Zeitzeichen, 11

victor-klemperer-cc-by-sa-bundesarchiv_bild_183-s90733-mod-freiheitsfooIn unserer Kategorie „Zeitzeichen“ rezitieren wir in unregelmäßigen Abständen und in ebenso unregelmäßigem Umfang Nachrichtenschnipsel oder Zitate, die wir als möglicherweise stellvertretende Beispiele für größere Entwicklungen und gesellschaftliche Symptome empfinden: als Zeitzeichen.

Wir behalten uns vor, dieses oder jenes kurz zu kommentieren oder zu bewerten, oder auch nicht. :)

 

Schöne neue Technikwelt – aus einem heise-Bericht vom 19.7.2018: Vodafone stattet E-Bikes des Herstellers Zemo mit einer intelligenten Diebstahlsicherung aus. Ab Oktober werden alle neuen Modelle der Marke mit einer fest im Rahmen integrierten Sim-Karte in den Handel kommen, teilte das Unternehmen gemeinsam mit der Zweirad-Einkaufs-Genossenschaft ZEG am Donnerstag mit. Die Fahrräder tauschen über das Mobilfunknetz von Vodafone rund um die Uhr Daten mit dem Besitzer aus und schlagen zum Beispiel Alarm, wenn ein Dieb mit dem Rad aus einem zuvor festgelegten Bereich flüchtet.“ Und wann werden unsere diebstahlgefährdeten Schuhe endlich derart verwanzt?

DLF-Kurznachricht vom 28.8.2018: „Die Gewaltausbrüche in Chemnitz haben eine breite politische Debatte über Rechtsextremismus, Rechtsstaatlichkeit in Deutschland und Selbstjustiz ausgelöst. In der sächsischen Stadt hatten rechte, rechtsextreme und linke Bündnisse nach der tödlichen Messerattacke auf einen 35-Jährigen erneut zu Demonstrationen und Kundgebungen aufgerufen. Mindestens sechs Menschen wurden verletzt. Die Polizei räumte Personalmangel ein. Der Generalsekretär der in Sachsen regierenden CDU, Dierks, sagte im Deutschlandfunk, es könne nicht sein, dass eine so schwere Gewalttat wie die, die am Samstag passiert sei, politisch instrumentalisiert werde. Oh! So ein Satz von einem CDU-Politiker? Das mit der politischen Instrumentalisierung schwerer Straftaten ist doch das, was CDU/CSU und andere konserverative und rechte Parteien „auszeichnet“, oder?

Aus einer DLF-Kurznachricht vom 27.9.2018: Nach Berichten über eine Spitzel-App der türkischen Polizei hat sich der Grünen-Politiker Özdemir empört geäußert. Spitzeltum habe in Deutschland nichts verloren. Das müssten Bundeskanzlerin Merkel und Bundespräsident Steinmeier dem türkischen Präsidenten Erdogan klarmachen, sagte Özdemir der Nachrichtenagentur AFP. Er bezog sich auf Medienberichte über eine kürzlich freigeschaltete Smartphone-App, mit der türkisch-stämmige Bürger in Deutschland Kritiker Erdogans denunzieren könnten.“ Ob Herr Özdemir auch gegen das Spitzeltum der deutschen Polizeien und Geheimdienste (euphemistisch als „V-Leute“ bzw. „Vertrauensleute“ bezeichnet) vorträgt?

An der Beschreibung seines Richter-Kandidaten Kavanaugh wird das rassistische Menschenbild des US-Präsidenten des Herrn Trump deutlich: „He is one of the highest quality human beings.“ (DLF-Audiobeitrag vom 27.9.2018)

Möglicherweise ein Fall von Realitäts- oder Geschmacksverwirrung? Der üstra-Aufsichtsratvorsitzende und Wirtschafts- und Verkehrsdezernent der Region Hannover Ulf-Birger Franz im hannoverschen „Regionaljournal“ der Ausgabe 2/2017 auf Seite 15: „‚Wenn Sie sich den Kröpcke oder die Karmarschstraße an der Markthalle heute anschauen‘, sagt Franz, ‚dann sehen Sie, wie ansprechend moderne Straßenräume sein können. So offen und einladend haben wir auch die Kurt-Schumacher-Straße gestaltet, so wird auch die Goethestraße werden.‘ Sprich: elegantes Pflaster. Grün. Hochwertige Fahrradbügel. Platz zum Flanieren. Franz nennt das ‚eine enorme Aufwertung des öffentlichen Straßenraums‘.“

Zur Lage der Gesellschaft – aus einer Analyse der „Generation Lustlos“ im DLF vom 10.10.2018: [Man muss] seit 2005 einen Anstieg von Depressionen um 76 Prozent im Segment der 18- und 25-Jährigen verzeichnen. Jeder sechste Studierende – eine halbe Million – quält sich mit Gefühlen von Hoffnungs- und Lustlosigkeit, Resignation und innerer Leere. Auch 56 Prozent der Auszubildenden leiden unter körperlichen und 46 Prozent unter seelischen Beschwerden.“

Versuch der GdP Niedersachsen im Rahmen der Anhörung zum geplanten neuen Polizeigesetz in Niedersachsen NPOG dessen Gesetzestext an einer Stelle euphemistisch auszuschmücken: „Problematisch erscheint (…) die Verwendung des Begriffes Schlagstock im Gesetzentwurf. Es wird angeregt, die polizeiüblichen Bezeichnungen (EMS, ITES) zu verwenden.“ [Anmerkung der Redaktion: Bei Wikipedia findet man zu keinem der beiden Abkürzungen Hinweise auf die Bedeutung des Polizei-Bürokraten-Jargons. Bei EMS handelt es sich wohl um „Einsatz-Mehrzweck-Stock“ und bei ITES mutmasslicherweise um „Integrierbarer (?) Teleskop-Einsatz-Stock“. Soviel zur von der Polizeigewerkschaft geförderten Verständlichkeit von Gesetzestexten.] Oder im Wortlaut des mündlichen Vortrags des GdP-Vorsitzenden Dietmar Schilff vom 9.8.2018 im Innenausschuss des Niedersächsischen Landtags: „Problematisch erscheint allerdings die Verwendung des Begriffes Schlagstock im Gesetzentwurf. Bei der Polizei wenden wir den Begriff Schlagstock eigentlich nicht mehr an; wir reden von einem Einsatzmehrzweckstock oder einem Teleskopierbaren Einsatzstock.“

Der Wirtschafts- und Atlantikbrückenfreund Friedrich Merz stellt im Rahmen seiner CDU-Vorsitz-Bewerbungs-PR-Tour am 21.11.2018 nicht nur das fundamentale Grundrecht auf Asyl, also den Schutz für verfolgte Menschen in Frage, er lässt auch sonst tief in sein Verständnis zwischen Individuuen und Staatsgebilde blicken: „Merz hat sich in Seebach zudem gegen eine generelle Beitragsfreiheit von Kitas ausgesprochen. (…) Zudem sprach sich der Kandidat für den CDU-Vorsitz für Wahlfreiheit der Eltern aus, ob sie ihre Kinder in eine Kita schicken. ‚Dieser Staat hat nicht das Recht, den Eltern vorzuschreiben, wie die Kinder in den ersten Lebensjahren leben.'“ Ach – und danach dann aber schon, oder wie?

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