Der NDR berichtete am 26.10.2018 über eine Stellungnahme des Gesetzgebungs- und Beratungsdienst im Niedersächsischen Landtag (GBD) zum SPD-CDU-Regierungsentwurf für ein neues Landes-Polizeigesetz („NPOG“).
Zurecht betitelt der NDR seinen Beitrag mit „Landtagsjuristen: Polizeigesetz höchst bedenklich“, denn der GBD übt mehrfach harsche bis vernichtende Kritik am Entwurf der niedersächsischen Groko. Da ist mehrfach die Rede von „verfassungswidriger“ Gesetzgebung oder „verfassungsrechtlich sehr problematischen“ Regelungen.
Leider hat der NDR versäumt, das ihm vorliegende Dokument der Öffentlichkeit im Sinne einer offenen und fairen Diskussion zur Verfügung zu stellen. Das holen wir hiermit nach und veröffentlichen das Dokument aus dem niedersächsischen Parlamentsbetrieb, das die Landesregierung offensichtlich nicht gerne veröffentlicht sieht!
In dem 64 Seiten langen Dokument bezieht sich der GBD lediglich auf die Paragraphen 1 bis 29a des NPOG-Entwurfs. Es ist deswegen anzunehmen, dass es sich dabei also nur um einen ersten Teil der ausführlichen, aus juristischer Sicht formulierter Kritik am Polizeigesetzentwurf handelt und weitere Detailkritik folgen wird.
Das Dokument (laut Original-Metadaten vom Morgen des 26.10.2018 stammend) ist trotz seiner Länge lesenswert, offenbart es doch die bedenkliche Einstellung des Niedersächsischen Innenministeriums, die fundierte juristische Bedenken nur teilweise ernst nimmt, sich vielmehr zum Teil störrisch, zum Teil verschlimmbessernd gegen die Ausräumung verfassungsrechtlicher Bedenken widersetzt. In vielen Fällen hat das Innenministerium bereits eingelenkt und der juristischen Expertise (die sich dennoch längst nicht in allen Punkten mit bürger- und menschenrechtlichen Anforderungen und Vorstellungen der freiheitsfoo-Stellungnahme decken!) entsprechend Änderungen im Gesetzentwurf zugestimmt. In anderen Fällen will es sich darum aber nicht scheren, was vermutlich dem Druck der Populisten aus fremden und eigenen Reihen geschuldet ist.
Wir präsentieren weiterhin nachfolgend eine Zusammenfassung der Vorlage des GBD, die selbstverständlich nichts anderes als unvollständig und lückenhaft sein kann. Sie soll aber der Orientierung und der Übersicht dienen und beschränkt sich deswegen auf besonders krasse Kritik der Juristen im Landtag Niedersachsen:
§1 – Definition der „Straftat von erheblicher Bedeutung“: Die Einfügung einiger neuer Straftaten „ist verfassungsrechtlich nicht unproblematisch“.
§1 – Definition der „terroristischen Straftat“: „Diese Erweiterung des Begriffs … halten wir … für verfassungswidrig und überdies in sich widersprüchlich …“
§12 (6) – Verdachtsunabhängige Kontrollen: „Dazu hat der GBD in der Vergangenheit bereits verfassungsrechtliche Bedenken in Hinblick auf den Bestimmtheitsgrundsatz geäußert.“
§12a (1) – Gefährderansprache und -anschreiben: „Es ist zweifelhaft, ob die wörtliche Übernahme aus dem BKAG-Urteil dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebot entspricht … Im Hinblick auf den aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleiteten Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist aus Sicht des GBD zudem fraglich, ob … die vom BVerfG … entwickelten Maßstäbe … übertragen werden können.“
§16a (1) – Meldeauflage: „Die Absenkung der Eingriffsschwelle ist aber insbesondere im Hinblick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz problematisch … Uns erschließt sich nicht, warum die Verwaltungsbehörden zur Verhütung sämtlicher Straftaten außer der terroristischen Straftaten tätig werden dürfen.“
§16a (2) – Meldeauflage: „Wir halten die mit Absatz 2 des Entwurfs geplante Erweiterung der Meldeauflage auf terroristische „Gefährder“ aus verschiedenen Gründen für verfassungsrechtlich sehr problematisch und empfehlen deshalb die Streichung.“
§17 – Aufenthaltsverbot: „Aus Sicht des GBD findet der Hinweis auf die Kurzfristigkeit der Maßnahmen nach § 17 Abs. 4 g. F. weder eine Stütze im Wortlaut der Vorschrift noch in der Rechtsprechung …“
§17a (2) – Aufenthaltsverbot bei häuslicher Gewalt: „… begegnet die Unterrichtungsregelung in Satz 2 aus Sicht des GBD verfassungsrechtlichen Bedenken.“
§17a (3) – Aufenthaltsverbot bei häuslicher Gewalt: „Es ist aus unserer Sicht nicht sicher, ob das Land über die Gesetzgebungskompetenz verfügt …“
§17b (1) – Aufenthaltsvorgabe und Kontaktverbot in besonderen Fällen: „Die Aufenthaltsvorgabe gemäß Absatz 1 des Entwurfs … begegnet aus verschiedenen Gründen schwerwiegenden verfassungsrechtlichen Bedenken und ist aus unserer Sicht teilweise verfassungswidrig.“
§17b (2) – Aufenthaltsvorgabe und Kontaktverbot in besonderen Fällen: „Das in Absatz 2 des Entwurfs enthaltene Kontaktverbot … unterliegt … denselben erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken wie Absatz 1 Satz 1 des Entwurfs“
§17b (3) – Aufenthaltsvorgabe und Kontaktverbot in besonderen Fällen: „Der Verzicht auf den in § 55 Abs. 3 und 4 BKAG enthaltenen Richtervorbehalt begründet ein gegenüber dem BKAG erhöhtes verfassungsrechtliches Risiko …“
§17c (1) – Elektronische Aufenthaltsüberwachung: „Die in Absatz 1 des Entwurfs enthaltene Eingriffsschwelle … ist in mehrfacher Hinsicht verfassungsrechtlich problematisch …“
§17c (3) – Elektronische Aufenthaltsüberwachung: „Es bleibt offen, ob derzeit die technische Möglichkeit besteht, sicherzustellen, dass innerhalb der Wohnung der betroffenen Person keine über den Umstand ihrer Anwesenheit hinausgehenden Aufenthaltsdaten erhoben werden. Sollte diese Möglichkeit nicht bestehen, wäre das verfassungsrechtlich problematisch … Der Entwurf enthält keine Verpflichtung zur besonderen Sicherung und zur Löschung der Daten nach zwei Monaten … was das verfassungsrechtliche Risiko der Regelung wiederum erhöht …Der Entwurf enthält auch keine Verpflichtung zur automatisierten Datenverarbeitung … [und] keine Verpflichtung zur externen Datenschutzkontrolle, was aus Sicht des GBD … wiederum zu einer Erhöhung des verfassungsrechtlichen Risikos führt.“
§18 (1) – Gewahrsam: „Wir halten die mit dem Entwurf geplante Erweiterung … aus verschiedenen Gründen für verfassungsrechtlich sehr problematisch …“
§20 (4) – Videoüberwachung von Gefangenen: „In Satz 5 sollen zur Vermeidung einer Schlechterstellung die in den genannten Regelungen enthaltenen Einschränkungen zur Wahrung des Schamgefühls aufgenommen werden.“
§21 – Dauer der Freiheitsentziehung: „Durch die Neuregelung wird … die mögliche Höchstdauer des Gewahrsams in den Fällen des sog. Unterbindungsgewahrsams gegenüber der bisherigen Rechtslage von 10 auf 30 Tage erweitert. Schon diese erhebliche Erweiterung halten wir in der vorgesehenen Form für zumindest verfassungsrechtlich bedenklich. … Die für die zweite Fallgruppe der Nummer 1 des Entwurfs … vorgesehene Gewahrsamshöchstdauer halten wir für verfassungswidrig …“
§21 – Dauer der Freiheitsentziehung: „Der Gesetzentwurf enthält keine Begründung für die „geringfügige Erweiterung“ … der Gewahrsamshöchstdauer von vier auf sechs Tage … Eine entsprechende Begründung wäre aber zur Vermeidung eines Verstoßes gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz erforderlich.“
§21 – Dauer der Freiheitsentziehung: „Da schon der 30-tägige Gewahrsam aus unserer Sicht in Bezug auf den Unterbindungsgewahrsam … verfassungsrechtlich bedenklich und im Hinblick auf den Erzwingungsgewahrsam verfassungswidrig … ist …, gilt dies erst recht für die Möglichkeit, diese Anordnung noch zweimal bis zu einer Dauer von insgesamt 74 Tagen zu verlängern.“
§26 – Sicherstellung: „In § 60 BKAG n. F. ist eine vergleichbare Befugnis zur Durchsetzung des Kontaktverbots nicht enthalten. Die Befugnis wirft hinsichtlich ihrer Ausführbarkeit eine Vielzahl von Fragen auf …Vor diesem Hintergrund empfehlen GBD und MI, um das mit der Regelung gegenüber dem BKAG erhöhte verfassungsrechtliche Risiko zu vermeiden, die Regelung zu streichen.“
§29a – Sicherung von Forderungen: „Zu § 29 a des Entwurfs hat das MJ mitgeteilt, dass die – aus unserer Sicht in verschiedener Hinsicht problematische – Regelung gestrichen werden solle.“