Cracken von Flüchtlings-Handys, Abfragen von PINs und PUKs – Was Ausländerbehörden jetzt schon dürfen und tun

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) soll nach willen der derzeitigen Bundesregierung das Recht erhalten, Handys und Smartphones sowie sämtliche weiteren „Datenträger“ (auch „räumlich getrennte“) von Flüchtlingen auch gegen deren Willen ausgehändigt zu bekommen und diese zu durchsuchen, ja sogar zu cracken, falls der Zugang zu den Daten nicht ohne weiteres möglich sein sollte.

Dieses Gesetzesvorhaben wurde nicht öffentlich behandelt sondern erst durch Medienberichte am 20.2.2017 bekannt. Doch nur zwei Tage später, am 22.2.2017 hat die Bundesregierung Fakten geschaffen und einen dazugehörigen Gesetzentwurf auf den Weg gebracht.

In der dadurch hitzig und kurzatmig geführten Diskussion zum Thema meldete sich am frühen Morgen des 22.2.2017 der Kanzleramtsminister Altmaier zu Wort und sagte sinngemäß, dass ihm die Aufregung über das alles unverständlich sei, denn die Ausländerbehörden dürften das alles doch schon längst. Es ginge lediglich um eine Ausweitung der Befugnisse auch auf das BAMF.

Das Bundesinnenministerium (BMI) verwies uns auf Nachfrage auf die dazugehörige Rechtsgrundlage im §48 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG). Beim Nachsehen findet sich dort sogar noch ein weiterer bemerkenswerter Paragraph, nämlich der §48a, der die Anbieter von Mobiltelefon- und Internetdiensten dazu zwingen kann, Zugangsdaten wie z.B. PIN- und PUK-Nummern oder auch Passwörter und Passphrases für Cloud-Daten oder verschlüsselte Datenbereiche der betroffenen Menschen gegen deren Willen an die Behörden auszuhändigen.

Diese Gesetzeslage und deren Entstehungsgeschichte soll hier kurz beleuchtet werden:

 

Das Aufenthaltsgesetz ist seit dem 1.1.2005 in Kraft und ist die Fortführung des Ausländergesetzes, das zum gleichen Zeitpunkt außer Kraft gesetzt worden ist. Die hier im einzelnen besprochenen Befugnisse der Ausländerbehörde zur Auswertung von Mobiltelefonen, Smartphones, Computern, Datenträgern und Online-Speichern von Ausländern ist jedoch erst mit einer Gesetzesänderung wirksam zum 1.8.2015 eingefügt worden.

Die Paragraphen 48 und 48a sollen in dieser Ausführung zur Anwendung kommen, wenn ein Ausländer seine Identität nicht (z.B. mittels Ausweisdokument) nachweisen will oder kann. Es trifft also sowohl Ausländer mit mutmaßlich betrügerischen Absichten als auch dahingehend unschuldige Flüchtlinge und Ausländer, die aus plausiblen anderen Gründen nicht in für deutsche Behörden und Bürokratien ausreichendem Maße nachweisen können, woher sie stammen und wer sie sind.

Die beiden Paragraphen im Wortlaut ausschnittsweise zitiert:

§48 AufenthG

(3) Besitzt der Ausländer keinen gültigen Pass oder Passersatz, ist er verpflichtet, an der Beschaffung des Identitätspapiers mitzuwirken sowie alle (…) Datenträger, die für die Feststellung seiner Identität und Staatsangehörigkeit und für die Feststellung und Geltendmachung einer Rückführungsmöglichkeit in einen anderen Staat von Bedeutung sein können und in deren Besitz er ist, den mit der Ausführung dieses Gesetzes betrauten Behörden auf Verlangen vorzulegen, auszuhändigen und zu überlassen. Kommt der Ausländer seiner Verpflichtung nicht nach und bestehen tatsächliche Anhaltspunkte, dass er im Besitz solcher Unterlagen oder Datenträger ist, können er und die von ihm mitgeführten Sachen durchsucht werden. Der Ausländer hat die Maßnahme zu dulden.

(3a) Die Auswertung von Datenträgern ist nur zulässig, soweit dies für die Feststellung der Identität und Staatsangehörigkeit des Ausländers und für die Feststellung und Geltendmachung einer Rückführungsmöglichkeit in einen anderen Staat (…) erforderlich ist und der Zweck der Maßnahme nicht durch mildere Mittel erreicht werden kann. Liegen tatsächliche Anhaltspunkte für die Annahme vor, dass durch die Auswertung von Datenträgern allein [!] Erkenntnisse aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung erlangt würden, ist die Maßnahme unzulässig. Der Ausländer hat die notwendigen Zugangsdaten für eine zulässige Auswertung von Datenträgern zur Verfügung zu stellen. Die Datenträger dürfen nur von einem Bediensteten ausgewertet werden, der die Befähigung zum Richteramt hat. Erkenntnisse aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung, die durch die Auswertung von Datenträgern erlangt werden, dürfen nicht verwertet werden. Aufzeichnungen hierüber sind unverzüglich zu löschen. Die Tatsache ihrer Erlangung und Löschung ist aktenkundig zu machen. Sind die durch die Auswertung der Datenträger erlangten personenbezogenen Daten für die Zwecke nach Satz 1 nicht mehr erforderlich, sind sie unverzüglich zu löschen.

§48a AufenthG

1) Soweit der Ausländer die notwendigen Zugangsdaten für die Auswertung von Endgeräten, die er für telekommunikative Zwecke eingesetzt hat, nicht zur Verfügung stellt, darf von demjenigen, der geschäftsmäßig Telekommunikationsdienste erbringt oder daran mitwirkt, Auskunft über die Daten, mittels derer der Zugriff auf Endgeräte oder auf Speichereinrichtungen, die in diesen Endgeräten oder hiervon räumlich getrennt eingesetzt werden, geschützt wird (§ 113 Absatz 1 Satz 2 des Telekommunikationsgesetzes), verlangt werden, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen für die Nutzung der Daten vorliegen.

(2) Der Ausländer ist von dem Auskunftsverlangen vorher in Kenntnis zu setzen.

(3) Auf Grund eines Auskunftsverlangens nach Absatz 1 hat derjenige, der geschäftsmäßig Telekommunikationsdienste erbringt oder daran mitwirkt, die zur Auskunftserteilung erforderlichen Daten unverzüglich zu übermitteln.

Bemerkenswert ist, dass bei der Anhörung zu dieser Gesetzesänderung (die öffentliche Anhörung des BT-Innenausschusses fand am 23.3.2015 statt) weder ProAsyl noch UNHCR oder EKD Kritik an diesen neuen gesetzlichen Regelungen geübt haben. Das mag eventuell dem Umstand geschuldet sein, dass im gleichen Zuge des „Entwurfs eines Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung“ eine ganze Reihe anderer, schwer wiegender und höchst umstrittener Änderungen vorgenommen worden sind, die (zurecht) viel Aufmerksamkeit und Empörung auf sich gezogen haben. Beispielhaft genannt seien die umfänglichen Erlaubnisregelungen zum Freiheitsentzug von Ausländern zu nennen (Verschärfung der Abschiebungshaft).

Immerhin: Der Deutsche Anwaltverein (DAV) kritisierte in seiner Stellungnahme das Fehlen des Richtervorbehalts. Der Jesuiten-Flüchtlingsdienst unterstrich diese Kritik und bewertete die Regelungen als rechtswidrig.

Sogar der Bundesrat hatte erhebliche Bedenken, die er der Bundesregierung vorgetragen hat und die im Anhang des Gesetzentwurfs dokumentiert worden sind (S. 104ff der BT-DS 18/4097). Der Bundesrat zweifelt an der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme, sorgt sich um den ausreichenden Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung, verlangt bereichsspezifische Löschvorschriften und schlägt die Einfügung eines Richtervorbehalts an.

In der Begründung zu den Zweifeln an der Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen schreibt der Bundesrat:

Das Bundesverfassungsgericht hat seit der Entscheidung am 5. Februar 2005 in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass wegen des besonderen grundrechtlichen Schutzes des Fernmeldegeheimnisses in Artikel 10 GG der Zugriff auf Verbindungsdaten, welche durch die Auswertung von Datenträgern erfolgt, nur bei dem Verdacht einer Straftat von erheblicher Bedeutung zulässig ist. Außerdem bedarf es hierzu eines richterlichen Beschlusses.
Auch informationstechnische Systeme sind mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 27. Februar 2008 unter den besonderen grundrechtlichen Schutz der Vertraulichkeit und Integrität gestellt worden. Eingriffe in dieses Grundrecht sind grundsätzlich nur möglich, wenn tatsächliche Anhaltspunkte einer konkreten Gefahr für ein überragend wichtiges Rechtsgut bestehen und wenn ein richterlicher Beschluss vorliegt.
Auch die Umsetzung ist im Hinblick auf den unantastbaren Kernbereich privater Lebensgestaltung, in die in keinem Fall eingegriffen werden kann, schwierig. Die Grenze, welche Daten zur Identitätsfeststellung geeignet sind und welche hingegen bereits die Privatsphäre des Inhabers berühren, ist fließend und nicht ausreichend rechtssicher abgrenzbar.

Die Kritik scheint unbeachtet geblieben zu sein.

Wenn Überwachungs- und Abschiebebefürworter wie der Bundesinnenminister oder der Kanzleramtsminister nun die gleichen Regeln auch für das BAMF einführen wollen und so tun, als sei dieses kein besonders aufsehenerregender Vorgang sondern lediglich eine Ausweitung bereits bestehender Befugnisse, dann bedarf dieser Vorgang einer genauen Betrachtung und Neu-Bewertung.

Und das insbesondere, wenn man bedenkt, dass im BAMF Menschen aus deutschen und internationalen Geheimdiensten Büros besetzen und diese Geheimdienstler Flüchtlinge und Ausländer (mindestens in der Vergangenheit) unter zwielichtigen bis menschenunwürdigen Umständen ausfragen, um nicht von verhören zu sprechen.

Aber Ausländer sind in diesen Zeiten und in diesem Land nun mal zumindest ab und zu Menschen zweiter Klasse. Es ist böse Tradition im Land, Menschenrechtsverletzungen und Grundrechtsaushöhlungen zunächst an denjenigen Menschen und Menschengruppen zu praktizieren, die sich aus welchen Gründen auch immer am wenigsten dagegen wehren, wehren können … bevor die Maßnahmen dann scheibchen- und tröpfchenweise auf andere, größere Teile der Bevölkerung ausgedehnt werden. Eine allmähliche Eingewöhnung von Unrecht. Das war vor 84 Jahren nicht anders.

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