Neben der umstrittenen, und einst von der Bundeskanzlerin im Wahlkampf 2013 verneinten PKW-Maut gibt es in Deutschland seit Anfang 2005 das System der LKW-Maut, das eine technische Erfassung aller durch die Mautbrücken-durchfahrenen KFZ-Kennzeichen beinhaltet.
Ab dem 1.7.2018 wird die Mautpflicht für Lastkraftwagen auf nun alle Bundesstraßen ausgedehnt. Damit verbunden ist die Errichtung und Inbetriebnahme von bundesweit 600 Stück hochmodernen Überwachungssäulen, die faktisch die gleiche Aufgaben wie die Kontrollbrücken auf den Bundesautobahnen erfüllen und sich derzeit im Test-Stadium befinden.
Wir haben dazu recherchiert und eines der derzeit 16 existierenden Überwachungsgeräte aufgesucht und dokumentiert. Auch wurde – ohne merkbare Beteiligung der Öffentlichkeit – die Technik der Autobahn-Mautbrücken aktualisiert. Nachfolgend die Ergebnisse unserer Nachfragen, aufgeteilt in folgende Kapitel:
1. Wer oder was ist Toll Collect?
2. Technik der LKW-Maut auf Autobahnen
3. Technik der LKW-Maut auf Bundesstraßen
4. Bedenken und Kritik
Im Detail:
Wer oder was ist Toll Collect?
Die Toll Collect GmbH ist aufgrund von Verträgen mit dem Bundesverkehrsministerium zuständig für die Organisation, Einholung und Überwachung der LKW-Maut-Gebühr in Deutschland. Das Unternehmen gibt es seit 2002 und gehört zu je 45% der Deutschen Telekom und dem Daimler-Konzern, die restlichen 10% hält der französische Baukonzern Vinci. So kommen übrigens auch drei der vier Geschäftsführer von der Telekom bzw. von Daimler.
Zu Beginn haperte es mit der Technik. Sollte das Gesamt-System doch eigentlich am 31.8.2003 in Regelbetieb gehen, gelang der Start erst mit 16 Monaten Verzögerung und das auch nur in abgespeckter Form. Mit dem vollumfänglichen Regelbetrieb konnte man sogar erst mit dem 1.1.2006 beginnen, also 40 Monate nach dem eigentlichen Starttermin. Aus dieser Verzögerung resultierte ein Rechtsstreit zwischen Deutschland und dem Toll Collect Konsortium. Will sich die GmbH zur Frage der Rechtsstreitkosten auch in Schweigen hüllen so konnte man auf der Hauptversammlung der Daimler AG 2016
erfahren, dass es um ein Gesamt-Klagevolumen von 7,4 Milliarden Euro geht. Bemerkenswert, wenn hier auch nur als Randnotiz, noch der Fakt, dass der Daimler-Konzern zumindest bis 2013 keinerlei Rückstellungen zu diesem schwelenden Streit bereitgestellt hatte. Das ist ein äußerst ungewöhnlicher Vorgang und deutet auf fragwürdige Verstrickugen oder heimliche Verabredungen zwischen den Konzernen und der Bundesregierung bzw. dem Bundesverkehrsministerium hin.
Auch sonst kam Toll Collect besonders in der letzten Zeit nicht zur Ruhe: Umstrittene Geheim-Haltung der Verträge zwischen Toll Collect und der Bundesregierung von Anfang an, die Ende 2014 mit dem CSU-Bundesverkehrsminister Dobrindt im Geheimen verhandelte 3jährige Vertragsverlängerung mit einer Zusage von einer halben Milliarde Euro für Toll Collect (der „SPIEGEL“ berichtete darüber mit der Überschrift „Teure Geschenke“), Strafermittlungen gegen Toll Collect im Mai dieses Jahres und Streit um falsche oder fehlerhafte Abrechungen bzw. einer zu hohen Entlohnung private Autobahn-Betreiber durch das Konsortium im September 2017.
Zudem deutete der Daimler-Konzern im August 2017 an, sich aus dem Maut-Betriebs-Geschäft zurückziehen zu wollen, während sich andere Konzerne (z.B. IBM und Continental) auf machen, um sich um die Fortführung des Maut-Geschäfts zu bewerben.
Immer wieder macht bei Diskussionen und Gesprächen die Ansicht die Runde, dass die mittels LKW-Maut-Technik erfassten Daten auch zur Strafverfolgung oder durch Geheimdienste (mit oder ohne Wissen der Toll Collect!) genützt oder missbraucht werden würden. Dafür gibt es bis heute keinen Beleg. Toll Collect selber beharrt darauf, niemals Daten in solchen Zusammenhängen weitergegeben zu haben.
Technik der LKW-Maut auf Autobahnen
Es gibt 300 Autobahnbrücken in Deutschland, auf denen umfangreiche Erfassungs- und Überwachungstechnik versammelt ist. Jedes diese Brücke durchfahrende Fahrzeug wird registriert, sein KFZ-Kennzeichen fotografiert und automatisiert ausgewertet, das Profil des Autos von der Seite ermittelt, um feststellen zu können, ob es sich um einen mautpflichtigen LKW handelt oder nicht. Zudem nimmt die Mautbrückentechnik Kontakt mit den in den LKW’s inzwischen regulär verbauten „On-Board-Units (OBU)“ auf, früher per Infrarot-Datenübertragung, nun nach der Modernisierung der Brücken via Mikrowellen-Kommunikation.
Toll Collect legt besonders großen Wert auf die Feststellung/Behauptung, dass es sich bei den 300 Autobahnbrücken um Kontrollbrücken, nicht aber um Überwachungsanlagen handele.
Wo sich die 300 „Mautkontrollbrücken“ der Bundesautobahnen befinden, darüber möchte Toll Collect keine Auskunft erteilen, eine Übersicht gibt es von uns aber dennoch rechts im Bild.
Was uns bei unserer Recherche noch als besonders interessant auffiel:
- Falls die Kontrollbrückentechnik der Meinung ist, dass dort gerade ein mautpflichtiges Fahrzeug durchgefahren ist, dass keine OBU eingebaut und eingeschaltet hatte, mit dem Kontakt aufgenommen werden konnte, führt es einen Online-Abgleich der erfassten KFZ-Kennzeichen-Daten mit dem Toll-Collect-Rechenzentrum durch. Die Brücken sind also „gut vernetzt“.
- Toll Collect arbeitet darüber hinaus mit „portablen Kontrollgeräten“, also mit mobilen KFZ-Kennzeichen und OBU-Kommunikationsgeräten ein.
- Im Rahmen „mobiler Kontrollen“ nehmen Kontrollfahrzeuge während des Fahrens über Infrarot- oder Mikrowellen-Datenverbindung Kontakt mit den OBU’s der LKW’s auf, um die dort ausgelesenen Daten per Mobilfunk mit der Toll-Collect-Rechenzentrale abzugleichen. Es wäre eine spannende Frage, inwiefern auch Dritten unzulässigerweise der Abgriff sensibler Daten aus den OBU’s möglich ist oder gar tatsächlich stattfindet …
- Toll Collect arbeitet eng mit dem Bundesamt für für Güterverkehr (BAG) zusammen und tauscht Daten miteinander aus.
- Toll Collect hat sich im Rahmen der Vertragsverlängerung 2014 einige Vorteile eingehandelt. So schreibt Detlef Borchers am 8.12.2014 auf heise.de:
„So wird [Toll Collect] von der Informationspflicht befreit, wenn es Software-Updates oder Änderungen in den On-Board-Units (OBUs) durchführt. Sollte der Bund das System in Eigenregie übernehmen, erhält er für die OBUs und die Mautkontrollbrücken, die über den deutschen Autobahnen hängen, nur einfache Nutzungsrechte. Alle weiteren Rechte wie die der internationalen Verwertung oder der Patentrechte, verbleiben bei den Anteilseignern von Toll Collect.“
Ein guter Deal! Der Daimler-Konzern gibt sich auf Nachfrage dazu schmallippig und verweigert mit dem üblichen Verweis auf „Vertraulichkeit“ jegliche Auskunft. - In die 2014 nicht-öffentliche verhandelte Vertragsverlängerung wurde noch ein Bonbon für Toll Collect eingewickelt: War die jährliche Aufwandsentschädigung, die die Toll Collect GmbH dem Bund in Rechnung stellen durfte, bis dahin auf 400 Millionen Euro limitiert, wurde diese Grenze nun aufgehoben, was die jährlichen Kosten formell grenzenlos werden lassen kann. Das ist fast so gut wie ein jährlicher Blankoscheck für Toll Collect.
Technik der LKW-Maut auf Bundesstraßen
Zunächst galt die Mautpflicht für LKW’s nur auf Autobahnen, wurde dann aber schrittweise auch auf Teile des Bundesstraßen-Netzes ausgedehnt: Ab 1.1.2007 waren Teile der B4, B9 und B75 LKW-mautpflichtig. Am 1.1.2015 wurde das mautpflichtige Bundesstraßen-Netz auf 1.100 km Gesamtlänge ausgedehnt und ab 1.7.2018 sollen sämtliche Bundesstraßen Deutschlands LKW-mautpflichtig sein, wofür Toll Collect in Kürze mit einer Reihe von Pressekonferenzen positive Öffentlichkeitsarbeit zu machen versuchen wird.
Im Zuge dieser neuen Ausdehnung der LKW-Mautpflicht auf ca. 40.000 km Bundesstraßen will Toll Collect bundesweit 600 Überwachungs- bzw. (im Toll-Collect-Deutsch) Kontrollanlagen errichten. Derzeit gibt es 16 Probeexemplare dazu, je Bundesland eines. Bilder eines dieser Prototypen gibt es auf unserer Wiki-Seite zum Thema.
Wir haben hierzu bei Toll Collect nachgefragt und nachfolgend stichpunktartig aufgelistet, was uns bei der Beantwortung der Fragen besonders auffiel:
- Toll Collect möchte nicht veröffentlicht wissen, welches die genauen Standorte der 600 KFZ-Kennzeichen-Scanner- und Maut-Kontroll-Säulen sind.
- Ebenfalls möchte Toll Collect nichts dazu sagen, wie viele der geplanten 600 Anlagen derzeit schon aufgebaut worden sind.
- Auf die Frage, inwiefern sich die Technik der Überwachungssäulen bereits als funktionsfähig und praxistauglich erwiesen hat, antwortet Toll Collect kryptisch:
„Wir gehen davon aus, dass die Kontrollsäulen anforderungsgemäß funktionieren werden.“
Daraus lässt sich schlussfolgern, dass es derzeit noch technische Probleme oder Entwicklungsbedarf gibt. Zur Erinnerung: Es sind noch gut acht Monate, bis alle Anlagen stehen und in Betrieb genommen sein müssen. - Wie teuer eine einzelne Überwachungssäule ist, wird nicht verraten.
- Die Säulen überwachen nur eine Fahrtrichtung, sollen dafür aber bis zu zwei Fahrspuren in diese Richtung effektiv überwachen können. Wie das Fotografieren von KFZ-Kennzeichen z.B. bei etwa gleich schnell (bzw. winkelgeschwindigkeits gleich schnellen) nebeneinander fahrenden LKW’s möglich sein soll, bleibt ein Geheimnis der Toll Collect.
Von Anfang an ihres Bestehens glänzt die Toll Collect GmbH durch Intransparenz. Und das, obwohl sie seitens des Staates sogar hoheitliche Aufgaben übertragen bekommen hat.
Zwar hat uns die Toll Collect Pressestelle eine Reihe von Fragen beantwortet, aber dort, wo es spannend wurde, verwies man uns bei unseren Anfragen der letzten Jahre stets „auf die Gesellschafter“. Warum die GmbH zu den Sie direkt betreffenden Fragen keine Auskunft erteilen möchte, erschließt sich uns nicht. Und dort, wo man sich tatsächlich an einen der Haupteigentümer gewendet hat, stieß man erneut auf eine Mauer des Schweigens. Begründung der Nichtauskunft hier: „Vertraulichkeit“.
Gut ist, dass die Toll Collect in der Außendarstellung sich dem vielfachen Verlangen populistisch agierender Parteipolitiker zur Wehr setzt und (nach eigenen Angaben) keinerlei Daten an Polizeien, Staatsanwaltschaften oder Geheimdienste gegeben haben will.
Zugleich bleibt die Behauptung der Toll Collect zumindest fragwürdig, dass die Daten der Mautbrücken an keine Dritten geraten würden. Die vielen aufgezählten und praktisch genutzten Wege der Datenübertragungen (Kabel, Infrarot, Mikrowelle, Mobilfunk) werfen die Frage nach der Wirksamkeit des Schutzes der darüber übertragenen Daten gegen Abgriff oder Manipulation auf. Wie sicher sind die – auch wenn das Toll Collect nicht wirklich interessieren/berühren dürfte – die OBU’s gegen unerlaubten Datenabgriff gesichert? Und wie präzise arbeiten die KFZ-Kennzeichen-Scanner der Überwachungsbrücken und -säulen? Das alles sind offene Fragen, die unseres Wissens nach in der Öffentlichkeit noch gar nicht diskutiert oder behandelt worden sind.
Sicher ist: Alleine die hier schon beschriebene LKW-Maut-Infrastruktur zur Registrierung von Kraftfahrzeugen bietet ein großes, riskantes Potential zum schlagartigen Ausbau zur großflächigen Überwachung des Straßenverkehrs auf Autobahnen und Bundesstraßen – an rund 900 Stellen wird rund um die Uhr lückenlos jedes durch- bzw. vorbeifahrende Fahrzeug erfasst. Und dabei ist von dem geplanten Ausbau zum PKW-Maut-System noch gar nicht die Rede.
Die Chancen, dass eine so umfassende Überwachungs-Infrastruktur eines Tages doch nicht „nur“ zur Abrechnung von Mautgebühren sondern auch weit darüber hinaus genutzt wird, liegen angesichts der derzeitigen politischen, von geschürten Ängsten geprägten Stimmungslage gar nicht so schlecht …