die Konkretisierung über Zuschreibungen und äußere personenbezogene Merkmale und mithin über ein durch die Polizei zugeschriebenes Personenraster statt.

Die Problematik ist dabei, dass die Anwendung der Befugnis bei den handelnden/solchermaßen einschreitenden Polizist*innen unreflektiert Vorurteile verstärkt. Pauschalisierende Ablehnungskonstruktionen werden so in der Binnenkultur der Polizei nachhaltig befördert. Dem folgt (verstärkend) eine selbstreferenzielle Ausrichtung in Einstellungen und Handeln. Dass sich in der Folge die Rassismusproblematik in der Praxis-Kultur der Polizei verschärft, liegt auf der Hand.

Das Ergebnis sind Kontrollen auf einer Grundlage stereotyper Verdachtsmuster – die eben vorrangig ethnozentrisch und/oder an ‚Kriterien‘ von Randständigkeit orientiert sind und dabei im Ergebnis immer diskriminierend wirken.

Menschen am Hauptbahnhof werden also durch diese Form der konzeptionellen Ausrichtung der Polizei verstärkt Opfer von Diskriminierung. Darüber hinaus findet in der Praxis eine Sekundärviktimisierung der Betroffenen durch Bagatellisierung der Kontrollpraxis und der damit verbundenen Diskriminierung statt.

Mit Blick auf das neue NPOG: Noch zu Rot/Grün hatte die Landesregierung die Problematik der Verdachtsfreien Kontrollen erkannt und wollte die Befugnis im Kontext der Stärkung von Bürgerrechten streichen oder zumindest stark einschränken. Seit Rot/Schwarz war dann in der Landesregierung davon auf einmal keine Rede mehr.

Und nun zeigt sich gerade anhand solcher „Konzepte“ wie am Bahnhof, wie die immer weitere Ausdehnung polizeilichen Handelns in ein von ihr selbst imaginiertes Vorfeld einer Gefahr (sogenannte polizeiliche Lagebilder) immer weitergehend Eingriffsqualitäten entwickelt. Der Eigentliche Zweck der Befugnisnorm, nämlich die Bürger*innen vor der Willkür staatlicher Institutionen zu schützen, rückt so in immer weitere Ferne.“

Verdrängung

Im Audiomitschnitt ab ca. 43’40“ äußerst ein Journalist die Befürchtung, dass die angekündigte Erhöung des Kontrolldrucks doch unweigerlich zu einer Verdrängung von „randständigen“ Menschen führen wird. Das ist deswegen ein heikler Punkt, weil sich innerhalb der neuen „Kontrollörtlichkeit“ mehrere Anlaufstellen und Hilfsprojekte für Bedürftige befinden, z.B. die Bahnhofsmission und der Treffpunkt für Obdachlose unter der Hochstraße. Die letztere übrigens in unmittelbarer Nähe und Sichtweite der Raschplatz-Polizeistation – etwas, was man ebenso kritisch oder als schwierig bewerten mag und keineswegs unumstritten ist.

Dieser vom Journalisten ausgesprochenen Befürchtung argumentiert Polizeipräsident Kluwe zuwider, dass man genau deswegen kein Alkoholverbot aussprechen wird. (Und verschweigt zugleich, dass das aus ganz anderen praktischen Gründen gar nicht umsetzbar wäre, befinden sich doch eine Reihe von Diskotheken und Szenebars in der Kontrollzone!)

Herr Kluwe dann weiter wörtlich:

„Wir wollen schon sehen, dass diese Szene nicht verdrängt wird. Wir sprechen auch mit denen. Wir sagen denen nicht ‚Haut ab‘. Wir sagen denen ‚Bleibt hier in den Hilfseinrichtungen aber benehmt euch‘. Darum geht es. Dass der eine oder die andere vielleicht sagt ‚Ich gehe woanders hin, das gefällt mir hier nicht mehr‘, das werden wir nicht vermeiden können. Aber wir wollen nicht massenhaft verdrängen.

Die Betonung muss hier wohl auf das „massenhaft“ gelegt werden, das Herr Kluwe bei der dritten Aussprache dieses Slogans erstmals hinzugefügt hat.

Es soll nicht unerwähnt bleiben, dass sich ein in den Zuschauer-Reihen sitzender Herr dann unaufgefordert zu Wort meldete (ca. 45’10“) und sich inhaltlich als ein Angehöriger einer der vorgenannten Hilfseinrichtungen zu erkennen gab und die gute Zusammenarbeit mit der Polizei im Zuge der „Sicherheitskooperation“ betonte.

(Anmerkung am Rande: Bemerkenswert, dass solche Interventionen seitens der Moderationsleitung der Polizei-Pressesprecherin geduldet wurden, die kritischen Fragestellungen zum Ende hin aber aktiv beendet worden sind.)

 

„Verbotszone des Mitführens ‚gefährlicher Gegenstände'“ als weiterer Präzedenzfall für die neue „Ordnungspolitik“ der Stadt Hannover

Ein Taschenmesser.

Die Polizeidirektion Hannover hätte für den Bereich des Hauptbahnhofs von Hannover gerne eine Waffenverbotszone eingerichtet. Doch dafür sind die Anforderungen des Waffengesetzes zu hoch.  Noch zu hoch. Der Polizeipräsident teilte nämlich weiter mit:

„Wir begrüßen die Bundesratsinitiative unseres Innenministers Pistorius zur Erweiterung des Waffengesetzes, das die Einrichtung einer Waffenverbotszone in Zukunft erleichtern soll.“

Dazu passt, was jüngst in der letzten Innenministerkonferenz hinter verschlossenen Türen vorgegangen ist:

Die IMK bittet das Bundesinnenministerium, die Länder über eine Verordnungsermächtigung in die Lage zu versetzen, ihren Kommunen in sensiblen Bereichen die Schaffung waffenrechtlicher Verbotszonen zu ermöglichen. Als sensible Bereiche sollen dabei insbesondere das Umfeld von Kinder-, Jugend- und Bildungseinrichtungen sowie des öffentlichen Personennahverkehrs gelten. In waffenrechtlichen Verbotszonen soll nach einer Risiko- und Lageeinschätzung der örtlichen Polizeibehörde bei Bedarf auch das Führen von Messern jeglicher Art untersagt werden können. Springmesser sollen nach Ansicht der Innenminister gar nicht mehr in der Öffentlichkeit mitgeführt werden.“

Also: Aufgepasst!

Zurück zum eigentlichen Thema:

Weil es das Waffengesetz also nicht hergab wandte sich die Polizei an die Stadt Hannover. Mit dem Erfolg, dass dessen Ordnungsdezernent auf der Pressekonferenz verkündete, dass der Rat der Stadt nach der Sommerpause eine Verbotszone am Hauptbahnhof einrichten werde, in der das „Mitführen gefährlicher Gegenstände“ verboten und als Ordnungswidrigkeit klassifiziert werde.

Nun stellen sich selbstverständlich viele Fragen. Zum Beispiel:

  • Was genau sind „gefährliche Gegenstände“?
  • Wie groß wird diese Verbotszone sein?
  • Wie hoch sind die Strafen bei Missachtung dieses Verbots?
  • Was sollen die mit Bus, Bahn und Zug Reisende oder Touristen tun, die solche angeblich „gefährlichen Gegenstände“ ohne böse Absicht bei sich haben?
  • Und überhaupt: Gibt es überhaupt Belege, also z.B. Studien oder Evaluationen, die eine präventive Wirkung eines solchen Verbots belegen? Und falls nicht: Welche andere Begründung führt man für die Einrichtung einer solchen Verbotszone an?

Alle diese (aus unserer Sicht wichtigen) Fragen kann die Stadt nicht beantworten – weder in der Pressekonferenz noch im Zuge einer schriftlichen Presseanfrage danach. Das lässt diese Verbotsmaßnahme der Stadt im Moment als sehr unbestimmt und verunsichernd erscheinen.

Anmerkung am Rande: Unser Nachhaken zu der Frage nach Studien über die Wirksamkeit von Verbotszonen dieser Art wurde seitens des Pressesprechers der Stadt Hannover mit der Begründung abgewürgt, man wolle „keinen Dauer-Dialog“ mit unserer Redaktion führen. Nun gut – das hatten wir ebenfalls nicht vor und weitaus besseres zu tun als das, baten allerdings in Wirklichkeit aber nichts anderes als drei mal höflich und vergebens um Auskunft über das Vorhandensein ebensolcher Studien. Das legt den Schluss nahe, dass es keine (erfolgreichen) wissenschaftlichen Untersuchungen über die gefahrenabwehrende oder straftatenverhindernde oder -mildernde Effekte einer solchen Verbotszone gibt!

Überhaupt erscheint uns die Einrichtung einer solchen städtischen mit Bußgeldern sanktionierten Verbotszone als ein Mittel, das im schlimmsten Fall selektiv eingesetzt werden kann. So erscheint uns das Szenario plausibel, „unliebsames“ Klientel mittels der Verbotszonenverordnung zu bedrängen, zu bestrafen und zu vertreiben: „Du trägst ein Taschenmesser mit dir. Das ist verboten und kostet dich jetzt xxx Euro.“

Wichtig ist der Blick auf das erfolgreiche Klageverfahren gegen ein ähnliches Verbot der Bundespolizei für die Züge und Bahnhöfe in Berlin. Wegen der zu allgemein gehaltenen, also „unbestimmten“ Formulierung des Verbots zum Mitführen „gefährlicher Werkzeuge“ hat das Verwaltungsgericht Berlin diese Verordnung in einer Eilentscheidung gekippt. Die Gesellschaft für Freiheitsrechte, die die Klage organisiert hat beschreibt das u.a. wie folgt:

„Die Verfügung schießt weit über das Ziel hinaus und richtet sich auch gegen alltägliches und ungefährliches Verhalten, für deren Verbot es keine Grundlage gibt.“

Auf die Frage an den „Ordnungsdezernenten“ der Stadt Hannover, ob nicht mit der gleichen Begründung mit Blick auf Gleichbehandlung auch noch weitere Verbotszonen in Hannover eingerichtet werden müssten antwortet dieser:

„Wir haben nicht vor, solche Zonen inflationär auszudehnen.“

Das „nicht inflationär“ in dieser Antwort lässt aufhorchen … Möglicherweise steht Hannover erst am Anfang einer „Ordnungspolitik“, die an den aus der am Konsumtourismus interessierten Stadt passenden Orten weitere Verbotszonen wuchern lässt.

 

„Einleitung aufenthaltsbeendigender Maßnahmen“ vulgo „Abschiebungen“ mitsamt „systematischem, optimierten Informationsaustausch zwischen Bundespolizei und Ausländerbehörde“ sowie die Frage nach den „Grenzen der Freizügigkeit von EU-Bürgern“. Missbrauch bestehender Regelungen zu nicht beabsichtigten Zwecken?

In der Pressekonferenz teilte der Polizeipräsident Kluwe mit, dass bisherige Versuche, „osteuropäische Armutstouristen“ mittels der in § 17 NPOG möglichen Verhängung eines „Aufenthaltsverbots“ zu vertreiben keinen wirklichen Erfolg bewirkt haben.

Aus diesem Grund habe man sich an die Stadt Hannover gewendet und gemeinsam mit deren Vollstreckungsbeamten die EU-rechtlichen Möglichkeiten zur „Einleitung aufenthaltsbeendigender Maßnahmen“ ausgeschöpft. Das praktiziere man auch schon seit einigen Monaten so.

Der rechtliche Hintergrund – nach Angaben des städtischen Ordnungsdezernenten – sei der, dass EU-Bürger zwar grundsätzlich die EU-Freizügigkeit genießen dürften („Das freut uns ja alle auch.“), diese aber durchaus begrenzt sei: So dürften EU-Bürger nur in für bis zu drei Monate in Orten anderer EU-Länder bleiben, es sei denn, dass sie eine feste Arbeitsstelle und eine Wohnung vorweisen können. Bis zu sechs Monate dürfen diese Menschen bleiben, wenn sie nachweisen können, dass sie sich auf der Suche nach einem Arbeitsplatz befinden:

Deswegen brauchen wir einen systematischen, optimierten Informationsaustausch zwischen Bundespolizei und städtischer Ausländerbehörde.“ Dann könne in den Fällen, in denen es zu erheblichen Straftaten kommt „aufenthaltsbeendigende Maßnahmen“ eingeleitet werden. „“Wir haben diese Informationsaustauschkette eng abgestimmt und aus dem Projekt heraus bereits begonnen, entsprechende Maßnahmen einzuleiten.“

Unklar ist derzeit noch, auf welchen rechtlichen Füßen dieser „optimierter Informationsaustausch“ steht, sofern es überhaupt eine Rechtsgrundlage dafür gibt. Auch, ob es eine Datenschutzfolgeabschätzung zur neuen „Informationsaustauschkette“ gibt. Wie soll verhindert werden, dass personenbezogene Daten über die Empfänger bei der Bundespolizei hinaus an Dritte (Protec, Polizeidirektion Hannover, Üstra, Stadt Hannover) gelangen?

Erst auf Nachfrage einer Journalistin fiel dann übrigens im weiteren Verlauf der PK das Wort „Abschiebung“. Auch erst auf Nachfrage hin erläuterte der Ordnungsdezernent, wie denn eine „schriftliche Anhörung“ bei wohnungslosen „Armutstouristen“ vonstatten gehen soll (siehe Stichwortprotokoll). In kurzen Worten: Die Betroffenen erhalten das amtliche Schriftstück mit dem Angebot einer verteidigenden Stellungnahme zur drohenden Abschiebung persönlich in die Hand gedrückt und haben dann eine Frist, innerhalb der sie sich (schriftlich!) dazu äußern können. Im falle der Nicht-Äußerung gehe man dann davon aus, dass die Abschiebung zulässig ist und führt die dann durch. Wer annimmt, dass Wohnungslose und Suchtabhängige in der Lage wären, eine wenigstens juristisch angehauchte, in deutscher Sprache verfasste und zudem schriftliche Stellungnahme zu erstellen und der Stadt Hannover fristgerecht zuzuschicken, dem kann der Bezug zur Lebensrealität abgesprochen werden oder – eine andere Möglichkeit – der nutzt die eben aufgezählten Praxisaspekte wissentlich dazu aus, möglichst viel Abschiebungen von Menschen durchzuführen, ohne einem fairen Verfahren eine Chance zu geben.

Es gilt also auch hier: Die Einrichtung einer städtischen Verbotszone gegen das Mitführen (angeblich besonders) „gefährlicher Gegenstände“ birgt im Zusammenhang mit dem „optimierten Informationsaustausch“ und den geplanten Abschiebe- und Wiedereinreiseverbotsmaßnahmen ein hohes amtliches Missbrauchspotential und droht, tatsächlich zu Diskriminierungen und Sekundärviktimisierungen zu führen.

 

Nutzung der im Zuge angeblicher Terrorismusbekämpfung eingerichteten polizeilichen Befugnisse (siehe auch die Diskussionen zum neuen Nds. Polizeigesetz NPOG) zur Vertreibung und Kriminalisierung so genannter „randständigen Gruppen“

Hier lässt sich kurz und knapp feststellen:

Das gültige Polizeigesetze Niedersachsens („NPOG“) und auch vorherige Verschärfungen wurden stets argumentativ mit Verweis auf Islamismus, Terrorismus, zuletzt auch in vermehrten Maße wieder mit Hinweis auf die „organisierte Kriminalität“ gerechtfertigt.

Dass Aufenthaltsverbote und anlaßlose Identitätskontrollen zur Verdrängung, Vertreibung oder Abschiebung „randständiger Menschen“ und „Armutstouristen“ eingesetzt werden war nicht im Sinne des Gesetzgebers – zumindest nicht, wenn man die öffentlichen Verlautbarungen betrachtet.

Aus der Pressemitteilung des Nds. Innenministeriums anläßlich der Verabschiedung des NPOG durch den Nds. Landtag am 14.5.2019:

„Der Niedersächsische Minister für Inneres und Sport, Boris Pistorius: ‚Das Gesetz ist eine vernünftige, angemessene und notwendige Modernisierung unseres Polizeirechts. Wir brauchen eine ausgewogene rechtliche Grundlage für unsere Sicherheitsbehörden, um uns adäquat vor Gefahren schützen zu können. Oberste Priorität hatte für uns als Landesregierung und auch für mich persönlich, dass es gelingt, die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit angemessen zu wahren. (…) Die Polizei erhält wichtige Befugnisse, um den internationalen Terrorismus weiterhin wirksam bekämpfen zu können.‚ (…) Gegen terroristische Gefährder können auf richterlichen Beschluss hin außerdem Aufenthaltsvorgaben und Kontaktverbote verhängt oder elektronische Fußfesseln zur Aufenthaltsüberwachung eingesetzt werden. Dies sind neue Instrumente, die die Polizei nutzen kann, um terroristische Gefährder im Blick zu behalten und Freiräume bei der Vorbereitung von terroristischen Straftaten zu beschränken.“

Selbst wenn die am Hauptbahnhof unerwünschten Personengruppen nicht direkt von den neuen „Gefährder“-Maßnahmen betroffen zu sein scheinen, so kann man in diesem Zusammenhang doch von einem Missbrauch polizeilicher Befugnisse sprechen, wenn polizeirechtliche Mittel wie Aufenthaltsverbote an Straftaten und Ordnungswidrigkeiten geknüpft werden, deren Begehen mitunter erst durch die Einrichtung von Verbotszonen ermöglicht, wenn nicht gar in diskriminierender Weise selektiv zugeordnet werden.

Gleiches gilt für die Einrichtung der polizeilichen Identitätskontrollzone. Dieses Mittel war nicht dafür gedacht, „randständige Gruppen“ zu vertreiben.

 

Fehlen einer unabhängigen Stelle zur Evaluation der „Sicherheitskooperation“

Die „strukturierten Interviews“, mit denen man mit Gewerbetreibenden, Pendlern und den „Randständigen“ in Kontakt treten will, werden nach Angaben von Polizeipräsidenten Kluwe durch den „Kontaktbereich und das Präventionsteam der Polizeiinspektion Mitte“ vorbereitet, von dieser durchgeführt und ebenfalls auch ausgewertet („evaluiert“). Ob dort sozialwissenschaftlich für derartige Aufgaben ausreichend ausgebildete und unabhängig bzw. neutral agierende Personen sitzen mag bezweifelt werden.

Ebenso wie bei der Bürgerbefragung der Stadt Hannover zum „subjektiven Sicherheitsgefühl“ besteht also die Gefahr, dass mittels einer Umfrage, die nur scheinbar wissenschaftlichen Ansprüchen genügt, im späteren zeitlichen Verlauf polizeiliche und hoheitliche Maßnahmen begründet werden.

Bösartig ausgedrückt: Polizei und Stadt erzeugen sich hiermit eine selbstgestrickte Handlungsgrundlage.

Studien und Umfragen durch neutrale und unabhängige Stellen würden dieser Befürchtung den Nährboden entziehen. Ganz unabhängig von der Frage, inwiefern politisches und polizeiliches Handeln überhaupt auf Umfragen gründen soll und darf!

 

Das „subjektive Sicherheitsempfinden“, populistische und reißerische Medienberichterstattung sowie in der Systematik fragwürdige Bürgerbefragungen als rechtlich unzulässige Begründung für das gesamte Maßnahmenpaket

Offen und unverblümt gibt Polizeipräsident Kluwe auf Nachfrage hin zu, dass das vorrangige Ziel aller Maßnahmen die Verbesserung des subjektiven, also von tatsächlichen Zuständen losgelösten Sicherheitsempfindens sein soll.

Dass diese Absicht nicht die Anwendung polizei- oder ordnungsrechtlicher Repressions- und Überwachungsmaßnahmen zulässt, ist dem Polizeipräsidenten bewusst. Wohl aus diesem Grunde wurde bei den Vorträgen auf der PK (auch) Bezug auf Straftaten und Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) genommen: Die PKS als juristisches Feigenblatt.

Dass das subjektive Sicherheitsempfinden oder der angebliche Mangel daran mittels polizeilicher Maßnahmen mit z.T. verbunden mit schwerwiegenden Grundrechtseingriffen verbessert werden und öffentlich auch so argumentiert wird, hat erst junge Tradition. Verwiesen sei beispielhaft auf das sog. „Videoüberwachungsverbesserungsgesetz“ des Bundesinnenministers de Maiziere, das neulich vor dem Bundesverwaltungsgericht eine Abfuhr erlitt oder auf die Rechtssprechung des OVG Lüneburg zum flächendeckenden Einsatz von Überwachungskameras im ÖPNV.

Der Verweis auf den Wunsch zur Verbesserung des subjektiven Sicherheitsempfindens ist also hinfällig und nicht statthaft, brüskiert diese Argumentation doch den rechtsstaatlichen Grundsatz der Wahrung der Verhältnismäßigkeit.

Dennoch ein Blick auf die Begründung des mangelnden Sicherheitsempfindens der Bürger*innen Hannovers an ihrem Hauptbahnhof:

Stadt und Polizeidirektion Hannover berufen sich auf eine Befragung der Stadt Hannover aus dem März 2018. Knapp 3.000 zufällig dazu ausgewählte Bürger*innen (auch Kinder und Jugendliche?) erhielten einen Fragebogen, den sie online oder per Briefpost beantworten konnten. Weniger als 60% davon haben an der Befragung teilgenommen.

Die Stadt Hannover weigerte sich aus uns gegenüber nicht erklärten Gründen leider, uns den Original-Fragebogen auszuhändigen. Insofern lässt sich nicht bewerten, ob die Befragung bzw. die Gestaltung der Fragen wissenschaftlichen Ansprüchen genügt oder nicht.

Aus dem uns übermittelten und von uns weiter veröffentlichten zusammenfassenden Bericht geht im Kapitel zu der Frage

„Meiden Sie aufgrund eines Unsicherheitsgefühls bestimmte Orte in Hannover?“

hervor, dass den Befragten bei der Beantwortung folgende vorgegebenen Möglichkeiten zur Verfügung standen:

  • Tunnel/Unterführungen
  • Parks/Grünanlagen
  • Oberirdische Haltestellen
  • Unterirdische Haltestellen
  • Hauptbahnhof
  • Raschplatz
  • Parkhäuser/Tiefgaragen
  • Öffentliche Verkehrsmittel allgemein
  • Bestimmte nOrte in der Innenstadt
  • Bestimmte Plätze im eigenen Stadtteil

Sofort fällt auf, dass neben 8 allgemeinen Ortsbestimmungen genau 2 konkrete Orte zur Auswahl bzw. zum Ankreuzen angeboten worden sind: Der Hauptbahnhof und der Raschplatz. Warum gerade genau diese zwei Orte ausgewählt wurden und nicht auch andere konkrete öffentliche Plätze in der Auflistung auftauchen (z.B. Steintor, Kröpcke, Aegi, Lister Meile, Ihme-Zentrum, Vahrenheider Markt) bleibt unerklärt.

Klar ist, dass diese von den Machern des Fragebogens getroffene Vorauswahl einen erheblichen Einfluß auf den Ausgang der Befragung ausgeübt hat. Insofern ist die auf der PK seitens Polizeipräsident Kluwe vorgebrachte Empörung („Es kann nicht sein, dass 60% der Bürger abends aus Angst den Raschplatz umgehen.“) unsachlich und versucht lediglich, die angekündigten Repressionsmaßnahmen dem Schein nach zu rechtfertigen.

Andere Quellen als diese städtische und in Teilen unseriöse Bürgerbefragung für ein ausgeprägt negatives Sicherheitsempfinden der Bürger*innen am Hauptbahnhof und Raschplatz Hannover wurden seitens der Protagonisten auf der PK nicht benannt.

Bleibt noch der Druck, der aufgrund reißerischer oder gar populistischer Medienberichterstattung auf den „Sicherheitsbehörden“ lastet. Sowohl das „BILD“-Blatt als auch die beiden dem Madsack-Konzern angehörigen hannoverschen Tageszeitungen (Hannoversche Allgemeine Zeitung – HAZ, Neue Presse – NP) stachen und stechen dadurch hervor, dass sie nicht nur häufig die polizeiliche Presseberichterstattung kritiklos übernehmen (zum Teil sogar wortgetreu!). Diese Zeitungen (bzw. Blätter) haben immer wieder den Hauptbahnhof Hannover in ein äußerst schlechtes mediales Licht gerückt. Sogar vom „schlimmsten Bahnhof Deutschlands“ war die Rede.

Das ist selbstverständlich ziemlicher Unsinn der darauf beruht, dass mit derlei „journalistische Beiträge“ breiteres Gefallen finden als sachlich abwägende oder nüchtern die Sachzustände beschreibende Berichterstattungen. Die Zeitungen versuchen mit allen Mitteln, ihre anzahlmäßig geschrumpfte Leserschaft an der Stange zu halten.

Polizeien und Stadt benötigten ein starkes Rückgrat, um sich diesem Druck nicht zu beugen. Mangels der schon angeklungenen engen Verbandelung zwischen einigen Medien und Polizei ist aber eine echte Unabhängigkeit nicht wirklich gegeben. So kommt es dann zu den hier beschriebenen „Sicherheitskooperationen zur Verbesserung des subjektiven Sicherheitsgefühls“. Das alles ist eine bedrohliche gesellschaftliche Entwicklung.

 

Ein genauerer Blick auf die Kriminalitätszahlen im/am Hauptbahnhof Hannover

Hierzu hätten wir gerne näher etwas ausgeführt, doch leider müssen wir auch zwei Wochen nach der Pressekonferenz immer noch auf Antworten der Polizeidirektion Hannover warten

o_O

Soviel als Erkenntnis der PK vom 7.6.2019 lässt sich repetieren:

  • Es gibt jährlich ca. 8.000 Straftaten im Bereich Hauptbahnhof und Raschplatz.
  • Diese Zahl ist seit fünf Jahren ungefähr konstant.
  • Viele von den 8.000 Straftaten sind Schwarzfahrer-Delikte. Wie viel genau, wurde uns noch nicht mitgeteilt.
  • Weiterhin unter den 8.000 Straftaten:
    • 1.000 Gewaltdelikte (also im Durchschnitt etwa drei pro Tag)
    • 3.000 Diebstähle (also im Durchschnitt etwa 9 pro Tag, inklusive Ladendiebstähle)
    • 100 Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz (also im Durchschnitt alle drei Tage einer, das ist erstaunlich wenig!)

Diese Zahlen sind an sich recht wenig aussagekräftig, solange es keine weitere Aufschlüsselung nach Art der Gewaltdelikte und den Orten, an denen sie geschehen, gibt. Wie gesagt: Wir warten immer noch auf Antworten der Polizeidirektion Hannover und werden diese hier nachtragen, sobald sie eingegangen und gehaltvoll sind.

 

Sinn und Unsinn einer „Null-Toleranz“-Strategie

Im Rahmen der seit Mai 2019 bestehenden Initiative „bahnhof.sicher“ wurde ein vermutlich ein- bis zweihundert Seiten starkes Kooperationsabkommen erarbeitet, das am Ende der Pressekonferenz von den Herren Kluwe und von der Ohe medienwirksam unterzeichnet worden ist.

Der Inhalt des Abkommens ist nicht-öffentlich. Dieser Umstand ist deswegen beklagenswert, weil das Abkommen eine Reihe von schriftlich fixierten „Handlungsanweisungen“ enthält, die für alle an der „Sicherheitskooperation“ Beteiligten verbindlich sind und somit ein gleichgeschaltetes Verhalten aller gewährleisten sollen und weil diese Handlungsanweisungen potentiell alle Bürger betreffen, die sich – eben im Sinne dieser nicht-öffentlichen Handlungsregeln – nicht an das halten, was im Rahmen der „Sicherheitskooperation“ hinter verschlossenen Türen ausgehandelt worden ist.

Auf Nachfrage einer Journalistin wurde folgende Handlungsanweisung beim „Sitzen auf der Treppe“ behandelt (35’40“):

Journalistin: „Ich hätte da mal ein ganz praktisches Beispiel. Auf der Treppe sitzt eine völlig betrunkene Person und bewirft Passanten mit Bierflaschen. Was passiert dann?“

Ordnungsdezernent von der Ohe: „Also. Ich übersetze mal, was Frau König als Szenerie formuliert hat. Sitzen auf der Treppe mit Alkoholgenuß oder Beeinträchtigung oder Belästigung. Da wäre das Eingreifen z.B. das Ansprechen. Dann geht es weiter mit Trinkgelage und Lärm oder Verschmutzung. Eingrifen ist dann Ansprechen, dann Aufforderung die Handlung zu unterlassen und Einleitung eines Ordnungswidrigkeitsverfahrens sowie eines Platzverweises. Dann geht es weiter: Blockieren von Fluchtwegen, Engpässen oder Nichtbeachten von Anweisungen. Wiederrum Ansprechen, Auffordern zum Unterlassen, Ordnungswidrigkeitsverfahren und Platzverweis. Also es gibt hier 25 Konstellationen, die sich alltäglich abspielen. Und das reicht dann eben von dem freundlich zugewandten [!] Ansprechen bis hin zu Ordnungswidrigkeitsverfahren und Platzverweis.

Journalistin: „Bedeutet das dann, dass dann irgendwann gesagt werden kann: Ach komm, der ist ja nun ganz brav. Dann lassen wir mal. Heißt das dann, wenn man ihn anspricht, wenn er was gemacht hat, da gibt es dann kein Vertun, das kriegt er?“

Polizeipräsident Kluwe: „Ich sag’s nochmal: Regelkonformes Verhalten. Das ist ganz ganz wichtig. Das kann man auch nur erreichen, dass man darauf aufmerksam macht, was nicht erlaubt. Wegschauen, Vorbeigehen geht nicht. Es geht um konsequentes Handeln.

Zusammengefasst und im Klartext: Die neue Sicherheitskooperation setzt auf das „Null-Toleranz-Prinzip“. Das ist die Absenkung der polizeilichen Eingriffsschwelle gegenüber Verhalten, welches noch gar keine Straftat oder Ordnungswidrigkeit darstellen muss. Diese beruht auf der sog. „Broken-Windows-Theorie“, auch wenn Polizeipräsident Kluwe dieses formell in Abrede zu stellen versuchte.

Und die Bedingungen für die beispielhaft genannten Verstöße des „Sitzens auf der Treppe mit Beeinträchtigung“ oder „Verschmutzung“ oder „Nichtbeachten von Anweisungen“ sind aus rechtlicher Sicht derart unbestimmt und schwammig formuliert, dass sie wie Gummiparagraphen wirken, die je nach Belieben und Interpretation der „Sicherheitskräfte“ missbräuchlich auf viele an sich harmlose und nicht als Ordnungswidrigkeit zu bewertende Alltagshandlungen angewendet werden können:

Auf diese Weise kann mitunter mehr gefühlte Unsicherheit und – schlimmer noch – ein freiheitseinschränkendes Verhalten in Ausübung von Selbst-Zensur die Folge sein. Ganz das Gegenteil dessen, was die Akteure zu beabsichtigen vorgeben.

Überhaupt: Wie wird mit der Durchsetzung der Regeln im Zuge von Versammlungen nach Artikel 8 GG verfahren?

 

Zusammenarbeit privater und öffentlicher „Sicherheitskräfte“ – über deren Zulässigkeit, Hintergründe und Auswirkungen

Völlig unhinterfragt blieb im Rahmen der Pressekonferenz die Ankündigung, dass es in Zukunft gemischte Streifengänge geben wird. Also beispielsweise ein hoheitlich befugter Polizeibeamter zusammen mit einem auf Geringlohnbasis beschäftigten Mitarbeiter der halb privatwirtschaftlich agierenden Protec GmbH, einem Tochterunternehmen der städtischen Üstra-Verkehrsbetriebe.

Wie geht es dem beruflich und finanziell deutlich schlechter gestellten Protec-Mitarbeiter dabei? Entstehen dadurch ggf. soziale oder zwischenmenschliche Spannungen, die sich auf die Arbeit der „Sicherheitskräfte“ auswirken können?

Oder: Inwiefern darf ein Protec-Mitarbeiter einem Polizisten bei der Anwendung von Gewalt z.B. bei Festnahmen behilflich sein? Darf er seinen Tonfa-Schlagstock oder sein mitgeführtes Pfefferspray einsetzen? Aus rechtlicher Sicht darf der Protec-Mitarbeiter das alles nicht. Doch wie sieht die Praxis aus? Kann man und sollte man praktisch verhindern, dass der Protec-Mitarbeiter zur Hilfe eilt und körperliche Gewalt anwendet?

Und dann das noch: Im Audiomitschnitt grob ab 24’30“ betont der Präsident der Polizeidirektion Hannover, dass Bundespolizisten selbstverständlich auch dort einschreiten würden, so formell die Bundespolizei zuständig wäre. Und anders herum.

Es stellt sich unweigerlich die Frage nach der rechtlichen Zulässigkeit einer beabsichtigten Aufweichung von Zuständigkeitsbereichen zwischen verschiedenen staatlichen Stellen.

Nicht infrage gestellt werden soll dabei, dass ein Polizeibeamter, der zufällig Augenzeuge einer Straftat wird dort selbstverständlich einschreitet. Wenn aber mittels der Sicherheitskooperation zur Methode erhoben werden sollte, dass Bundespolizisten auch für Landespolizisten Aufgaben übernehmen und auf Örtlichkeiten ihren Dienst ausüben sollen, für den sie eigentlich gar nicht zuständig sind (und andersherum), dann ist das in dieser Form sicherlich erst einmal unzulässig.

Da die genauen Inhalte der Kooperationsvereinbarung geheim gehalten werden, kann zu diesem Punkt nicht viel mehr gesagt werden …

 

Mediale Randnotiz: Kritikbefreiter Journalismus und Bevorzugung der Hausmedien des Madsack-Konzerns durch persönliche polizeiliche Vorabinformation

Die Pressekonferenz startete am Freitag, den 7.6.2019 um 14 Uhr und dauerte inklusive der Fragerunde deutlich mehr als eine Stunde. Anschließend war Gelegenheit für Einzelinterviews und Bildershooting.

Die HAZ schaltete ihren Beitrag zum Thema um 14:52 Uhr an diesem Tage frei, also noch während der laufenden PK. Das kann nur bedeuten, dass die HAZ im Vorfeld exklusiv informiert worden ist. Möglicherweise die einseitige Bevorzugung eines Mediums, dass sich tendentiell als Reproduktionsbetrieb für inhaltlich unhinterfragte Pressemitteilungen der Polizei darstellt und in den letzten Wochen bemerkenswert viele polizeifreundliche Beiträge geschaltet hat.

Auch bemerkenswert: Die HAZ änderte mindestens zwei mal den Inhalt ihres Beitrags in den folgenden zwei Tagen. Es ist für die Lesenden nicht nachvollziehbar, dass, geschweige denn welche Änderungen im Beitrag erfolgt sind, weil dies seitens der HAZ nicht dargestellt bzw. transparent gemacht wird?

Die eigenartig enge Zusammenarbeit von HAZ und Polizei ist in diesem Zusammenhang auch insbesondere deswegen kritikwürdig, weil sich die HAZ (neben der „BILD“) in besonderer Weise am Empörungsjournalismus zum Hauptbahnhof beteiligt hat. Wer den Hauptbahnhof Hannover öffentlich als „schlimmsten Bahnhof Deutschlands“ bezeichnet und im dazugehörigen Beitrag verunglimpft der trägt in erheblichen Maße zur Verschlechterung des Sicherheitsempfindens der Bevölkerung bei. Ein Eindruck, der im übrigen überhaupt nicht zur Anzahl und Art der Straftaten dort passt, der also falsch ist. Das sagt Herr Kluwe (ca. 53″) auf der PK. Der Polizeipräsident verschweigt dann aber leider die „Mittäterschaft“ von Medien wie HAZ und „BILD“. Warum eigentlich?

Die „BILD“ übernimmt aber auch hier erneut die Vorreiterrolle in Sachen Unsachlichkeit und Kritiklosigkeit. Das Blättchen schmückt die Kioske der Stadt am Folgetag der Pressekonferenz mit Bildern und dem Slogan „Bahnhof fährt aufs Sauber-Gleis“. Im „Bericht“ des Blatts heißt es in einer Zwischenüberschrift: „Gegen das Säufer-, Penner- und Junkie-Elend“. Journalismus ist das nicht.

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