Auch in Niedersachsen wird (dort von der derzeit „rot-grünen“ Landesregierung) der Einsatz von an der Uniform befestigten Kameras für Streifenpolizisten („BodyCams“) vorangetrieben.
Obwohl es derzeit keine eindeutige Rechtsgrundlage gibt, hat das Niedersächsische Innenministerium unter dem SPD-Innenminister Boris Pistorius im Dezember 2016 überstürzt ein BodyCam-Pilotprojekt gestartet, ohne den parlamentarischen Diskussionsprozess abzuwarten, es fehlt zudem jede nüchterne und wissenschaftliche Begleitung und Grundlage, so dass das Ergebnis des Einsatzversuchs keine belastbaren Aussagen zu Sinn oder Unsinn der BodyCams zulassen wird.
Gestern hat sich die niedersächsische Datenschutzbeauftragte in die öffentliche Diskussion eingeschaltet und bescheinigt dem Projekt in deutlichen Worten die Rechtswidrigkeit.
Im Einzelnen:
Am 17.11.2016 „diskutierte“ der Innenausschuss des Niedersächsischen Landtags das neue Polizeigesetz. Darin soll u.a. eine pauschale Allgemeinbefugnis zum Einsatz von BodyCams (inklusive Audio-Aufzeichnung!) für Polizeibeamte und -beamtinnen gesetzlich verankert werden.
Obwohl es keine sachlichen Argumente für Sinn und Verhältnismäßigkeit für Polizei-BodyCams gibt (siehe hier und hier) und der BodyCam-Einsatz in der öffentlichen Anhörung durchaus umstritten gewesen ist, überraschte das SPD-geführte Innenministerium nur dreieinhalb Wochen später am 12.12.2016 mit der Bekanntgabe des sofortigen Beginns eines Pilotprojektes.
Vorausgesetzt, dass der niedersächsischen Landesregierung nicht völlig egal ist, was der parlamentarische Diskussionsprozess um das neue Polizeigesetz ergibt, dass es sich dabei also um einen tatsächlich ergebnisoffenen Prozess handelt – das also vorausgesetzt ist es sehr erstaunlich, wie die ministerialen und polizeibehördlichen Behörden innerhalb einer so kurzen Zeit
- Entscheidung zur Durchführung eines BodyCam-Pilotprojektes treffen,
- mit BodyCam-Herstellern in Verbindung treten,
- sich über das Angebot der Geräte informieren und vergleichen,
- danach in Verhandlungen mit den Herstellern eintreten,
- dann (ohne vorherige Ausschreibung?) 20 Stück BodyCams einkaufen,
- die Polizeibeamten für deren Einsatz schulen und
- die technische Infrastruktur für den Einsatz von BodyCams aufbauen können.
Man könnte meinen: Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg. Eine ähnliche Flexibilität wünscht man sich von Polizei und Innenministerium auch in Zusammenhängen, bei denen es nicht um die Einschränkung sondern um die Bewahrung von Bürger- und Menschenrechten geht … oder dient die parlamentarische Diskussion zum Thema BodyCam nur der Bewahrung des Anscheins eines entscheidungsoffenen Ausgangs eines Gesetzgebungsverfahrens?
Angeblich sei die Entscheidung zur Durchführung des Pilotprojekts erst „im Dezember 2016 durch das Innenministerium“ getroffen worden. Wir zweifeln sehr an der Glaubwürdigkeit dieser Aussage.
Die Landesdatenschutzbeauftragte Niedersachsens war vom Ad-hoc-BodyCam-Pilotprojekt offenbar ähnlich überrascht wie die Öffentlichkeit: Sie wurde erst im Zeitraum vom 5.-8.12.2016 – also nur wenige Tage vor Beginn des Pilotprojekts – über den geplanten Einsatz von BodyCams informiert. Das geht aus den Informationen hervor, die uns das nds. Innenministerium zur Verfügung gestellt hat und genauere Angaben möchte man dort aus vermutlich guten Gründen nicht machen.
Gestern nun, am 8.2.2017, ging die nds. Landesdatenschutzbeauftragte, Frau Thiel, mit einer bemerkenswert deutlichen Pressemitteilung an die Öffentlichkeit. Darin heißt es klipp und klar:
„Der gegenwärtige Pilotversuch zum Einsatz von so genannten Bodycams durch die niedersächsische Polizei ist rechtswidrig. Da das Innenministerium es bisher ablehnte, das bereits im Dezember 2016 gestartete Projekt zu stoppen, hat die Landesbeauftragte für den Datenschutz Niedersachsen, Barbara Thiel, heute (08.02.2017) gegenüber dem Innenministerium den Einsatz der Körperkameras förmlich beanstandet.“
Ein schärferes Schwert als die förmliches Beanstandung steht der Datenschutzbehörde nicht zur Verfügung.
Diese klare Haltung widerspricht der Behauptung des nds. Innenministeriums in seiner Pressenotiz vom 13.12.2016, in der es heißt:
„Seitens der Landesbeauftragten für Datenschutz wurde dann eine sogenannte Verfahrensbeschreibung erbeten, die am 08.12.2016 dorthin übermittelt und inhaltlich noch in Einzelheiten nach erfolgter Abstimmung angepasst wurde. Die Anregungen von dort wurden in die hiesige Verfahrensbeschreibung aufgenommen. Gegen die beabsichtigte Projektdurchführung wurden daraufhin keine weiteren Bedenken geltend gemacht.“
Und diese Behauptung wiederholte das Innenministerium auf unsere konkrete Nachfrage nun noch einmal und ergänzt, dass man die Rechtslage anders beurteilen würde. Eine Rechtsgrundlage meint man in den Absätzen 1 und 4 des § 32 vom derzeit gültigen Landespolizeigesetz NdsSOG erkennen zu können.
Es ist offensichtlich, dass das Ministerium die Kritik der „Datenschützer“ nicht ernst nimmt und auf Zeit spielen möchte: Wenn das neue Polizeigesetz verabschiedet ist, wird der jetzige Rechtsbruch zu „gutem Recht“ umgebogen worden sein. Bis dahin wird man die Landesdatenschutzbehörde weiter hinhalten, so wie man das auch aus anderen ganz frischen Beispielen des Umgangs der rot-grünen Landesregierung mit Datenschutz- und Persönlichkeitsrechtskonflikten kennt.
Weitere Informationen über die Technik und Rahmenbedingungen des derzeit rechtswidrigen BodyCam-Pilotprojekts in Niedersachsen (weitere Details und Links dazu auf unserer Wikiseite zum Thema):
Technik:
- 20 Stück BodyCams des Modells PR6 vom britischen Hersteller Pinnacle Response.
- Pilotprojekt-Zeitraum: 12.12.2016 bis Ende März 2017
- BodyCam-Einzelpreis 800 Euro.
- Auflösung der Bodycams: 1920x1080px bei 30fps Bildfrequenz.
- 32GB fest eingebauter Flash-Speicher, AES256-Verschlüsselung der Daten.
- Akku fest eingebaut, nicht wechselbar.
- Schnittstelle: USB 3.0
- Inkl. Audio-Aufzeichnung, die für das Pilotprojekt jedoch angeblich deaktiviert wurde.
- PreRecording ist möglich, wurde aber für as Pilotprojekt angeblich nicht aktiviert.
- Inkl. WLAN-Funktionalität, die aber ebenfalls deaktiviert worden ist.
- Es ist für Passanten nicht klar ersichtlich, ob die BodyCam eingeschaltet ist oder nicht. Polizeibeamte mit einer solchen „Körperkamera“ tragen zwar eine Weste mit der Aufschrift „Videoüberwachung“, die diese Frage selbstverständlich nicht aufklären kann. Durch Betätigen eines Schiebers wird zwar ein „grüner Querbalken“ sichtbar und dieser soll die eingeschaltete Kamera signalisieren. Es ist jedoch sehr fraglich, ob das den Passanten ohne vorherige Erläuterung klar ist bzw. woher sie dieses Wissen nehmen sollen.
- Es gibt noch kein spezifisches IT-Sicherheitskonzept zum laufenden Pilotprojekt, dieses sei aber „in Bearbeitung“.
- Auslesen der Daten auf Stand-Alone-PC’s in den beteiligten Polizeidienststellen.
- Keine neutrale Stelle zum Auslesen und Auswerten der BodyCam-Bilder vorhanden – Verarbeitung und Löschung dieser Daten obliegt einzig und allein der Polizei.
Evaluation:
- Keine wissenschaftliche oder unabhängige Begleitung des Pilotprojekts, Ablauf ausschließlich polizeiintern.
- Keine wissenschaftliche Evaluation.
- Erstellung eines polizeilichen Erfahrungsberichts: „In den Behörden der Pilotdienststellen werden Erfahrungsberichte gefertigt und zusammengeführt.“
- Der Erfahrungsbericht bleibt geheim, wird nicht veröffentlicht. Lediglich „die Ergebnisse des Erfahrungsberichts werden der Presse bekannt gegeben.“
Sonstige Informationen:
- In der Silvesternacht 2016/17 gab es 18 BodyCam-Aufzeichungsvorgänge, von denen drei für etwaige Strafverfahren aufbewahrt worden sind.
- Keine Klärung der Frage, wie von BodyCam-Aufzeichnunge Betroffene ihre eigenen Rechte durchsetzen können. Auf Nachfrage hierzu verweist das Innenministerium auf den Rechtsweg:
Das freiheitsfoo fragt: Gibt es eine von der Polizei unabhängige Vertrauensstelle oder Vertrauensperson, an die sich ein von einer Body-Cam Aufzeichnung Betroffener wenden kann, um ggf. in der Durchspielung hypothetischer Fallkonstellationen die Löschung der Aufzeichnung verhindern kann? Zumindest theoretisch wäre ja ein Vorfall denkbar, in dem es zu keinen Strafverfahren gegen den Betroffenen kommt, bei dem der Betroffene aber seinerseits klagend oder anzeigend gegen die Polizeibeamten vorgehen möchte und aufgrund dessen die BodyCam-Aufzeichnung als Beweismittel dienlich sein könnte.
Das nds. Innenministerium antwortet: Dem Betroffenen steht, wie allen anderen Personen auch, der Rechtsweg offen. Die Einrichtung einer Vertrauensstelle ist, neben der Beschwerdestelle im Innenministerium, nicht vorgesehen.
In Klartext:
Wer also beispielsweise Polizeigewalt oder eine unzulässige Behandlung durch Polizeibeamte erfahren hat und das vielleicht mittels BodyCam festgehalten worden ist, der soll zur Auslieferung dieser Daten in den Händen der Polizei, die sich selbst damit belasten würde, vor Gericht ziehen. Angesichts dieser Realitätsferne und Borniertheit der Antwort kann man sich nur besorgt am Kopf kratzen.
Fazit:
Es ist bedauerlich und kritikwürdig, wie unprofessionell und überstürzt das Pilotprojekt in Niedersachsen angegangen worden ist, obwohl in der Innenausschuss-Sitzung seitens SPD immer wieder deutlich betont worden ist, man werde einen BodyCam-Pilotversuch in Niedersachsen „ganz anders“ als in den anderen Bundesländern durchführen, nämlich professionell und mit wissenschaftlicher Begleitung, damit endlich verlässliche Ergebnisse daraus abgeleitet werden könnten. Nun aber verspielt das Land Niedersachsen unter rot-grüner Führung diese Chance und setzt den Reigen der Einführung polizeilicher BodyCams in den Bundesländern in Zeiten der Terrorhysterie und mit stark populistischem Beigeschmack fort.