Zeitzeichen, 3

victor-klemperer-cc-by-sa-bundesarchiv_bild_183-s90733-mod-freiheitsfooIn unserer Kategorie „Zeitzeichen“ rezitieren wir in unregelmäßigen Abständen und in ebenso unregelmäßigem Umfang Nachrichtenschnipsel oder Zitate, die wir als möglicherweise stellvertretende Beispiele für größere Entwicklungen und gesellschaftliche Symptome empfinden: als Zeitzeichen.

Wir behalten uns vor, dieses oder jenes kurz zu kommentieren oder zu bewerten, oder auch nicht. :)

Der CSU-Fraktionschef Thomas Kreuzer verlangt eine (schiessbefehlbewehrte?) Mauer um Deutschland und definiert den Begriff „Kriegsflüchtling“ aus Bequemlichkeitsgründen um (22.9.2016): „Ich halte es für richtig, dass wir uns bei der Grenzsicherung so aufstellen, dass niemand mehr, ohne sich auszuweisen und ohne registriert zu werden, ins Land kommt, und dass wir auch in der Lage sind, so wie auch die Republik Österreich, notfalls die Grenzen zu schließen und an der Grenze zurückzuweisen, wenn die Zahlen erreicht sind, die wir aufnehmen können. (…) Nach Artikel 16 Grundgesetz kann niemand einen Asylanspruch in Deutschland für sich in Anspruch nehmen, der aus einem sicheren Drittland kommt. Die Menschen kommen alle aus sicheren Drittländern, Österreich, der Schweiz. Wir bräuchten überhaupt keinen aufnehmen, wir bräuchten nur geltendes Recht vollziehen, und somit ist die Obergrenze überhaupt kein Rechtsproblem.“

Der Frontex-Chef Fabrice Leggeri nach der für die Öffentlichkeit überraschend präsentierten Umwandlung von Frontex zu einer Grenzabwehrarmee (8.10.2016): „Leggeri sagte im Deutschlandfunk, das Ziel sei nicht eine Festung Europa. Auch würden Schutzbedürftige keineswegs ferngehalten. Vielmehr sei in EU-Verordnungen festgelegt, wer die Außengrenzen überschreiten dürfe [und wer nicht, Anmerkung der Redaktion] – und wie.“ Ähem … also doch eine Festung Europa!?

Bundesregierung stellt sich dumm beim mit 480 Millionen Euro finanzierten NATO-Drohnen-Überwachungsprogramm (15.10.2016): „Im NATO-Programm „Alliance Ground Surveillance“ (AGS) werden derzeit fünf hoch fliegende Drohnen des Typs „Global Hawk“ beschafft und auf Sigonella/ Sizilien stationiert. Sie sollen im Rahmen von NATO-Missionen überwachen und aufklären, erklärter Schwerpunkt sind Flüge an den Grenzen Russlands. Alle NATO-Mitglieder sollen sich am Betrieb des Programms beteiligen, die Rede ist von geschätzten 70 Millionen Euro jährlich. Die erstmalige Beschaffung wird jedoch nur von einigen Mitgliedstaaten finanziert. Den größten Anteil der Kosten von rund 1,45 Milliarden Euro übernehmen die USA (42 Prozent), Deutschland (33 Prozent) und Italien (15 Prozent). (…) Noch in diesem Herbst werden die in Sigonella benötigten Kommunikations- und Auswertungsanlagen ausgeliefert. Der Aufbau einer Satellitenkommunikationsanlage begann im Januar 2015. Es ist weiterhin unklar, ob die Flüge der „Global Hawk“ auch über Relaisstationen gesteuert werden können, wie sie vom US-Militär in Ramstein betrieben werden. Obwohl die Bundesregierung den zweitgrößten Anteil am NATO AGS finanziert, hat sie hierzu angeblich „keine Kenntnis“. Im Verteidigungsministerium weiß man auch nicht, wie viele NATO-Drohnen gleichzeitig von Sigonella aus gesteuert werden können. Dabei sollte die Luftwaffe eigentlich im Bilde sein: Drei Soldaten besitzen bereits eine sogenannte Musterberechtigung für den Flug der „Global Hawk“, nun sollen weitere 46 Soldaten als Luftfahrzeugfernführer ausgebildet werden.“

Der Chemnitz-Attentäter ist eine prima Gelegenheit für Geheimdienstler und Politiker, soviele Daten in die Hände zu fordern, wie nur irgend möglich. Fragen der Rechtmäßigkeit und Bedeutung des Trennungsbegriffs von Polizei und Geheimdiensten werden einfach weggewischt (11.10.2016): „Jede Information aus jeder Datenbank sei hilfreich, sagte Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen im ZDF.“ Und Wolfgang Bosbach von der CDU im DLF (11.10.2016): „Mein Standpunkt ist, dass die Sicherheitsbehörden unseres Landes – das gilt für die Polizei des Bundes und der Länder, für das Bundesamt für Verfassungsschutz, die Landesämter, aber auch für den Bundesnachrichtendienst -, dass sie die Informationen bekommen müssen, die sie brauchen, um Gefahren für unser Land rechtzeitig erkennen und abwehren zu können. (…) Ich spreche von Datenabgleich. Das heißt, dass die Behörden, denen wir unsere Sicherheit anvertrauen, Daten, die ohnehin erhoben werden, abgleichen können müssen zum Zwecke der Gefahrenabwehr. (…) Die Polizei, die Sicherheitsbehörden müssen die Informationen bekommen dürfen, die sie brauchen, um Gefahren abzuwehren.“ Da bleibt nur die Frage offen, ob man als Mensch dieser Gesellschaft irgendwelchen Behörden, geschweige denn den deutschen Geheimdiensten in ihrer derzeitigen Verfassung, die eigene Sicherheit anvertrauen mag oder nicht. Ach ja: Und dass die Geheimdienste gar keine gefahrenabwehrdende Befugnisse haben, das könnte man auch noch kurz erwähnen.

Technokraten ad its best – der Mensch als das Übel aller Dinge. Lasst nur den IT-Systemen die Oberhand, dann wird alles gut (11.10.2016): „Der Direktor des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz (DFKI) in Saarbrücken, Professor Wolfgang Wahlster: „Wenn der Mensch sich verstärkt aus dem Verkehr heraushält, dann vermindert sich das Unfallrisiko. (…) Wenn alle autonom fahren, wird es viel leichter.“ Je mehr automatisierte Autos es gebe, desto besser sei das bestehende Straßennetz nutzbar: „Man könnte etwa 150 Prozent mehr staufreien Individualverkehr ermöglichen, wenn alle autonom fahren“, sagt Wahlster.“

US-amerikanischer Zynismus (11.10.2016): „Mindestens 44 Staaten beteiligen sich an einer Initiative der US-Regierung zur Regulierung des Exports und des Einsatzes bewaffneter Drohnen. Weil immer mehr Länder bewaffnete Drohnen nutzten oder entwickelten, benötige es laut dem US-Außenministerium eine Regelung durch die „internationale Gemeinschaft“. Zwar hätten viele Regierungen bereits entsprechende Gesetze erlassen, jedoch bedrohe der „Missbrauch“ bewaffneter Drohnen die Stabilität und begünstige damit „Terrorismus und organisierte Kriminalität“. „ Das fordern die USA, die den grausamen und völkerrechtswidrigen Einsatz von tötenden und verstümmelnden Drohnen erst in der Welt verbreitet haben. Übrigens: „Über die Praxis gewordenen außergerichtlichen Hinrichtungen durch Militärs und Geheimdienste der USA verliert die Deklaration kein Wort.“

Die mit Rüstungs- und Überwachungsindustrie verbandelte CSU möchte den „politischen Islam“ verbieten (29.10.2016): „In einem weiteren Leitantrag werde dem politischen Islam der Kampf angesagt, berichtet der „Münchner Merkur“. Demnach steht in dem Entwurf, dass in den letzten Jahrzehnten keine andere ideologische Bewegung weltweit so viel Gewalt, Zerstörung und Destabilisierung hervorgebracht habe wie der politische Islam. Die offene Gesellschaft habe nur dann eine Zukunft, wenn sie den Kampf aufnehme.“ Bleiben nur noch drei Fragen zu klären: 1.) Was ist der „politische Islam“? 2.) Ist die CSU Teil des „politischen Christentums“? 3.) Entstammen der Kampfbegriff und die Ideologie des Kampfes dem Wertekanon des biblischen Christentums?

2 Jahre Gefängnis plus 30.000 Euro Strafe für einen Menschen, der keine Anschläge geplant hat, aber sich für den Islamischen Staat interessiert hat. Zur Verurteilung reicht dem französischen Gericht der Vorwurf bzw. die Unterstellung von (faktisch ähnlich wie bei der „Gesinnung“ nicht beweisbare) „Sympathie“ mit der Terrororganisation (2.12.2016): „Vor dem Gericht im südostfranzösischen Département Ardèche beteuerte der Mann, die Webseiten nur aus Neugier besucht zu haben. Er hätte den Unterschied zwischen „richtigem“ und „falschen“ Islam verstehen wolle, zitiert France Bleu den Mann. Das Gericht wertete jedoch die auf seinen Geräten gefundenen Dateien und Aussagen von Verwandten als Beleg für seine Sympathie mit dem „Islamischen Staat“. Es hätte keine Hinweise auf Anschlagspläne gegeben, sagte ein Gerichtssprecher gegenüber The Verge. Der Mann sei den Ermittlungsbehörden nicht als Islamist bekannt gewesen und hätte ausschließlich Vorstrafen für geringe Vergehen gehabt. (…) 13 weitere Menschen wurden bis Mitte Oktober verurteilt, heißt es in französischen Medien. Darunter ein 28-jähriger Mann aus Marseille, der in einer Bibliothek „dschihadistische“ Webseiten aufgerufen haben soll. In einem anderen Verfahren war ein 18-Jähriger zu einer dreimonatigen Bewährungsstrafe verurteilt worden, weil er sein WLAN-Netzwerk „Daesh 21“ genannt hat.“

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