Zur Veranschaulichung und Einführung eine kleine Geschichte:
Irgendwo in Niedersachsen: Eine Demonstration gegen den Aufmarsch rechter oder populistischer Gruppen oder Parteien.
Ein Teil dieser Gegendemo versucht, den Aufmarsch der Rechten zu blockieren, einige Protestierende setzen sich dazu an einer Stelle derer Marschroute auf den Weg und weigern sich aufzustehen.
Die Polizei fordert zunächst verbal zum Verlassen der Straße auf, wird dann aber handgreiflich und versucht z.B. mittels Schmerzgriffe, mittels des Verdrehens von Armen und Gelenken oder mittels Faustschläge die Gegendemonstranten zum Aufstehen zu zwingen (das alles wird euphemistisch als „unmittelbarer Zwang“ bezeichnet). Es kommt zu Verteidigungshaltungen der von der Polizeigewalt Betroffenen – diesen wird deswegen später wahlweise
- „Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte“ (das neue Polizisten-Sonderstrafrecht nach § 113 StGB),
- ein „tätlicher Angriff“ auf die Polizisten (§ 114 StGB, Mindeststrafe 3 Monate Gefängnis),
- „Landfriedensbruch“ (§ 125 StGB) oder gar
- „schwerer Landfriedensbruch“ (§ 125a StGB, mindestens 6 Monate Gefängnis) vorgeworfen.
Um alle an der Blockade beteiligten Demonstranten identifizieren zu können, fordert die Polizei noch während der Demo oder (ggf. mit „Rücksicht auf die Versammlungsfreiheit“) nach derer formellen Beendigung alle Demonstrierenden mit Verweis auf das neue Niedersächsische Polizeigesetz NPOG dazu auf, ihre Smartphones an die Polizei auszuhändigen, um die darin enthalten Foto- und Filmdaten abgreifen zu können. Dazu werden die Demonstranten eingekesselt und diese erst nach Abgabe ihrer Geräte sowie nach der Identifizierung der an der Demo Betreiligten freigelassen. Wer sich weigert, wird festgenommen bzw. festgehalten – oder es wird erneut „unmittelbarer Zwang“ ausgeübt.
Diejenigen, die ihre Smartphones ausgehändigt haben, erhalten diese erst viele Monate später von der Polizei zurück. Eine frühere Auswertung der Inhalte der Smartphones sei aus personellen Gründen leider nicht möglich gewesen, teilt die Polizei entschuldigend mit.
Eine fiktive und pointierte Geschichte, zugegeben. Aber im Sinne des geplanten neuen Polizeigesetzes für Niedersachsen („NPOG“) keine absurde oder utopische, denn der dort neu verankerte § 32a NPOG-E („Einsichtnahme und Herausgabe von Bild- und Tonaufzeichnungen von Stellen außerhalb des öffentlichen Bereichs“) würde das so oder zumindest so ähnlich ermöglichen und als rechtmäßig bewerten lassen.
Wesentlich ist der Absatz 1 des § 32a NPOG-E, der wie folgt lautet:
„Zur Abwehr einer Gefahr für die Sicherheit oder den Bestand des Bundes oder eines Landes sowie für Leib, Leben oder Freiheit einer Person, kann die Polizei im Einzelfall von Stellen außerhalb des öffentlichen Bereichs die Einsichtnahme und Herausgabe von Bild- und Tonaufzeichnungen öffentlich zugänglicher Räume verlangen, wenn die Gefahr auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre.“
Die darin enthaltene Bedingung zur Anwendung dieses Polizeigesetz-Paragraphen kann in der gelebten Praxis zu einer recht ausgedehnten Befugnis der Polizei führen, Bild- und Tonaufzeichnungen abzuverlangen bzw. abzugreifen. Wer dabei zunächst nur an den Zugriff auf Daten privat betriebener Überwachungskameras denkt, denkt zu kurz. Das klar zu machen sollte die einführende Kurzgeschichte dienen.
Die Gesetzesbegründung zum § 32a NPOG-E (auf Seite 58 der Landtagsdrucksache 18/850) betont noch einmal ausdrücklich, dass die Durchsetzung der Erlangung von Bild- und Tonaufnahmen „ggfs. mit Zwangswmitteln durchgesetzt werden“ darf und dass es für das alles keinen Richtervorbehalt gibt.
Im Rahmen der Anhörungen des Innenausschusses zum NPOG hat neben dem freiheitsfoo lediglich noch die Landesdatenschutzbeauftragte Kritik am § 32a NPOG-E geäußert. Diese schreibt in ihrer schriftlichen Stellungnahme (auf Seite 24) unter anderem:
„Die Notwendigkeit für eine derartige Regelung (…) ist nicht erkennbar. Die Ausführungen in der Gesetzesbegründung geben keinen Aufschluss über die Gesetzgebungsmotive. Die Eingriffsintensität dieser Maßnahme ist erheblich. (…) Vom Regelungsgehalt und der Zielsetzung ist § 32a vergleichbar mit einer Beschlagnahme im Rahmen eines Strafverfahrens. Diese steht jedoch grundsätzlich unter dem Vorbehalt der Anordnung durch das Gericht (…) Es sprechen also gewichtige Gründe daür, eine Anordnung nach § 32a Abs. 2 nicht nur unter den Vorbehalt der Behördenleitung zu stellen, sondern unter einen Richtervorbehalt.„
Deutlicher als die Landesdatenschutzbeauftragte fordert das freiheitsfoo in seiner schriftlichen Stellungnahme an den Innenausschuss (auf Seite 18) die vollständige Streichung des § 32a NPOG.